Nachkriegsjahr 1945 Mitteldeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg
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05. Juni 2020, 05:00 Uhr
Knapp einen Monat nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges übernehmen die Alliierten die oberste Regierungsgewalt in Deutschland. Mitteldeutschland wird Teil der Sowjetischen Besatzungszone, was für seine Entwicklung nachhaltige Folgen hat. Was im Nachkriegsjahr 1945 in Deutschland und speziell in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen geschah.
Deutschland im Frühjahr 1945: Nach fünf Jahren und acht Monaten Krieg liegt das Land in Trümmern. Unzählige Städte, Industrie- und Infrastrukturanlagen sind zerstört. Millionen Menschen haben durch Flucht, Vertreibung und Kriegseinwirkungen ihre Häuser, Wohnungen sowie ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Etwa fünf Millionen deutsche Soldaten sind gefallen. Hinzu kommen rund eine Millionen meist durch Bombenangriffe sowie bei Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten oder dem Sudetenland getötete Zivilisten.
Letzte Reichsregierung verhaftet
Zehn Millionen Soldaten von Wehrmacht und Waffen-SS befinden sich Ende Mai 1945 in alliierter Kriegsgefangenschaft. Die letzten von ihnen strecken erst in den Tagen nach der Gesamtkapitulation am 8. Mai 1945 die Waffen. Am 23. Mai wird die letzte Reichsregierung unter Hitlers Nachfolger als Reichspräsident, Großadmiral Karl Dönitz, in der Marineschule Flensburg-Mürwick durch alliierte Soldaten verhaftet. Auch das in die norddeutsche Stadt verlegte Oberkommando der Wehrmacht (OKW) wird an diesem Tag gefangengenommen. "Das Deutsche Reich starb an einem sonnigen Morgen des 23. Mai 1945 in der Nähe des Ostseehafens Flensburg", schreibt einen Tag später das US-Magazin "Time" über das Ereignis.
Regierungsübernahme durch Alliierte
Doch entgegen früherer alliierter Überlegungen, die eine Aufteilung des Deutschen Reiches erwogen hatten, stirbt Deutschland als Ganzes zunächst nicht. Stattdessen übernehmen am 5. Juni 1945 mit ihrer Berliner Erklärung die alliierten Siegermächte Sowjetunion, USA, Großbritannien sowie Frankreich kraft Besatzungsrecht die "oberste Regierungsgewalt in Deutschland". Diese umfasst die Befugnisse der deutschen Regierung, des OKW sowie aller Regierungen, Verwaltungen und Behörden der Länder, Städte und Gemeinden.
Deutschland wird auf die Grenzen von 1937 beschränkt, wodurch die Angliederungen Österreichs und des Sudetenlandes von 1938 rückgängig gemacht werden. Das gesamte Staatsgebiet wird in vier Besatzungszonen, die Hauptstadt Berlin in vier Sektoren eingeteilt. Die Briten übernehmen eine Besatzungszone im Nordwesten Deutschlands. Bayern, der Norden Württembergs und Hessen werden von den US-Truppen besetzt. Der Südwesten und das heutige Rheinland-Pfalz werden zur französisch besetzten Zone. Die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) umfasst zunächst Mitteldeutschland, Brandenburg, Mecklenburg sowie das gesamte damalige Ost- und Nordostdeutschland mit beiden Pommern, Schlesien und Ostpreußen.
Alliierter Kontrollrat als oberstes Regierungsorgan
Als oberstes Regierungsorgan wird laut der Berlin-Deklaration ein Alliierter Kontrollrat mit Sitz in Berlin gebildet, der aus den Oberbefehlshabern der vier Besatzungszonen besteht. Zwar übt jeder Oberbefehlshaber in seiner Zone die oberste Regierungsgewalt aus. Fragen, die Deutschland als Ganzes betreffen, sollen jedoch nur durch gemeinsame und einstimmige Beschlüsse des Kontrollrates entschieden werden. Außerdem erklären alle Unterzeichnerstaaten, dass die Übernahme der Regierungsgewalt nicht mit einer Annektierung Deutschlands einhergeht und dass die "deutschen Grenzen nach dem Stande vom 31. Dezember 1937" fortbestehen sollen.
Potsdamer Abkommen verschiebt Ostgrenze
Im Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 akzeptieren allerdings ungeachtet dessen auch die beiden Westalliierten USA und Großbritannien die Annexion des nördlichen Ostpreußens durch die Sowjetunion. Das gleiche gilt für die "Verwaltung" des bisherigen Ostdeutschlands bis zur Oder-Neiße-Grenze durch Polen, das auf diesem Wege für das an die Sowjetunion angegliederte Ostpolen entschädigt werden soll. Die entsprechenden Gebiete werden aus der bisherigen Sowjetischen Besatzungszone herausgelöst.
Für Millionen Deutsche, die bei Kriegsende noch im damaligen deutschen Osten zurückgeblieben oder dorthin nach dem Krieg zurückgekehrt sind, bedeutet das die endgültige Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat. Das gilt auch für die Sudentendeutschen und andere große deutsche Minderheiten in Ostmittel-, Ost- sowie Südosteuropa. Knapp 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene kommen zwischen 1944 und 1950 in das Gebiet der heutigen Bundesrepublik. Ende 1947 leben in Sachsen über eine Million, in Sachsen-Anhalt knapp 1,1 Million und in Thüringen fast 700.000 Heimatvertriebene.
Gesamtdeutsche Lösung weiter propagiert
Ungeachtet der in Potsdam durchgesetzten De-facto-Grenzverschiebungen favorisiert die Sowjetunion auch weiterhin eine gesamtdeutsche Lösung. In seiner Siegesansprache am 9. Mai 1945 versichert der sowjetische Generalissimus Josef Stalin: "Die deutschen Truppen kapitulieren. Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln oder zu vernichten." Die Siegermacht, die im Zweiten Weltkrieg die schwersten Zerstörungen und größten Menschenverluste erlitten hat, benötigt Ruhe. Zudem ist die Sowjetunion für den Wiederaufbau dringend auf Reparationen angewiesen. Durch eine gesamtdeutsche Regelung erhofft sich die Moskauer Führung deshalb auch Reparationen aus dem schwerindustriellen Westen Deutschlands.
Demontage von Betrieben
In ihrem eigenen Besatzungsbereich setzt sie zunächst vor allem auf die Demontagen von Industrieanlagen. So wird bis zum Sommer 1945 allein in den Polen zugesprochenen Gebieten des damaligen Ostdeutschlands ein Viertel der gesamten Industrie von sowjetischen Demontageeinheiten abtransportiert. Nicht anders sieht es in Mitteldeutschland und den anderen Gebieten der SBZ aus. Nach internen Angaben requirieren sowjetische Beutekommissionen bis zum Beginn der Potsdamer Konferenz am 17. Juli 1945 3,6 Millionen Tonnen Ausrüstung. Vieles davon verrottet auf dem Weg oder nach der Ankunft in der Sowjetunion. Bei Industrieanlagen fehlen oft die Experten, die diese wieder aufbauen könnten. Dort, wo man entsprechende Spezialisten aufgreifen kann, verschleppt man häufig auch diese. Das gilt auch für Zivilinternierte, von denen rund 250.000 Zwangsarbeit in die Sowjetunion leisten müssen.
Beutekunst und anderes Raubgut
Ungezählte Kunstschätze aus den weltberühmten Sammlungen Dresdens oder den Schlössern Anhalts werden als sogenannte Beutekunst ebenfalls in die Sowjetunion verbracht. Auch die Kassenbestände von Kreditinstituten oder private Besitztümer werden im großen Stil requiriert. Marschall Georgi Konstantinowitsch Schukow, der am 9. Mai 1945 in Berlin-Karlshorst die Gesamtkapitulation der Wehrmacht entgegennimmt, geht mit "gutem Beispiel" voran. Der Held der Sowjetunion lässt sich in seiner Heimat gleich fünf Wohnungen mit geraubtem Mobiliar einrichten.
Sowjetische Militäradministration regiert SBZ
Nach der Übernahme der Regierungsgewalt durch die alliierten Oberbefehlshaber am 5. Juni richtet die Sowjetunion am 9. Juni 1945 in ihrer Besatzungszone die Sowjetische Militäradministration (SMAD) ein. Ihr Oberster Chef wird zunächst Schukow. Als oberste Besatzungsbehörde und damit De-facto-Regierung in der SBZ soll die SMAD zwar vorrangig die Reparationen, aber auch den Neuaufbau der Wirtschaft absichern. 1946 geht sie dazu über, die ursprünglich für die Demontage vorgesehenen Betriebe in Sowjetische Aktiengesellschaften (SAG) umzuwandeln. Die Reparationsansprüche werden fortan aus der laufenden Produktion entnommen, was sich als viel effektiver als das Demontageverfahren erweist.
Gründung von Parteien erlaubt
Auch den Aufbau einer Verwaltung sowie den Neustart von Kultur und Politik soll die SMAD sicherstellen. Mit ihrem "Befehl Nr. 2" erlaubt sie am 10. Juni 1945 als erste Besatzungsbehörde überhaupt die Bildung von Parteien. Bereits einen Tag später gründet sich die KPD in der SBZ neu, gefolgt von der SPD, der CDU und der Liberal-Demokratischen Partei (LDPD), die sich am 5. Juli konstituiert. Die Sowjetunion ist zudem bestrebt, jeden Anschein zu vermeiden, sie würde eine kommunistische Entwicklung oder gar Sowjetisierung in ihrer Besatzungszone anstreben. So setzt sie 1945 in den großen Städten meist parteilose, bürgerliche Oberbürgermeister ein, denen sie allerdings auf den entscheidenden Verwaltungsstellen Kommunisten zur Seite stellt.
Landesverwaltungen werden eingesetzt
So verfährt sie auch in jenen Gebieten westlich der ursprünglichen Elbe-Mulde-Demarkationslinie, die sie ab dem 1. Juli 1945 aus US-amerikanischer Besatzung übernimmt. Noch im Juli setzt die SMAD für die Länder Sachsen und Thüringen Landesverwaltungen sowie für Sachsen-Anhalt eine Provinzverwaltung ein. In Sachsen wird ein Sozialdemokrat, in Thüringen ein Parteiloser und in Sachsen-Anhalt ein Liberaldemokrat zum ersten Präsidenten der Landes- bzw. Provinzverwaltung ernannt. Sämtliche Ersten Vizepräsidenten, die unter anderem für die Polizei zuständig sind, sowie weitere Schlüsselposten werden jedoch von KPD-Mitgliedern besetzt. Die Kommunisten sind wichtige Garanten dafür, dass die "antifaschistisch-demokratische Umwälzung" im Sinne der sowjetischen Besatzungsmacht verläuft.
Rund 150.000 kommen in "Speziallager"
Dass die im Potsdamer Abkommen zum allgemeinen Ziel der drei alliierten Hauptsiegermächte erklärte "Demokratisierung" Deutschlands nach sowjetischer Lesart etwas anderes als nach westlicher bedeutet, machen die Internierungslager deutlich, welche die sowjetische Geheimpolizei ab 1945 einrichtet. Bis 1950 werden in den sogenannten Speziallagern der SBZ/DDR schätzungsweise rund 150.000 Deutsche festgehalten, von denen bis zu 70.000 ums Leben kommen. Zu ihnen gehören neben tatsächlichen NS-Verbrechern, Nazi-Aktivisten und Mitläufern vor allem zahlreiche unschuldig Denunzierte sowie Angehörige demokratischer Parteien. Seit 1946 werden zunehmend auch Sozialdemokraten sowie oppositionelle Kommunisten interniert. So sitzen in dem im August 1945 zum "Speziallager Nr. 2" umdeklarierten ehemaligen KZ Buchenwald auch Sozialdemokraten und andere Verfolgte des Nazi-Regimes ein, die dort teilweise schon vor der Befreiung des Lagers im April 1945 eingesperrt waren.
Diktatur und Teilung
Nur wenige Monate nach Kriegsende sind Mitteldeutschland und die anderen Gebiete der Sowjetischen Besatzungszone auf dem Weg in eine neue deutsche Diktatur. Und auch die Verwaltung von Deutschland als Ganzem hält nicht lange. Vor dem Hintergrund des aufziehenden Kalten Krieges verlässt der sowjetische Vertreter im März 1948 den Alliierten Kontrollrat und im Juni desselben Jahres auch die Alliierte Kommandantur. Im gleichen Monat unterbrechen die Sowjets die Verkehrsverbindungen nach Westberlin (Berlin-Blockade). Ein Jahr später wird die Bundesrepublik und im Oktober 1949 die DDR gegründet. Deutschland als Ganzes hat damit zu existieren aufgehört. Über 40 Jahre wird sich daran nichts ändern.