Geschäfte ohne Grenzen: Schmuggler, Schieber, Spekulanten
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Reportage von Andreas Wolter
06. Dezember 2021, 15:42 Uhr
Die Grenze zwischen den beiden deutschen Staaten schien lückenlos zu sein. Doch trotz Mauer und Stacheldraht gelang es Schmugglern, Löcher im Eisernen Vorhang zu finden. Das Risiko war hoch, der Gewinn verlockend.
Ost-Berlin, 1976: Eigentlich hat Peter Gurak tagsüber genügend Kontakte zu Touristen aus dem Westen. Gurak arbeitet als Kellner im Pressecafé am Alexanderplatz. Die wirklich guten Gespräche führt der gebürtige Görlitzer jedoch zu später Stunde in einschlägigen Nachtbars in der Hauptstadt der DDR. "Zu 80 bis 90 Prozent waren in den etwas teureren Bars vor allem Wessis", erinnert sich Gurak. Und mit einigen von ihnen kommt er ins Geschäft. Es geht um Edelmetalle.
Schmuggel von Edelmetallen
"Es gab einen größeren Schmuggel von Edelmetallen und Goldmünzen. Die wurden im Westen relativ preiswert aufgekauft und dann für viel Geld in der DDR verscheuert." Manfred Suwalski muss es wissen. Er bildet die DDR-Zöllner aus. Und nicht nur die erkennen, dass an dem Schmuggel von Edelmetallen aus dem Westen in die DDR beide Seiten profitieren. Denn die Preisunterschiede für Gold und Silber sind zwischen Ost und West enorm. "In West-Berlin oder auch in der Bundesrepublik zahlte man für ein Gramm Gold 18 D-Mark. Und in der DDR gab es dafür 226 DDR-Mark." Das ist das Zwölffache.
Deshalb sucht Peter Gurak den Kontakt zu Westdeutschen. "Man spricht jemand an. Pass mal auf, wir können doch Geschäfte machen. Ich verdiene, du verdienst." Und Peter Gurak kommt mit einem West-Berliner ins Geschäft. Dieser schmuggelt Goldmünzen aus West- nach Ost-Berlin. "Goldmünzen wurden einfach in die Jackentasche gepackt. Da wurde nicht so genau kontrolliert." Und so lange der Westler die Goldmünze auch wieder mit zurücknahm in den Westen, war es ja auch nicht verboten. Nur: Guraks Partner will die Münze nicht wieder zurücknehmen. Peter Gurak kauft sie ihm ab: eine 20-Reichsmark-Goldmünze für 1.000 DDR-Mark. Schwarz getauscht bringt das dem West-Berliner Schmuggler rund 200 D-Mark. Im Westen hätte er für die Goldmünze nur etwa 80 D-Mark erhalten. Aber auch Gurak macht jetzt ein gutes Geschäft. Er geht zum Staatlichen Münzankauf, zum VEB Münze in Ost-Berlin. "Für das Goldstück habe ich 1.600 DDR-Mark bekommen. Für 1.000 habe ich die Münze gekauft. Also habe ich 600 Mark verdient. Das war ein Monatslohn in der DDR."
Wenn man erwischt wird, kommt man in den Knast
Edelmetalle sind rar in der DDR. Und der große Bruder, die Sowjetunion, exportiert nur wenige Edelmetalle in den deutschen sozialistischen Staat. Also ist er auf den Weltmarkt angewiesen, gegen teure Devisen. Deshalb hat die DDR ein Interesse, dass die eigenen Bürger ihren Schmuck und Münzen abgeben, beim Staatlichen Münzhandel, dem VEB Münze Berlin. Als Anreiz winken hohe Entlohnungen, die ein Vielfaches über den Preisen in der Bundesrepublik liegen. Das wiederum animiert Leute wie Peter Gurak zum Münzhandel mit westdeutschen Partnern. Ein Handel, der verboten und deshalb Schmuggel ist. "Es stand Gefängnisstrafe darauf. Also man musste damit rechnen, wenn man erwischt wird, dass man in den Knast kommt." Selbst Juweliere in der DDR dürfen nicht mit Edelmetallen handeln. Peter Gurak schreckt das aber nicht ab. "Wenn du etwas haben wolltest, was nicht üblich war, musstest du schmuggeln. Anders ging's nicht."
Geschmuggelt wurde alles
Die Mangelwirtschaft in der DDR forciert auch auf anderen Gebieten den Schmuggel von West nach Ost. "Es gab einen großen schwarzen Markt in der DDR mit Produkten, die eben in der DDR nicht erhältlich waren. Und das waren sehr viele", erinnert sich der DDR-Zöllner Manfred Suwalski. Taschenrechner, Quarzuhren, Computerelektronik, sogar Kfz-Ersatzteile nehmen den illegalen Weg aus dem Westen in die DDR.
"Ich glaube im Nachhinein, dass ich etwas Glück gehabt habe, dass nicht so intensiv kontrolliert wurde." Der Niedersachse Axel Kleinfeld ist auch ein kleiner Schmuggler. Aber in West-Richtung. Denn es gibt ebenso Dinge aus der DDR, mit denen sich im Westen Geld verdienen lässt. Kleinfeld hat es auf eine Praktica-Kamera abgesehen. Das hochwertige DDR-Produkt gibt es zwar im Westen für 600 D-Mark. In der DDR kostet die Kamera 1.000 DDR-Mark. Kleinfeld tauscht schwarz im Verhältnis 1:5 und zahlt so nur 200 D-Mark für seine Praktica-Kamera. Nur ausführen darf er sie eigentlich nicht, denn die DDR möchte damit im Westen Devisen verdienen. Also versteckt Axel Kleinfeld die Kamera unter einem Blech im Fußraum seines VW-Käfers. "Und der Trick hat funktioniert", ist Kleinfeld heute noch erleichtert. "Als ich in Helmstedt war, war die Kamera im Westen."