Donnerstag, 22.06.2023: "Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten."

Einer Nonne geht im Auto das Benzin aus. Sie geht zu Fuß zur nahen Tankstelle. Da sie keinen Kanister hat, füllt ihr der Tankwart den Sprit in einen alten Nachttopf. Damit geht sie zurück und beginnt, aus dem Nachttopf das Benzin einzufüllen. Ein Auto kommt vorbei. Der Fahrer hält an, kurbelt das Fenster runter und ruft: "Schwester, Ihren Glauben möchte ich haben!"

Eine Schwester in Ordensbekleidung 3 min
Bildrechte: Rafael Ledschbor
3 min

gesprochen von Mariae Laetitia Klut

MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Do 22.06.2023 05:45Uhr 02:41 min

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Manche Leute denken, dass Nonnen einen besonders festen Glauben haben. Dass ihre Beziehung zu Gott mehr bewirken kann und sie irgendwie mehr von Gott wissen. Ich bin Nonne und werde gelegentlich mit dieser hohen Erwartungshaltung konfrontiert.

Was meinen persönlichen Glauben besser beschreibt, fand ich in einem Zitat von Karl Rahner: "Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten."

Als ich diesen Satz zum ersten Mal las, war ich baff: Karl Rahner war Priester, Ordensmann und einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts. Ausgerechnet jemand, der so viel über Gott nachgedacht, geforscht und geschrieben hat, meint: "Glauben heißt, die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang aushalten."?

Ein Leben lang aushalten bedeutet: Glauben ist ein Lebensprojekt. Ich werde nie damit fertig sein.

Und dann: Gottes Unbegreiflichkeit. Wenn ich Gott begreifen oder beschreiben könnte, wäre er einfach nur eine Sache wie jede andere auf der Welt. Aber er ist Gott, der ganz Andere, jenseits meiner Vorstellungskraft. Ich werde immer auf der Suche nach ihm sein müssen, auf einer Suche im Ungewissen.

Trotzdem möchte ich daran festhalten. Ich möchte dranbleiben, ihn nicht loslassen. Diese Suche ist Ausdruck meiner großen Sehnsucht nach Gott.

Glauben ist also nicht ein Mehr-Wissen oder ein Fürwahrhalten von Märchen, sondern eine Haltung. Eine Haltung, die mir durchs Leben hilft, die mir aber auch etwas abverlangt: eben dieses Aushalten der Unbegreiflichkeit Gottes.

Das Wort zum Tag spricht in dieser Woche:

Kurzvita Schwester Mariae Laetitia Klut OCist

Schwester Mariae Laetitia Klut OCist

Geboren 1988 in Großenhain | 2006 – 2012 Studium der Katholischen Theologie in Erfurt und Rom | seit 2013 Nonne im Kloster St. Marienstern in der Oberlausitz

Verantwortlich für Verkündigungssendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wie das Wort zum Tag...

... sind die Senderbeauftragten der evangelischen Landeskirchen, der evangelischen Freikirchen bzw. der römisch-katholischen Kirche.