Drei Jungen und ein Mädchen stehen lächelnd auf einer Bühne. 30 min
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Reportage zur "Woche des Sehens" "Außer sehen kann ich alles": Marie geht ihren Weg

15. Oktober 2024, 16:49 Uhr

Mit Sieben besteht sie darauf, Fahrrad zu fahren, mit Dreizehn ist sie Sängerin einer Schülerband. Marie weiß schon als Kind, was sie will und vor allem, was nicht: Anders behandelt zu werden als Sehende. Heute studiert Marie in Berlin, was für sie einen großen Neuanfang bedeutete. Maico Riegelmann und Susanne Heim haben Marie Lampe in all den Jahren immer wieder begleitet, beim Umzug, im Freiwilligenjahr in der Social Media-Redaktion der Sozialhelden oder beim gespannten Warten auf den ersehnten Studienplatz. So zeigt ihr Film das "alltägliche" Erwachsenwerden mit Behinderung.

Marie Lampe ist seit ihrem vierten Lebensjahr blind. Der Grund ist eine Netzhautablösung. Ihre Blindheit hat die heute 23-Jährige jedoch nie davon abgehalten, ihre Träume zu verwirklichen. Marie weiß schon als Kind, was sie will - und vor allem, was sie nicht will: Anders behandelt zu werden als sehende Kinder. Als Siebenjährige will sie selbstbewusst alles erkunden, was ihr begegnet:

"Mit Sieben habe ich immer gesagt, wie mutig ich bin. Heute ist es irgendwie tagesformabhängig. Es gibt nichts, was ich nicht ausprobieren wollen würde. Es gibt allerdings Sachen, vor denen ich viel Respekt habe. Mein Wunsch und Plan für die Zukunft ist, mutiger zu werden oder wieder mutig zu werden."

Umzug von Osnabrück nach Berlin

Seit ihrem Umzug nach Berlin lernt Marie alle Wege neu kennen. Sicherheitshalber plant sie mehr Zeit für den Arbeitsweg ein. Als Kind hasst sie ihren Blindenstock, weil dadurch jeder sehen kann, dass sie blind ist. Sie fühlt sich dann ausgeschlossen und benutzt den Stock deshalb möglichst selten. Inzwischen ist er für sie ein selbstverständliches Hilfsmittel: "Für viele Menschen sieht es immer so aus, als würde ich in die Tische laufen, die an der Seite stehen. Obwohl ich die eher zur Orientierung brauche. Es ist herausfordernd, neue Wege zu gehen, wenn man sie ein paarmal mit jemandem gegangen ist und sie dann alleine ausprobieren muss", sagt Marie.

 Marie mit ihrem Freund Immanuel und dessen Blindenhund Strolchi.
Marie mit ihrem Freund Immanuel und dessen Blindenhund Strolchi. Bildrechte: MDR/Maico Riegelmann

Freundliche Hilfsangebote sind ihr willkommen, aber keine Bevormundung. Die erlebt sie immer wieder. Zum Beispiel, wenn Leute unbedingt darauf bestehen, sie noch nach Hause zu begleiten.

Seit fast einem Jahr macht Marie einen Freiwilligendienst in der Social Media-Redaktion des Berliner Vereins Sozialhelden. Sie schreibt Artikel und testet die Barrierefreiheit von Computerprogrammen. Ihr Freiwilligendienst ist ihr wichtig, um Erfahrungen zu sammeln und sich auszuprobieren. Ihr Weg dahin war nicht gerade einfach und selbst in ihrer Schule rät man ihr davon ab.

Unterstützung durch die "Sozialhelden"

Marie hat es trotzdem gemacht. Die Sozialhelden haben sie von Anfang an bei ihrem Vorhaben unterstützt: "Für uns war klar, dass es funktioniert. Für uns war es aber auch umso mehr Motivation, Marie zu nehmen, weil wir gehört haben, welche Steine sie in den Weg gelegt bekommen hat, schon in der Schule. Und da meinten wir: 'Jetzt erst recht'", sagt Jonas Deister, Geschäftsführer bei den Sozialhelden. Das Jahr im Freiwilligendienst hat Maries Selbstverständnis auch in Bezug auf barrierefreies Leben verändert:

Eine ganz zentrale Sache, die ich lernen musste, war, dass es nötig ist, Barrierefreiheit einzufordern, auf Barrieren hinzuweisen. Und dass das völlig in Ordnung ist und kein Zeichen von Schwäche, sondern, dass das auch anderen Menschen weiterhilft.

Marie

Das Freiwilligenjahr geht bald zu Ende. Durch die Arbeit bei den Sozialhelden weiß Marie, dass ihr Sprache und Journalismus besonders liegen. Sie hat sich an allen drei Berliner Universitäten und in Potsdam beworben. Germanistik und Publizistik sind ihre Wunschfächer. Jeden Tag schaut sie in ihre Mails, ob der Studienbescheid endlich da ist: "Das ist so eine Mischung aus Aufregung, Nervosität und Unsicherheit und ganz viel Vorfreude."

Marie wird vom Behindertenbeauftragten der Universität Potsdam über das Gelände geführt.
Marie wird vom Behindertenbeauftragten der Universität Potsdam über das Gelände geführt. Bildrechte: MDR/Maico Riegelmann

Den Studentenjob bei den Sozialhelden hat sie schon mal sicher. Die Social Media-Redaktion möchte nicht auf sie verzichten. Fehlt nur noch der Studienplatz.

Wiederholung der Reportage aus dem Jahr 2021

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Selbstbestimmt | 13. Oktober 2024 | 08:00 Uhr