Freikauf politischer Häftlinge aus der DDR Wie viel ist ein Mensch wert? Über den Geldfluss für Häftlinge aus der DDR
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24. November 2021, 12:27 Uhr
Von 1963 bis zum Ende der DDR wurden etwa 33.000 Häftlinge aus den Gefängnissen der DDR durch die Bundesrepublik freigekauft. Ein Geschäft, das beiden Seiten nutzte. Die einen verdienten, die anderen machten die Mauer durchlässig. Doch wie lief die Bezahlung ab? Wurden bei Nacht und Nebel Menschen gegen Geldkoffer getauscht? Die Realität war völlig anders. Butter und Rohdiamanten spielten auch eine Rolle.
Durch den Bau der Berliner Mauer im August 1961 nahm die Bundesrepublik die DDR als Realität war, die Mauer zementierte sozusagen die Existenz des Staates. Den Politikern der Bundesrepublik schwante, dass man sich mit der DDR irgendwie arrangieren musste.
Häftlingsfreikauf
Als Häftlingsfreikauf wird der Freikauf von politischen Häftlingen aus der DDR durch die Bundesrepublik bezeichnet. Von 1963 bis 1989 hat die Bundesrepublik Deutschland insgesamt 33.755 politische Häftlinge aus DDR-Gefängnissen freigekauft. Die DDR billigte ein Inhaftierte ausreisen zu lassen, wollte dafür aber Gegenleistungen. Insgesamt belief sich der Preis für die Freilassung auf fast 3,5 Milliarden D-Mark.
Vorteile für beide deutsche Staaten
Hinzu kam, dass durch die intensive Arbeit der christlichen Kirchen die Lage der DDR-Häftlinge auch in der Bundesrepublik präsenter wurde: zum einen deren Wunsch, in den Westen kommen zu wollen, aber auch die oft sehr langen Haftstrafen und menschenunwürdigen Bedingungen, mit Zwangsarbeit oder auch Isolationshaft. Und auch westdeutsche Fluchthelfer, die in der DDR verhaftet wurden, saßen dort im Gefängnis. Der humanitäre Druck etwas zu tun, wuchs. Gleichzeitig hatte die DDR finanziellen Druck. Die wirtschaftliche Lage war schlecht, Verhandlungen über mögliche Kredite durch die Bundesrepublik kamen ins Rollen und damit auch erste gedankliche Verbindungen zwischen der Entlassung politischer Häftlinge und ökonomischen Gegenleistungen.
Es nutzte ja beiden Seiten gewissermaßen, für die westliche Seite war es eine Möglichkeit, politisch voranzukommen, eine Möglichkeit den Menschen in der DDR und den politischen Gefangen zu helfen, ganz konkret. Das war vorher so ja gar nicht möglich. Und auf Seiten der DDR war es eben eine ganz konkrete Möglichkeit, sich Devisen zu verschaffen.
Über den Autor Jan Philipp Wölbern
Jan Philipp Wölbern ist Jahrgang 1980. Er arbeitet derzeit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. in Berlin und ist dort Referent für Osteuropa. Er hat Geschichte, Politikwissenschaften und Englisch für das Lehramt studiert. Jan Philipp Wölbern hat an der Universität Potsdam über das Thema Häftlingsfreikauf promoviert. Seine Dissertation über den Häftlingsfreikauf wurde mit dem 7. Potsdamer Nachwuchswissenschaftlerpreis ausgezeichnet. In seinem Buch "Häftlingsfreikauf aus der DDR" erforschte er vor allem auch die finanzielle Seite des Freikaufs von Häftlingen. Wann wurde was gezahlt und waren Akademiker teuer als Handwerker? Informationen zum Buch: "Der Häftlingsfreikauf aus der DDR 1962/63 – 1989 – Zwischen Menschenhandel und humanitären Aktionen", 2014 (ISBN 978 – 3 – 525 – 35079-9)
Feilschen um Menschen
Drei Aspekte des Geschäfts waren die Ursache für tagelange Verhandlungen: Wer kommt frei? Was kostet derjenige und wird bar gezahlt oder in Sachleistungen? Vor dem Mauerbau gelang über Initiativen der Kirchen und private Anstrengungen auch der ein oder andere Freikauf gegen Geld. Eine tatsächliche Routine begann aber erst 1963, mit dem ersten ausdrücklich durch die Bundesregierung initiieren Freikauf. Acht Häftlinge wurden in die Bundesrepublik entlassen, gegen insgesamt etwa 200.000 DM in bar. Nach Recherchen von Jan Philipp Wölbern, wurde danach aber kein Bargeld mehr gezahlt.
Die Bundesregierung hat von Anfang an die Auffassung vertreten, wir wollen, wenn irgendwie möglich, keine Barzahlungen leisten. Sondern die Grundüberlegung war stets, wir wollen, wenn es geht, der Bevölkerung Waren zugutekommen lassen. Und das ist dann auch 1964 beim zweiten Freikauf im großen Stil gelungen. Man hat dann nicht mehr Bargeld transferiert, sondern sogar Lebensmittel. Kaffee, Butter, Südfrüchte und andere Waren.
Auch wenn dann kein Bargeld mehr gezahlt wurde, gingen Ende der 60er Jahre die Forderungen der DDR Richtung Industriegüter: Erdöl, Rohdiamanten, Kupfer, Silber – Waren, die dann am Weltmarkt in Devisen umwandelbar waren. Das Feilschen um die Menschen selbst und deren Preis aber blieb weiterhin ein zeitaufwändiges Prozedere.
Die Bundesregierung erstellte Listen mit Namen von politisch Inhaftierten, von denen sie durch Freunde oder Verwandte Kenntnis bekommen hatte. Die Listen reichte sie an den DDR-Anwalt Wolfgang Vogel weiter. Er gab diese an die Staatssicherheit. Dort wurden die Listen geprüft und dann wurde diese Liste mit Kommentaren an den Westen zurückgereicht und man konnte sehen, welche Häftlinge die DDR bereit war, zu entlassen und welche nicht. Das Feilschen begann:
Und das war dann der kritische Teil, die sogenannten Z-Fälle, also Z für zurück, weil die Bundesregierung dann sagte, so einfach geht das nicht, ihr könnt nicht einfach Namen streichen, da müssen wir jetzt einen Kompromiss finden. Diese Kompromiss-Findung nahm häufig Nachtschichten, Nachtsitzungen in Anspruch, es wurde bis zum Letzten über einzelne Fälle verhandelt.
Wie viel soll der Häftling kosten?
Und nachdem sich geeinigt wurde, wer freigekauft werden soll, kam die Frage nach den Preisen auf die Tagesordnung. Anfangs standen etwa 40.000 DM pro Häftling als Durchschnittspreis im Raum, aber die DDR forderte manchmal auch bis zu 200.000 DM. Die Bundesrepublik wollte nur dann höhere Sätze zahlen, wenn jemanden damit eine lange Haftstrafe erspart würde. Die DDR aber machte den Preis auch abhängig von der Ausbildung. Sie hatte das ideologische Verständnis: der Staat hat der Person beispielweise ein Studium finanziert, bei einem Freikauf entstünde ein Schaden. Auch hier kostete das Hin- und Her viel Zeit.
Aus diesem Grund und auch um das Klima zu verbessern, in dem diese Verhandlungen stattfanden, hat man sich dann Ende der 70er Jahre auf eine Pauschalsumme geeinigt. Und das war im Grund der Durchschnitts-Wert der Summen, die vorher gezahlt wurden. Und das lag bei 96.000 DM pro Häftling.
Die Schicksale hinter der Theorie
Die Berlinerin Renate Werwigk-Schneider war 22 Jahre, als die Mauer gebaut wurde und konnte es nicht glauben: "Da brach für mich die Welt zusammen. Die Vision, ich würde kein anderes Land der Welt mehr sehen zu kriegen, keine andere Stadt, nicht nach Paris, das war undenkbar. Der Eindruck war einfach schrecklich."
Sie wollte raus aus der DDR. Doch zwei Fluchtversuche scheiterten. Vom Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen kam sie 1967 ins berüchtigte Frauengefängnis Hoheneck. Ein Jahr später wurde sie freigekauft. Auch wenn sie weiß, dass viel über die Frage: "Menschenhandel ja oder nein?" diskutiert wurde, ist sie unendlich dankbar, dass so ihr Wunsch nach Freiheit erfüllt wurde. Heute, 53 Jahre nach dem Freikauf, zieht sie das Resümee:
Ich habe wirklich das Leben geführt, was ich wollte. Bis heute. Dadurch. Das war es wert.
Renate Werwigk-Schneider
Renate Werwigk-Schneider ist Jahrgang 1938. Sie wurde nach zwei gescheiterten Fluchten inhaftiert und im Juli 1968 von der Bundesrepublik freigekauft. Seitdem lebt sie in Westberlin und hatte bis zum Renteneintritt eine Praxis für Kinderheilkunde.
Mehr als drei Milliarden D-Mark brachte die Bundesregierung über die Jahrzehnte verteilt für die Freikäufe auf. Peanuts für die BRD und lebensnotwenig für die DDR? Jan Philipp Wölbern hat auch dazu eine Einschätzung: "Mit Blick auf die Bundesrepublik waren diese Gelder, insgesamt waren es 3,4 Milliarden DM über die gesamte Zeit gerechnet, keine besonders große Summe. Gemessen am Bundeshaushalt eher untergeordnete Größen. Mit Blick auf die DDR stellt sich die Situation so dar, dass diese Einkünfte aus dem Freikauf den Untergang der DDR jetzt nicht verhindert haben. Aber das Geld hatte die Funktion die Zahlungsfähigkeit, die Liquidität aufrecht zu erhalten. Man hat einen Gutteil dazu genutzt, um sie in die Zahlungsbilanz einzustellen."
Bei den Häftlingen handelte es sich meistens um Menschen, die wegen Republikflucht verurteilt wurden. Nachdem die Häftlinge von der Bundesrepublik freigekauft wurden, brachte man sie ins Chemnitzer Kaßberg-Gefängnis. Von dort traten sie die Reise in Bussen mit westdeutschen Kennzeichen über den Grenzübergang Herleshausen/Wartha in den Westen an.
Dieses Thema im Programm: MDR Zeitreise: Der lange Schatten der Berliner Mauer | 08. August 2021 | 22:00 Uhr