Berliner Mauer und ihr erstes Todesopfer Günter Litfin, der erste Mauertote
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24. Juni 2021, 13:21 Uhr
Günter Litfin, am 19. Januar 1937 in Berlin-Weißensee geboren, war das erste Opfer an der Berliner Mauer. Am 24. August 1961 hatte er versucht, ganz in der Nähe der Charité in den Westteil der Stadt zu fliehen. Dabei wurde er von Grenzsoldaten erschossen. Eine Rekonstruktion dieser tragischen Begebenheit.
Am späten Nachmittag des 24. August 1961 schlenderte der 24-jährige Günter Litfin betont unauffällig über das Gelände der Charité. Plötzlich aber überwand er die westliche Außenmauer der Klinik. Vermutlich wollte er über den Humboldthafen in Richtung Lehrter Bahnhof gelangen. Nach etwa 15 Minuten entdeckten Grenzsoldaten den jungen Mann, der offenbar nach West-Berlin wollte. Sie forderten ihn auf, stehenzubleiben und gaben Warnschüsse ab. Günter Litfin rannte zur Kaimauer des Hafens, sprang ins Wasser und schwamm in Richtung Westen. Jetzt feuerten die beiden Grenzsoldaten gezielt auf den DDR-Flüchtling. Die gesamte Wasserfläche gehörte an dieser Stelle noch zu Ost-Berlin. Kurz bevor Günter Litfin das rettende westliche Ufer erreichen konnte, traf ihn ein Schuss am Hinterkopf. Litfin versank im trüben Wasser des Hafenbeckens. Erst drei Stunden später gelang es der Ost-Berliner Feuerwehr, seinen Leichnam zu bergen. Mehr als 300 Zuschauern verfolgten auf der West-Berliner Seite das grausige Geschehen. Doch auch die Mitarbeiter und Patienten der Charité konnten genau verfolgen, was unmittelbar vor ihrer Haustür geschah.
Wer war Günter Litfin?
Günter Litfin, geboren am 19. Januar 1937, wohnte im Ost-Berliner Stadtbezirk Weißensee. Nach der Schule hatte er eine Schneiderlehre in Charlottenburg absoviert und in einem Modeatelier auch eine Anstellung gefunden. Jeden Tag pendelte er zwischen Ost und West hin und her. Nachdem er in Charlottenburg aber eine Wohnung gefunden hatte, wollte Litfin, der aus seiner Abneigung gegen das SED-Regime keinen Hehl machte und Mitglied der illegalen Ost-CDU war, in den Westen übersiedeln. Noch am Vortag des Mauerbaus, am 12. August 1961, war er mit seinem Bruder in Charlottenburg gewesen, um die Wohnung einzurichten. Am nächsten Morgen war der Weg nach Westen plötzlich durch die Berliner Mauer - die zu diesem Zeitpunkt noch eher einem Grenzzaun glich - versperrt. Günter Litfin sondierte daraufhin eingehend die Lage an der Mauer, um irgendwie doch nach West-Berlin zu gelangen. Er entschied sich für den Weg über die Charité und den Humboldthafen.
Reaktionen in West und Ost auf Günter Litfins Tod
Der schreckliche Tod Günter Litfins löste in West-Berlin und der Bundesrepublik Empörung aus: "Ulbrichts Menschenjäger wurden zu Mördern!", hieß es etwa in der West-Berliner Zeitung "B.Z." In Bonn verurteilte Bundeskanzler Konrad Adenauer die Ermordung des jungen DDR-Flüchtlings scharf.
In der DDR hingegen startete umgehend eine groß angelegte Diffamierungskampagne. Im "Neuen Deutschland", dem Zentralorgan der SED, wurde Günter Litfin als homosexueller Prostituierter verhöhnt. Er sei eine durch und durch "kriminelle Gestalt" und ein "finsteres Element" gewesen. Ein Jahr später, als Peter Fechter an der Mauer verblutete, sagte Karl-Eduard von Schnitzler in seinem "Schwarzen Kanal": "Das Leben eines jeden Einzelnen unserer tapferen Jungen in Uniform ist uns mehr wert als das Leben eines Gesetzesbrechers. Soll man von unserer Staatsgrenze wegbleiben – dann kann man sich Blut, Tränen und Geschrei sparen."
"Ehrenzeichen der Volkspolizei" für die Todesschützen
Die beiden "tapferen Jungen in Uniform", die Günter Litfins Leben beendet hatten, wurden nur wenige Tage später von DDR-Innenminister Karl Maron persönlich geehrt. Sie erhielten das "Ehrenzeichen der Volkspolizei", eine noble Uhr und 200 Mark - sehr viel Geld für damalige Verhältnisse. 1997, 36 Jahre später, mussten sich die beiden Ex-Grenzer schließlich vor dem Landgericht Berlin wegen "gemeinschaftlich begangenen Totschlags" verantworten. Das Urteil: Freiheitsstrafen von einem Jahr sowie einem Jahr und sechs Monaten. Ein sehr mildes Urteil, zumal die Strafen dann auch noch zur Bewährung ausgesetzt wurden.
Erinnerung an Günter Litfin
Günter Litfin ist nicht vergessen. In Weißensee erhielt 2003 eine Straße seinen Namen, in Berlin-Mitte, am Kapelle-Ufer, unweit des Fluchtsorts, erinnert ein Gedenkstein an das erste Opfer der Berliner Mauer.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Charité - Geschichten von Leben und Tod | 19. Januar 2021 | 22:10 Uhr