Dienstag, 02.01.2024: Frisch ans Werk
Der Wecker klingelt wieder früh. Heute ist der erste Arbeitstag des neuen Jahres. Draußen ist es genauso dunkel wie am letzten Arbeitstag des alten Jahres. In der Küche ist schon Licht und Paula summt das Lied im Radio mit. Sven hingegen müht sich aus dem Bett. Er schlurft hinüber ins Bad, schließt geräuschvoll die Tür hinter sich. Paula lächelt, als sie sich vorstellt, wie er vor dem Spiegel steht und Grimassen zieht, damit die tiefen Falten in seinem Gesicht etwas straffer werden. Er wird sehr breit grinsen und sich die Stirn glattziehen. Dann mehrmals die Brauen hochreißen und anschließend die Augen zusammenkneifen. Dieses Spiel kennt sie lang genug. Sie hat zugesehen, wie Svens Bemühungen um ein munteres Gesicht von Jahr zu Jahr weniger erfolgreich sind. Es ist ein Ritual am Morgen, mit dem er sich Spannkraft und Lust auf den Tag suggeriert. Wirklich glauben wird er allerdings erst gegen zehn Uhr, dass es ein guter Tag wird.
Während Sven genau das, was sich Paula eben vorgestellt hat, wirklich vor dem Spiegel tut, müht er sich um die ersten klaren Gedanken. Er beginnt im Kopf durchzugehen, was heute anliegt, was er heute tun muss. Es ist eigentlich ganz o.k. Dann kommt ihm Paula in den Sinn, die er in der Küche mit den Tellern klappern hört. Wie macht sie das bloß? Jeden Morgen steht sie vor ihm auf und summt schon ein Lied, wenn er in die Küche kommt. Auch wenn er gern darüber unwirsch brummen würde, kann er sich im Spiegel zusehen, wie ein Lächeln über sein verschrumpeltes Gesicht huscht. Wie froh er doch ist, dass sie den Tag anders angeht. Auch wenn Paula es draußen in der Küche und Sven drinnen im Bad nicht wissen können. Beide haben in derselben Sekunde den gleichen Gedanken. Ihnen kommt der Schlusssatz von Martin Luthers Morgensegen in den Sinn: "Als dann mit Freuden an dein Werk gegangen und etwa ein Lied gesungen oder was dir deine Andacht eingibt."