Zweiter Weltkrieg Die Panzerfaust - Geschichte einer deutschen Waffe
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27. März 2021, 11:30 Uhr
Simpel, preiswert, tödlich: Ab 1942 entwickeln Ingenieure des Rüstungskonzerns HASAG in Leipzig die Panzerfaust. Was zunächst als Abwehrwaffe gegen die sowjetischen Panzermassen an der Ostfront gedacht ist, wird später millionenfach für den "Endkampf ums Reich" produziert - von zehntausenden Zwangsarbeitern.
Es ist eine Szene, wie sie sich in den letzten Kriegstagen vielfach in Deutschland abspielt. 18. April 1945, Leipzig, Sachsen: Von Westen kommend überschreiten an diesem Mittwoch Soldaten der 2. US-Infanteriedivision den Elster-Saale-Kanal. Auch auf der Karl-Heine-Straße rücken GIs und Panzer in Richtung Stadtzentrum vor. Von Weitem ist das Dröhnen der Dieselmotoren der Sherman-Panzer zu hören, das Rasseln der Ketten und Quietschen der Laufrollen. Plötzlich zerreißt ein lautes Krachen die Luft. Vor dem Haupteingang des "Felsenkellers", eines neobarocken Saalbaus im Stadtteil Plagwitz, steht ein Sherman in Flammen. Ein 16-jähriger Hitlerjunge hat ihn abgeschossen - mit einer Panzerfaust!
Kostengünstig und schnell zu produzieren
Kaum eine Waffe steht so symbolhaft für die blutigen und sinnlosen letzten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges in Deutschland wie die Panzerfaust. Ihr Aufbau ist relativ einfach: Ein Rohr mit aufklappbarem Visier und Abzug, aus dem ein Hohlladungsgeschoss verschossen wird. Je nach Ausführung wiegt die Einweg-Waffe zwischen knapp sieben und unter zehn Kilogramm. Sie ist kostengünstig und schnell in großen Stückzahlen herzustellen und vergleichsweise simpel in ihrer Anwendung. Und sie ist verdammt tödlich. Je nach Modell können mit einer Panzerfaust 14, 20, ja sogar 32 Zentimeter dicke Panzerungen durchschlagen werden.
Einer der größten Rüstungskonzerne Deutschlands
Entwickelt wird die Panzerfaust in Leipzig bei der HASAG, einem der größten Rüstungskonzerne des Deutschen Reiches und ein Riese auf dem Gebiet der Munitionsherstellung. 1943 produzieren am Leipziger Hauptwerk sowie den Zweigwerken in Berlin, dem sächsischen Taucha, dem ostthüringischen Altenburg sowie in drei Werken im besetzten Polen 65.000 Menschen Infanteriemunition für Maschinengewehre sowie Bordwaffenmunition für die Flugzeuge der Luftwaffe. Mehr als die Hälfte der HASAG-Beschäftigten sind Zwangsarbeiter, die unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften müssen. Ab 1943 kommt zur Munitions- auch die massenweise Panzerfaust-Produktion hinzu.
Wirkungsvolle Abwehrwaffe gegen T-34
Die Leipziger HASAG-Ingenieure Wilhelm Renner und Edmund Heckler, einer der späteren Mitbegründer des baden-württembergischen Waffenherstellers Heckler & Koch, entwickeln die Panzerfaust ab 1942. Ziel ist es, den deutschen Soldaten an der Ostfront eine einfache, aber wirkungsvolle Abwehrwaffe gegen die starken sowjetischen T-34-Panzer an die Hand zu geben. Dieser ist den meisten deutschen Panzermodellen von 1941 in Panzerung, Beweglichkeit und Feuerkraft deutlich überlegen und kann auch von der damaligen deutschen Standard-Panzerabwehrkanone 3,7-cm-Pak nicht "geknackt" werden.
Sowjets produzieren neunmal mehr Panzer
Zwar stehen der Wehrmacht ab 1942 zunehmend verbesserte Panzertypen und auch ganz neue Panzermodelle zur Verfügung, die dem T-34 sogar überlegen sind. Doch können die deutschen Produktionszahlen nicht annähernd mit dem Ausstoß sowjetischer Rüstungsschmieden mithalten. Diese erreichen im Laufe des Krieges das neunfache der deutschen Panzerproduktion. Hinzu kommt, dass nach dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 auch die größte Wirtschaftsmacht der Welt die Sowjetunion mit Rüstungsgütern wie Panzern und anderen Waffen beliefert.
"Bazooka" und "Panzerschreck"
Unter den ersten US-Waffen, die die Sowjetarmee erreichen, sind auch die sogenannten Bazookas. Wehrmachtsoldaten erbeuten einige dieser rückstoßfreien, raketengetriebenen Panzerabwehrwaffen 1942 wohl zuerst an der Ostfront. Auf ihrer Grundlage entwickeln deutsche Ingenieure später die verbesserte Raketenpanzerbüchse "Panzerschreck". Die Waffe kann auf 200 Meter bis zu 15 Zentimeter dicken Panzerstahl durchschlagen. Allerdings sind die Raketengeschosse des "Panzerschrecks" relativ teuer und aufwendig zu produzieren.
Prinzip des Hohlladungsgeschosses
Was "Bazooka", "Panzerschreck" und Panzerfaust eint, ist die Verwendung eines Hohlladungsgeschosses. Bei einer Hohlladung wird hochbrisanter Sprengstoff um eine kegel- oder halbkugelförmige Metalleinlage gepackt. Durch den enormen Druck, der bei seiner Explosion entsteht, wird die Metalleinlage zu einem Metallstachel "kaltverformt", der mit hoher Geschwindigkeit gepanzerte Ziele durchdringen kann. Der getroffene Panzerstahl wird dabei geschmolzen und kann im Innern des Panzers Munition und Treibstoff zur Explosion bringen.
Gegen Panzerkuppeln und Panzerplatten
Die Deutschen sind die ersten, die Hohlladungen im Zweiten Weltkrieg einsetzen. Im Frankreichfeldzug 1940 zerstören Fallschirmjäger der Wehrmacht mit ihrer Hilfe die Panzerkuppeln des belgischen Sperrforts Eben-Emael. Um ein effektives Nahkampfmittel gegen die sowjetischen T-34-Panzer zu haben, wird ab 1941 eine Hafthohlladung entwickelt, die mittels Magneten an gegnerischen Panzern angebracht wird. Das Risiko für den Panzerjäger ist dabei sehr hoch. "Panzerschreck" und Panzerfaust vermindern dieses Risiko, da beide Waffen die Hohlladung aus der Distanz an den gegnerischen Panzer bringen.
Einfache Konstruktion mit hoher Wirkung
Anders als der "Panzerschreck" ist die Panzerfaust jedoch keine Raketenwaffe. Bei ihr wird das Geschoss per Treibladung aus einem einfachen Metallrohr fast rückstoßfrei auf bis zu 60 Meter pro Sekunde beschleunigt. Das einfache Bauprinzip macht die Einweg-Waffe billig und ermöglicht es in kurzer Zeit hohe Stückzahlen zu produzieren. Allerdings schießen die ersten Panzerfäuste, die seit Sommer 1943 an die Truppe ausgeliefert werden, auch nicht weiter als 30 Meter. Spätere Modelle erreichen je nach Treibladung effektive Schussweiten von 40, 80, 100 und zuletzt auch 150 Metern.
Rückstoßstrahl verrät den Schützen
Das Bauprinzip der Panzerfaust hat noch einen weiteren Nachteil. Um die Rückstoßenergie des Geschosses auszugleichen, ist das Rohr nach hinten offen. Der hier entweichende Rückstoßstrahl und die Wolke sind allerdings derart groß, dass sie die Abschussstellung sofort verraten.
Panzerfaust-Schützen sind deshalb angehalten, sofort nach dem Schuss das Weite zu suchen, um nicht selbst zur Zielscheibe für andere Panzer und deren Begleitinfanterie zu werden. Im Einsatz speziell gedrillter Panzerjagdkommandos ist die Panzerfaust dennoch eine gefährliche Nahkampfwaffe. Die große Masse der deutschen Panzerabschüsse geht aber auch weiterhin auf das Konto von Panzern, Jagdpanzern und Sturmgeschützen. Die Panzerfaust bleibt eine Waffe für den Notfall und macht unter den Panzerabschüssen an der Ostfront nach einer Wehrmacht-Statistik von Januar 1944 keine zwei Prozent aus.
Sondervollmachten für Massenproduktion
Dennoch setzen die Nationalsozialisten schon bald große Hoffnungen in die vermeintliche "Wunderwaffe" aus dem Hause HASAG. Im Juni 1944 stuft Rüstungsminister Albert Speer die Panzerfaust als kriegswichtig ein. Mit der Sondervollmacht "Hochlauf Panzerfaust" erhält der Rüstungskonzern aus Leipzig die Vorgabe, monatlich 1,5 Millionen der panzerbrechenden Waffen zu liefern. Im KZ-Außenlager Schlieben in Brandenburg werden dafür im großen Stil jüdische und andere KZ-Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen zur Arbeit eingesetzt. Tatsächlich werden in der Folge große Stückzahlen der Panzerfaust in den HASAG-Werken hergestellt, auch wenn die monatlich geforderten 1,5 Millionen Stück wohl nicht erreicht werden.
NS-Propaganda feiert die Panzerfaust
Je näher die Front gegen Kriegsende auf die Reichsgrenze vorrückt, desto mehr wird auch die Panzerfaust durch die NS-Propaganda als vermeintliches Mittel zur Erlangung des "Endsiegs" gefeiert. Spätestens nach der Bildung des Volkssturms im September 1944 ist sie aus den Kriegswochenschauen in den Kinos und Propaganda-Illustrierten nicht mehr weg zu denken. Die Bilder zeigen alte Männer beim Panzerfaust-Schießen am Sonntag und Frauen mit Hut und Pelz, die ganz elegant für den scheinbar kinderleichten Abschuss von ein paar Feindpanzern üben.
Als Volkssturm-Bataillone aus alten Männern und Knaben der Hitlerjugend ab Anfang 1945 an der Seite abgekämpfter Wehrmachteinheiten das Reich gegen die vorrückenden Armeen der Alliierten verteidigen sollen, sind Panzerfäuste jedenfalls keine Mangelware. Zwar fehlt es überall an Infanteriewaffen und Munition, Uniformen und Militärschuhen, aber die Panzerbüchsen der HASAG sind ausreichend verfügbar. Auch dort, wo die Panzerfaust 1942 entwickelt wurde, ist das so.
Tödliches Finale in Leipzig
Als im April 1945 der neue Kampfkommandant von Leipzig, Oberst Hans von Poncet, die ihm unterstellten Volkssturmmänner gegen die vorrückenden US-Truppen einsetzt, besitzt nur jeder dritte von ihnen eine Handfeuerwaffe. Panzerfäuste sind allerdings reichlich vorhanden. Am 18. April 1945 schnappt sich ein 16-jähriger Hitlerjunge eine der Waffen und schießt am Plagwitzer "Felsenkeller" einen Sherman-Panzer ab. Die fünf Besatzungsmitglieder verbrennen. Auch der Schütze überlebt das Gefecht nicht. Er fällt kurz darauf im Kugelhagel eines anderen Kampfwagens. Die Rückstoßwolke seiner Panzerfaust hat ihn verraten.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 23. März 2021 | 21:00 Uhr