Mittwoch, 11.10.2023: Krank aus Liebe zum Leben
Am 8. Oktober 1941 war sie gerade krank und musste in Amsterdam bleiben. Dabei wäre sie gern im Konzentrationslager Westerbork bei ihren jüdischen Menschen, und hätte das Leid durch den Terror der Deutschen mit ihnen geteilt. So unglaublich das klingt.
"Ich bin jetzt krank“ schreibt die 27 jährige Etty Hillesum in ihr Tagebuch. "Ich kann es nicht ändern. Später werde ich dort alle Tränen und alles Grauen einsammeln. Ich mache das ja eigentlich auch schon jetzt, hier im Bett. Vielleicht ist mir auch deshalb so schwindelig und fiebrig."
Wieder ein neuer Krieg. In unseren Tagen. Angriff auf Israel 81 Jahre später.
Schon die Bilder, die Nachrichten machen krank. Warum tun Menschen sich das immer wieder an? Schüsse und Terror gegen Alte und Junge, Frauen und Kinder, Soldaten und viele Zivilisten. Bei einer Feier werden lebensfrohe Menschen drangsaliert, getötet und entführt.
"Ich möchte nicht die Chronistin von Gräueltaten werden. Es wird genug andere geben. Auch nicht die Chronistin von Sensationen" schreibt Etty Hillesum damals im Tagebuch. Sie will nicht an das Böse glauben. Sie will dafür kämpfen, dass Menschen trotz Gewalt und Tod den Glauben an das Leben bewahren. Sie schreibt das, obwohl sie selbst darum weiß, dass man die völlige Vernichtung des jüdischen Volkes plante. Sie wird auch selbst später in Auschwitz umkommen.
"Heute Morgen sagte ich noch zu Jopie: Und doch komme ich immer wieder zum selben Schluss: Das Leben ist schön. Und: Ich glaube an Gott. Und ich möchte inmitten dessen sein, was die Menschen Gräueltaten nennen, und dennoch sagen: Das Leben ist schön." - "Ich liebe die Menschen so sehr. Ich empfand nie Verbitterung über das, was ihnen angetan wurde, sondern immer Liebe für die Art und Weise, wie die Menschen die Dinge zu ertragen vermochten, trotzdem zu ertragen vermochten." (Etty Hillesum, Ich will die Chronistin dieser Zeit werden, München 2023, S. 690f.)
Die Tagebücher der Etty Hillesum sind erst in diesem Jahr vollständig in deutscher Sprache erschienen. Sie lesen sich zeitweise wie ein Kommentar auf die Ereignisse im Israel unserer Tage. Und sie sind ein fast übermenschliches Zeugnis einer jungen Frau von ihrer Liebe zum Leben durch den Glauben an den entsetzlich verborgenen Gott.