Donnerstag, 24.08.2023: Herr Müller und die Augustäpfel
Herr Müller! Ja, genau … Müller hieß der Mann. Ich kann mich nicht mehr so gut daran erinnern, wie er aussah - eher groß und hager, glaube ich. Und ich weiß, dass er mich kaum mal angesprochen hat. Immer nur im August. Ich war damals ein kleines Mädchen und der Herr Müller war unser drittnächster Nachbar.
Er hat mich angelächelt, daran erinnere ich mich ganz sicher. „Willste paar Augustäppeln?“, fragte er. Herr Müller hatte ungefähr zwei oder drei Apfelbäume im Garten und ich nehme an, dass er die Äpfel schlicht loswerden wollte. Aber das war mir natürlich vollkommen egal. Die Dinger schmeckten ausgezeichnet und ich bekam sie kostenlos.
So habe ich ein paar Jahre lang immer im August von diesem Mann Augustäpfel bekommen. Jetzt bin ich im Kloster und vor mir auf dem breiten Fensterbrett eines Kreuzgangfensters steht eine riesige gelbe Plastikschüssel mit diesen kleinen, weißlich-grünen Äpfeln. Jemand muss sie abgegeben haben.
Auf diesem Fensterbrett steht immer Obst, manchmal auch Gemüse, das sich jede Schwester nach Belieben nehmen kann. Es kommt aus der Küche, aus dem Garten oder eben von lieben Menschen, die es wie Herr Müller bei uns abgeben. Ich sehe mir die Äpfel an - sie sehen genauso aus wie damals.
Und auf einmal bin ich diesem Herrn Müller dankbar. Nicht, dass ich eine ungezogene Göre gewesen wäre und mich nicht schon damals bedankt hätte. Aber irgendwie wird mir gerade klar, dass dieser Nachbar mir etwas mitgegeben hat außer der Äpfel. Es ist völlig egal, aus welchen Gründen er mir die Früchte gegeben hat – er hat mir damit eine Freude gemacht. Und an diese Freude erinnere ich mich noch heute, wenn ich Augustäpfel sehe. Spontan bete ich für ihn. Vergelt’s Gott, Herr Müller!