Eine Frau schaut sich das Cover «Zonen-Gaby - meine erste Banane» des Satiremagazins Titanic an.
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Umfrage | 35 Jahre Einheit "Zonen-Gaby" und "Milliardengrab": Wird Ostdeutschland in den Medien schlechtgeredet?

03. Oktober 2024, 11:29 Uhr

Ostdeutsche kommen in der überregionalen Berichterstattung häufig zu schlecht weg – diesen Eindruck hat laut einer aktuellen Erhebung des MDR eine große Mehrheit der Menschen in Mitteldeutschland. Woher kommt dieser Eindruck, dass der Osten zu negativ dargestellt wird?

Mürrisch, in Protesthaltung verharrend und etwas ungepflegt – so sieht der "Ossi" aus, zumindest wenn man den Medien glauben mag. Denn diese Zuschreibungen prägen das Bild der Ostdeutschen, wie eine systematisierte Querschnittanalyse von Presseartikeln über Ostdeutschland und die Ostdeutschen seit 1990 ergab. Sie wurde für die ARD-Dokumentation "Es ist kompliziert… Der Osten in den Medien" durchgeführt. Kein Wunder, dass in einer Erhebung des Meinngsbarometers MDRfragt 77 Prozent der Teilnehmenden die überregionale Berichterstattung über den Osten Deutschlands als eher negativ einschätzen. Nur drei Prozent der Befragten aus Mitteldeutschland sehen sich positiv medial repräsentiert.

Dokumentation in der ARD-Mediathek

Auch die Medienwissenschaftlerin Mandy Tröger erkennt in der Berichterstattung über die Ostdeutschen mehrere Negativ-Muster. Diese ziehen sich bereits seit der Wiedervereinigung durch die medialen Darstellungen: "Wir haben, vor allem wenn es um die Berichterstattung über Ostdeutschland geht, viele stereotype oder sich wiederholende Muster, zum Beispiel Rechtsradikalismus, Arbeitslosigkeit. Die Ostdeutschen nörgeln angeblich. Diese negativen Narrative haben sich bis heute gehalten."

"Zonen-Gaby" – Klischeebild der Ostdeutschen

Wenn es um Klischees über Ostdeutsche geht, kommt man an "Zonen-Gaby" wohl kaum vorbei. Das Bild einer jungen Frau, die mit geschälter Gurke in der Hand und der Schlagzeile "Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD): Meine erste Banane" im November 1989 das Cover der westdeutschen Satire-Zeitschrift "Titanic" zierte, steht sinnbildlich für viele Vorurteile, die den Ostdeutschen direkt nach dem Mauerfall von westdeutscher Seite entgegenschlugen. Ein Bild, zu dem – wie der damalige Redakteur Hans Zippert anmerkt – die Ostdeutschen selbst eigentlich wenig beitrugen: "Die wurden ja ganz schnell ein Gegenstand der Berichterstattung und auch der Einordnung. Und nur darauf haben wir ja meistens auch reagiert. Wir haben gar nicht gesagt oder festgelegt so sind die oder so sind die nicht, sondern das kam dann durch die Berichterstattung im Fernsehen." 

Moritz Hürtgen, Chefredakteur des Satiremagazins "Titanic", steht vor den Redaktionsräumen mit einer Jubiläums-Stofftasche.
Das Zonen-Gaby-Cover ist so bekannt geworden, dass die Satirezeitschrift "Titanic" mit einem ähnlichen Motiv ihr 40. Jubiläum bewarb. Bildrechte: picture alliance/dpa | Frank Rumpenhorst

Fokus auf negativen Stereotypen

Während viele Klischees auf dem Titanic-Cover bewusst satirisch überspitzt dargestellt wurden, griffen andere Schlagzeilen der 1990er Jahre die negativen Stereotype über Ostdeutsche ganz unironisch auf: "Milliardengrab 'Aufschwung Ost'", "Große Pleite", "Opfer für den Osten". Das Bild, das – westdeutsche – Medien von den "neuen" Bundesländern zeichneten, war vollgeladen mit negativen Zuschreibungen.

Häufig kamen die Ostdeutschen dabei schlecht weg, wie die stellvertretende SWR-Chefredakteurin Marieke Reimann, die selbst den 1990er Jahre in Ostdeutschland aufwuchs, zusammenfasst: "Es wurde in einem negativen Kontext Bericht erstattet, auch mit einem starken Fokus auf politischen und wirtschaftlichen Themen, so dass man dann eher bis heute oft mit Worten zu tun hat, wie 'abgeschlagen' oder 'faul'. Also der Ostdeutsche nicht als handelndes, aktives Wesen, sondern eher so als Fauler, der an seiner eigenen Situation selbst schuld ist."

So wie dieses kleine Mädchen boykottierten am 06.07.1993 Hunderte Kinder mit ihren Lehrern aus dem Kaliort Bischofferode und der näheren Umgebung des Unterricht und zogen mit Transparenten vor die Werktore des besetzten Kalischachtes.
Kumpel des von der Trehand "abgewickelten" Kaliwerkes Bischofferode in Thüringen. Lange Zeit prägten negative wirtschaftliche Schlagzeilen die Brichterstattung über den Osten. Bildrechte: picture alliance / ZB | Ralf Hirschberger

Oberflächliche und einseitige Berichterstattung

Diese Einschätzungen können erklären, wieso viele Ostdeutsche die Berichterstattung überregionaler Medien als wenig ausgewogen bewerten. So gaben bei der MDRfragt-Erhebung 56 Prozent der Teilnehmenden an, dass sie die überregionale Berichterstattung als voreingenommen wahrnehmen. Die Medien werden zudem häufig als oberflächlich (55 Prozent) und einseitig (48 Prozent) eingeschätzt. Fast ein Drittel der Befragten beurteilen die Art, über Ostdeutschland zu berichten, als manipulativ (32 Proezent), ein gutes Viertel empfand sie als sensationslustig (27 Prozent). Im Gegensatz dazu halten etwa ein Zehntel (neun Prozent) der Befragungsteilnehmer die Berichterstattung für informativ. Als neutral wird sie nur von sieben Prozent der Teilnehmenden bewertet.

Möglicherweise hängt diese Wahrnehmung auch damit zusammen, wie sporadisch überregionale Medien für lange Zeit über den Osten berichteten. Viele Medien nahmen den Osten Deutschlands – abseits von der Wahlberichterstattung – häufig eher als Besuchsziel für Roadtrip-Reportagen wahr. Journalisten "fuhren da mal hin" und machten sich ein Bild von der Region. Perspektiven vor Ort wurden dabei aber kaum bis gar nicht gehört.

Mai 1990. Unterwegs in die DDR. Wenige Monate nach der Maueröffnung und noch gut ein halbes Jahr vor der Wiedervereinigung bereiste der Dokumentarfilmer Reinhard Kungel mit seinem Team die (Noch-)DDR.
Mai 1990: Wenige Monate nach der Maueröffnung bereiste der Dokumentarfilmer Reinhard Kungel die (Noch-)DDR. Im Jahr der Einheit verständlich – doch der Osten war für viele westdeutsche Journalisten noch Jahre später kaum mehr als das Ziel von Roadtrip-Reportagen. Bildrechte: MDR/Reinhard Kungel

Hoffnungsschimmer: neue Herangehensweise

Die überregionalen Medien prägten damit eine Art der Berichterstattung, die seit den 1990ern für viele Jahre Bestand hatte: den kritischen Blick aus dem Westen auf den Osten. Oder wie es Zeit-Journalist Christoph Dieckmann formuliert: "Der große Unterschied zwischen Ost und West besteht darin, dass der Osten alles wahrnimmt, was der Westen über ihn behauptet. Umgekehrt ist es gar nicht so, denn der Osten kann nichts über den Westen behaupten, weil er keine Medien hat."

Dieser Blick aus der Distanz war viele Jahre prägend für die Ost-Berichterstattung, wie auch der Journalist Josa Mania-Schlegel von der "Leipziger Volkszeitung" anmerkt. Inzwischen habe sich die Herangehensweise jedoch zu großen Teilen gewandelt: Große Zeitungen würden meist Korrespondenten in Ostdeutschland beschäftigen. Und auch die Regionalzeitungen vor Ort seien langsam im Begriff aufzuwachen, denn es gäbe durchaus ein Interesse für Geschichten, die über die einfachen Nachrichten hinausgehen, aber, so Mania-Schlegel: "die kann man nur aufschreiben, wenn man hier ist und wenn man die Dinge länger als einen Wimpernschlag beobachtet. Und nicht einfach mal für einen Nachmittag hinfährt."

Über diese Befragung

Die Befragung vom 12. bis 16. September 2024 stand unter der Überschrift: "Sind wir der Osten – und wenn ja, wie viele?".

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 24.476 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Es ist kompliziert… – Der Osten in den Medien | 10. Oktober 2024 | 20:15 Uhr