Schleuse zwischen Ost und West Der DDR-Grenzübergang Marienborn
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13. August 2021, 05:00 Uhr
Am 13. August 1996 wird der ehemalige deutsch-deutsche Grenzübergang zwischen der DDR und der Bundesrepublik in Anwesenheit des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), als "Gedenkstätte im Aufbau" eingeweiht. Die DDR-Grenzübergangsstelle Marienborn-Helmstedt wurde von 1972 bis 1974 errichtet. Doch die Geschichte des Kontrollpunkts rund zwei Kilometer nordwestlich der Gemeinde Marienborn reicht noch weiter zurück.
"Wir Grenzsoldaten erfüllen wachsam, kampfentschlossen und diszipliniert unseren militärischen Klassenauftrag." Diese Parole der Grenztruppen wurde zum elften Parteitag der SED 1986 ausgegeben. Was sie bedeutete, stellte sich in vielen Jahren Aufarbeitung seit der Wende heraus. Zu entdecken ist die Losung in der Dauerausstellung der Gedenkstätte Marienborn. Hier, wo sich gut 15 Jahre lang eine der wenigen Schleusen zwischen Ost- und Westdeutschland befand.
Weitreichendes Überwachungssystem
Die DDR-Grenzübergangsstelle (GÜSt) Marienborn-Helmstedt wurde von 1972 bis 1974 errichtet. Doch die Geschichte des Kontrollpunkts rund zwei Kilometer nordwestlich der Gemeinde Marienborn reicht weiter zurück. Am 01. Juli 1945 schufen ihn die alliierten Siegermächte - direkt an der Reichsautobahn und der Eisenbahnlinie Berlin-Hannover. 1950 übernahm dann die DDR die Kontrolle.
Mit zeitweise mehr als 1.000 Bediensteten entwickelte sich der Grenzübergang ab 1974 zum bedeutendsten an der deutsch-deutschen Grenze. Große Anzeigetafeln wiesen den ankommenden Fahrzeugen den Weg: "Transit Westberlin" beispielsweise. Oder "Einreise DDR". Doch der Grenzübergang hatte auch eine militärische Funktion: Im Fall eines Angriffs durch die Nato sollte der Standort verteidigt werden. In unmittelbarer Nähe waren rund 100 Soldaten stationiert, die im Ernstfall durch ein unterirdisches Tunnelsystem schnell an strategisch wichtige Punkte gelangt wären.
Außerdem verfügte die Anlage über ein kleines Kraftwerk, das Strom für rund acht Stunden liefern konnte, falls die Hauptleitungen gekappt würden. Schon im normalen Betrieb benötigte die Grenzübergangsanlage so viel Strom wie eine Stadt mit 20.000 Einwohnern.
Auch die Totenruhe ist nicht heilig
Die Wechselstube auf der Anlage war rund um die Uhr geöffnet, 365 Tage im Jahr, und beschäftigte etwa 40 Angestellte in drei Schichten. In einer Leichenhalle wurden Särge zwischengelagert, die überführt werden sollten: DDR-Zöllner öffneten sie, um zu prüfen, ob sich nicht Schmuggelware oder gar ein "Republikflüchtiger" darin befand. Erst danach durften die Särge wieder verschlossen und weitertransportiert werden.
"Fiffi" stoppt die Flucht
Ein weitreichendes Überwachungssystem sollte Fluchtversuche von DDR-Bürgern verhindern. Schon im Bereich vor dem Übergang waren zahlreiche Sperranlagen angebracht, zum Beispiel Kfz-Rollsperren zur Verhinderung von Grenzdurchbrüchen in Autos.
Auch am 22. November 1983 scheiterte ein Fluchtversuch: Hans-Jürgen Fricke versuchte damals, mit einem vollgetankten Minol-Tanklaster die Grenze in Richtung Westen zu durchbrechen. Ein tonnenschwerer Stahlträger stoppte ihn - der sogenannte "Fiffi", ein Betonrammbock, der bei Fluchtversuchen auf die Fahrbahn schnellte und auch tonnenschwere Lkw bei schneller Fahrt stoppte. Dem Lkw von Hans-Jürgen Fricke riss er die Vorderachse weg.
In seinem Prozess wurde Hans-Jürgen Fricke später zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Nachdem im November 1989 die Mauer gefallen war, saß er noch fast ein halbes Jahr im Gefängnis. Erst später wurde er rehabilitiert - man hatte ihn buchstäblich vergessen.
Die DDR verliert einen Helden
Einer, der am Grenzübergang Marienborn für immer das Land verließ, ist Jürgen Sparwasser. Der legendäre DDR-Fußballer hat ganz besondere Erinnerungen an den Übergang: Im Januar 1988 saß er hier im Mannschaftsbus, unterwegs zu einem Turnier in Saarbrücken. Und hier überlegte er auch noch einmal einen Moment, ob er wirklich "drüben" bleibt. Doch seine Frau war bereits auf einer Besuchsreise in der Bundesrepublik, mit ihr war alles abgesprochen, und er fühlte sich schon länger unwohl in seinem Heimatland. Nach seinem 1974er WM-Siegtor gegen die Bundesrepublik sah er sich, wie er später sagte, mehr und mehr als "Propagandamaschine" benutzt. Und so wurde die Überfahrt zum Abschied. In Marienborn verlor die DDR einen ihrer größten Sport-Helden.
Heimlicher Einsatz von Röntgenstrahlen
Wer hier durch wollte, wurde streng kontrolliert. Das galt für die Reisenden selbst, für ihre Autos und alles, was sie transportierten. Wie genau diese Kontrollen waren, stellte sich nach der Wende heraus: Jahrelang hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) auch Röntgenstrahlen zur Kontrolle des innerdeutschen Grenzverkehrs eingesetzt. Die radioaktive Fahndungstechnik erfasste Personenwagen und Lastautos, machte in ihnen versteckte Menschen als dunklen Fleck auf Bildschirmen sichtbar - ohne Wissen der kontrollierten Reisenden. Auch die gewöhnlichen DDR-Zöllner wussten nicht von der Existenz der Geräte. Nur ausgewähltes Personal war eingeweiht. Gesundheitsgefahren, so stellten Strahlenschützer später fest, bestanden durch die geringe radioaktive Dosis nicht.
Am 09. November 1989 hatte das Ganze ohnehin ein Ende. Es war der Tag, an dem die Mauer fiel - und der Anfang vom Ende des Grenzübergangs. Hunderttausende DDR-Bürger nutzten ihn im November zu Kurzbesuchen in Westdeutschland. Legendär sind die Fotos von der sich kilometerlang stauenden Zweitakter-Kolonne auf der A 2. Ende Juni 1990 schließlich endeten die Kontrollen in Marienborn, die Übergangsstelle wurde im Oktober desselben Jahres unter Denkmalschutz gestellt. Am 13. August 1996 wird der ehemalige deutsch-deutsche Grenzübergang zwischen der DDR und der Bundesrepublik in Anwesenheit des Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reinhard Höppner (SPD), als "Gedenkstätte im Aufbau" eingeweiht.
Auch die Jungfrau Maria kam vorbei
Was im Strudel der Einigungsgeschichte unterging und viele nicht wissen: Der Ort, der dem Grenzübergang den Namen gab, ist selbst ein ganz besonderer. Das kleine Marienborn ist einer der ältesten Wallfahrtsorte Deutschlands. Etwa um das Jahr 1.000 soll hier einem Hirten die Jungfrau Maria erschienen sein. Noch in den letzten Jahren der DDR pilgerten Christen unter großen Mühen und Schwierigkeiten zu dem im Sperrgebiet gelegenen Wallfahrtsort.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 04. August 2021 | 07:40 Uhr