Speziallager ab 1945 Leben im Sowjetischen Speziallager
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29. März 2021, 15:06 Uhr
Die deutsche Nachkriegsgeschichte beginnt mit Fragen wie "Sind Sie Nazi?" Die Siegermächte sind auf der Suche nach den Schuldigen für die Verbrechen Deutschlands und nach NS-Aktivisten, die einer demokratischen Entwicklung des Landes im Wege stehen. Wer ins Raster passt oder zu passen scheint, wird interniert. Elisabeth Neudeck wird im Herbst 1945 verhaftet und kommt in das "Speziallager Nummer 7" auf dem Gelände des ehemaligen KZ Sachsenhausen. Dort wird 1946 ihr Sohn Ekkhart geboren.
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Die Verhaftung
Im Herbst 1945 wird Elisabeth Neudeck unter dem Vorwurf verhaftet, Mitglied im Bund deutscher Mädel (BdM) gewesen zu sein. Sie ist im dritten Monat schwanger, wird tage- und nächtelang verhört. Was sie damals weder weiß noch ahnt: Ihr Verhör ist Teil einer vom Alllierten Kontrollrat beschlossenen Strategie: Von den etwa 8,5 Millionen Deutschen, die Mitglieder der NDSAP waren, sind die Aktivisten, Kader wie vermeintliche bereitwillige Sympathisanten, festzusetzen, um den Aufbau neuer demokratischer Strukturen nicht zu gefährden. Elisabeth Neudeck kommt in das "Speziallager Nummer 7".
Ja, ich war BDM-Führerin bei uns im Ort. Wie es damals in der Zeit war, haben sie eben gesucht. Eines Mittags kam ein russischer Offizier und hat gesagt, ich sollte mitkommen. Da war ich dann eine Woche in diesem Keller. Tag und Nacht mit Scheinwerferlicht. Und der mich da verhört, hat gesagt, ich könnte ja nach Hause gehen, wenn ich ihm zwei Personen nenne, die sie eben auch verhören könnten, die mit mir praktisch gearbeitet haben. Da hab ich gesagt, wenn ich zwei nenne, die haben das gleiche gemacht wie ich. Ich kann niemanden nennen, der etwas verbrochen hat.
Die Speziallager
Allein in den Westzonen internieren die Siegermächte in wenigen Wochen über 200.000 Personen, unter ihnen auch Frauen mit Funktionen im BdM. Der sowjetische Geheimdienst richtet in der sowjetischen Besatzungszone ebenfalls Lager ein. Das ehemalige KZ Buchenwald wird das Speziallager Nr. 2, Sachsenhausen dient ab August 1945 als Speziallager Nr. 7 und bleibt bis 1950 die größte Haftstätte der SBZ/DDR. Egal ob West oder Ost: Extreme Unterernährung, schwere Lungenerkrankungen sind bis 1946 Realität in den Lagern aller Besatzungszonen. Die 'Speziallager' im Osten unterschieden sich in einem Punkt jedoch grundlegend von den Internierungslagern der Westzonen: Der Blick hinter den Stacheldraht bleibt versperrt. Im Westen sieht die Öffentlichkeit die Zustände, prangert diese an, die Militärverwaltungen reagieren.
Ich denk', wie hab ich die Zeit nur überstanden. Jahre nur kaltes Wasser, ungeheizt der Raum. Als es dann zum Winter ging, haben wir uns zusammengelegt mit den Sachen, wir haben ja keine Decken bekommen und gar nichts. Wenn ich heut' dran denk, ist mir noch kalt.
Die Kindheit im Lager
Das Lager in Sachsenhausen ist von der Außenwelt isoliert, Hoffnung auf Hilfe ist aussichtslos. In der Regel sind die Baracken überbelegt, die Häftlinge müssen auf blanken Holzgestellen schlafen. Dennoch schafft es Elisabeth Neudeck 1946 in mangelhaften hygienischen Verhältnissen ein Kind, ihren Sohn Ekkhart, lebend auf die Welt zu bringen. Viele überleben die Zeit in den Speziallagern nicht. Aus Stoffresten flicken die Frauen dem Jungen Sachen. Nach fast drei Jahren dürfen Elisabeth und Ekkhart Neudeck 1948 das Lager verlassen - ohne Urteil, ohne Anhörung. Was zurückliegt, will Elisabeth, soll der Junge, so schnell wie möglich vergessen. Die Familie verlässt die DDR in Richtung Österreich.
Die Erinnerung
Die Erinnerung an die Zeit im Lager werden ferne Schatten, doch es bleibt eine ungewisse Angst. Diese schwindet bei Sohn Ekkhart erst, als in Moskau die Akten geöffnet werden und sich zeigt, wie wenig die Sowjets versucht haben, die persönliche Schuld von Elisabeth Neudeck zu prüfen. Erst seitdem können Mutter und Sohn sich dieser, ihrer Vergangenheit offen stellen. Wenngleich: Abgeschlossen ist das Kapitel Internierung für beide bis heute nicht.
BdM (Bund deutscher Mädel) Der BdM oder BDM (Bund deutscher Mädel) war eine Jugendorganisation der Nationalsozialisten. 1930 gegründet, wurde sie zwei Jahre später zur einigen Mädchenorganisation der NSDAP erklärt. Ab 1936 war die Mitgliedschaft verpflichtend, wenn sie nicht durch rassistische Gründe, wie bei jüdischen Mädchen, ausgeschlossen war. Aufgabe des BdM war es,die Mädchen im Sinne der NS-Ideologie zu erziehen. Dazu gehörten die 'weiblichen' Tugenden wie Gehorsam, Pflichterfüllung, Opferbereitschaft und Körperbeherrschung.