1989: Letzte Todesschüsse an der innerdeutschen Grenze Die Berliner Mauer und ihr letztes Opfer
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24. Juni 2021, 13:32 Uhr
Am 13. August 1961 wurde die Grenze nach Westberlin abgeriegelt. 327 DDR-Bürger starben an der knapp 1.400 Kilometer langen deutsch-deutschen Grenze beim Versuch, aus der DDR zu fliehen. Das letzte Todesopfer war der zwanzigjährige Chris Gueffroy. Gemeinsam mit seinem Freund versuchte er in die BRD zu flüchten. Die Flucht scheiterte. Am 5. Februar 1989 wurde er von Grenzsoldaten erschossen.
Ungewohnt offen räumte Walter Ulbricht im Juli 1961 vor dem Zentralkomitee ein, wie schwierig es war, die Bürger des Landes für ein freiwilliges Bleiben in der DDR zu begeistern.
Es ist bisher nicht gelungen, die Massen der Bevölkerung auch nur in den Grundfragen der Politik der Arbeiter- und Bauernmacht aufzuklären und zu überzeugen.
Alle Kampagnen und Propaganda liefen ins Leere. Wer konnte, floh vor politischem Druck und wirtschaftlicher Enthaltsamkeit. Seit der Gründung der DDR waren bis zu diesem Zeitpunkt über 2,5 Millionen Menschen in den Westen geflüchtet, darunter besonders Fachkräfte wie Ärzte, Lehrer, Ingenieure. Im Jahr 1961 erreichte die Fluchtwelle einen neuen Höhepunkt. Bis zum Bau der Mauer hatten in jenem Jahr etwa 150.000 Menschen das Land verlassen, die Hälfte davon allein im Juli und August.
"Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen"
Gerüchte über eine bevorstehende Grenzschließung hatte es schon länger gegeben, aber noch am 15. Juni wies Ulbricht auf einer Pressekonferenz alle Vorwürfe zurück. Einer westdeutschen Journalistin erklärte er:
Ich verstehe Ihre Frage so, dass es Menschen in Westdeutschland gibt, die wünschen, dass wir die Bauarbeiter der Hauptstadt der DDR mobilisieren, um eine Mauer aufzurichten. Mir ist nicht bekannt, dass eine solche Absicht besteht. Die Bauarbeiter unserer Hauptstadt beschäftigen sich hauptsächlich mit Wohnungsbau, und ihre Arbeitskraft wird voll dafür eingesetzt. Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!
Zwei Monate danach steht die Berliner Mauer und Walter Ulbricht gilt als Lügner der Nation. Nach 1961 entwickelt sich die innerdeutsche Grenze dann zu einem unüberwindbaren Hindernis mit Todesstreifen. Tretminen, Signalzäune und Selbstschussanlagen machten den Fluchtversuch zu einem hochriskanten Manöver.
In der Nacht wird Berlin abgeriegelt
Zeitzeugen haben noch heute die Bilder vor Augen. Am 12. August 1961 wurde im Abendprogramm des DFF gefeiert: Im Rafena-Werk war der 1.000.000 Fernseher fertig gestellt worden. Zur gleichen Zeit wurde in Berlin eine bereits im April erteilte Anweisung Walter Ulbrichts umgesetzt: Nationale Volksarmee, Volkspolizei und Betriebskampfgruppen bereiteten den Bau der Berliner Mauer vor. Um ein Uhr morgens wurden an der Sektorengrenze die ersten Autofahrer zurückgewiesen, eine Stunde später trafen schwer bewaffnete Einheiten ein und bildeten eine Postenkette. Pioniereinheiten begannen, Stacheldrahtverhaue und Spanische Reiter aufzustellen, der Alexanderplatz war voller Panzer. Es dauerte nur wenige Stunden und die Sektorengrenze war abgeriegelt.
Am frühen Morgen waren alle Verkehrsverbindungen unterbrochen. Erich Honecker, der Leiter des Generalstabes, kommentierte stolz in seinen Memoiren:
Wir konnten befriedigt feststellen, dass wir nichts Wesentliches unberücksichtigt gelassen hatten.
Auch die zurückhaltende Reaktion der Westalliierten war einkalkuliert. Am 25. Juli 1961 hatte John F. Kennedy drei "Essentials" formuliert, deren Verletzung ein militärisches Eingreifen des Bündnisses in Berlin erforderten: unveränderter Status West-Berlins, Präsenz amerikanischer Truppen in Berlin und freier Verkehr zwischen West-Berlin und BRD. Keinen dieser "Essentials" hatte der Mauerbau berührt, entsprechend beließen es die Alliierten bei verbalen Protesten.
Hunderte Ostdeutsche sterben an der Mauer
Zahlreiche Menschen entschlossen sich zur Flucht. 6.904 DDR-Bürgern gelang noch in der Nacht zum 14. August der illegale Grenzübertritt. Sie kletterten über unübersichtliche Trümmergrundstücke, schwammen durch Kanäle, sprangen über Stacheldrahtverhaue oder seilten sich aus Fenstern ab. Am 15. August trafen vorgefertigte Betonteile ein. Die Regierung hatte ihr Volk eingemauert.
Eines der ersten Opfer der Berliner Mauer war Ida Siekmann, die aus einem Fenster in der Bernauer am 22. August 1961 sprang und ihren Verletzungen erlag. Wenige Tage später wurde am 24. August 1961 der erste Flüchtling, Günter Liftin, erschossen. Ein Jahr später, am 17. August 1962, fielen erneut tödlichen Schüsse an der Mauer. Zwei Jugendliche wurden von Grenzposten unter Beschuss genommen, als sie versuchten, die Mauer zu überklettern. Nur einem der beiden gelang die Flucht, der 18-jährige Bauarbeiter Peter Fechter verblutete an seinen Verletzungen in Lunge und Bauch. Er verblutete im Niemandsland. Anwesende US-Soldaten weigerten sich einzugreifen.
Zwei Dinge wurden nun endgültig klar. Die DDR war entschlossen, mit allen Mitteln das Grenzregime aufrecht zu erhalten. Und der Westen würde nichts dagegen tun. So wurde der tragische Tod von Peter Fechter zum Beginn einer Politik der kleinen Schritte, die vor allem die menschlichen Beziehungen zwischen den Teilen Deutschlands und Berlins aufrecht erhalten wollten. Dazu musste mit der DDR verhandelt werden. Schließlich wurde die Teilung anerkannt, um sie langfristig zu überwinden. Dieser Weg war in letzter Konsequenz erfolgreich. Doch vorher starben noch tausend Menschen am "antifaschistischen Schutzwall".
5. Februar 1989: Chris Gueffroy wird erschossen
Am ersten Sonntag des Februars 1989 beendeten drei Schüsse den Fluchtversuch der Freunde Chris Gueffroy und Christian Gaudian. Beide träumten den Traum vieler Jugendlicher in der DDR: in die Welt zu reisen und der Enge des vorgezeichneten Weges zu entkommen. Daneben sollte Gueffroy im Mai zur NVA eingezogen werden. Als sie von einem Bekannten erfuhren, dass der Schießbefehl ausgesetzt sei und nur noch auf Fahnenflüchtige geschossen werde, schmiedeten sie Fluchtpläne. Tatsächlich hatte Honecker im Dezember 1988 gegenüber dem Ständigen Vertreter der BRD in Ost-Berlin erklärt, es gäbe keinen Schießbefehl mehr:
Wenn jetzt noch Schüsse fallen, dann sind es Warnschüsse.
Am Abend des 5. Februar näherten sich Gueffroy und Gaudian der Berliner Mauer zwischen Treptow und Neukölln. Gegen 23:40 Uhr erreichten sie die Grenzanlage. Unbemerkt überstiegen sie die Hinterlandmauer, lösten aber beim Passieren des Signalzauns Alarm aus. Nun lag nur noch ein hoher Metallzaun vor ihnen. Eine Gartenkralle, an der ein Seil befestigt war, sollte als Wurfanker dienen. Doch zu deren Einsatz kam es nicht mehr. Bevor sie das letzte Hindernis überwinden konnten, wurden sie von einem Posten unter Beschuss genommen. Die Flucht vor den Grenzsoldaten trieb sie direkt in die Arme eines zweiten Postenpaares, welches das Feuer eröffnete.
Der zwanzigjährige Chris Gueffroy wurde von einer Kugel tödlich getroffen. Er war das letzte Todesopfer an der innerdeutschen Grenze. Für den verletzten Christian Gaudian endete der Fluchtversuch mit einer Gerichtsverhandlung. Das Mitführen eines Wurfankers und das Handeln als Gruppe reichten für das Bezirksgericht Berlin-Pankow aus, um für den Tatbestand des ungesetzlichen Grenzübertrittes eine besondere Schwere festzustellen. Christian Gaudian wurde am 24. Mai 1989 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise | 08. August 2021 | 22:00 Uhr