Dienstag, 31.01.2023: Zerbrechlich
Solange sie denken konnte, hatte sie die alte Kanne. Rissig ist ihre Glasur inzwischen. Das alte Bauernmuster um ihren Rand verblasst. Gießt man etwas aus, rinnen unvermeidlich einige Tropfen an ihrem Rand herunter und hinterlassen einen feuchten Ring. Sie ist weder schön noch praktisch, aber angefüllt mit Erinnerungen. Nun hat sie kochendes Wasser in sie hineingegossen. Da klickte es kaum hörbar. Mit einem großen Platsch ergoss sich der ganze heiße Inhalt über den Tisch. Erschrocken sprang sie weg, um sich nicht zu verbrühen. Der Boden war kreisrund herausgebrochen. Wie schade.
Die Kanne war nicht chic. Heute bliebe sie wohl als unverkäuflich im Laden stehen. Sie erfüllte ihre Funktion gerade so. Den TÜV hätte sie auch mit Boden kaum bestanden. Es ging ihr um das, was in der Kanne war. Duftender dampfender Kaffee am Morgen zum Beispiel. Aber eben auch all das Leben, das sich in ihr angereichert hatte. Die Menschen und die Geschichten, die sie mit der ihren verband. Dennoch ist die Kanne irgendwann zerbrochen.
Was wertvoll im Leben ist, das kann niemand aus eigener Kraft fassen und auch nicht halten. Es greift nach uns und hält uns. Diesen Gedanken hat der Apostel Paulus in einem Brief an die Gemeinde in Korinth im Bild zusammengefasst: "Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns." (2. Kor 4,7) Gott lässt es geschehen und daraus werden Erinnerungen. Gott legt auch den Sinn hinein. Er schenkt den Glauben an Jesus Christus immer wieder neu in die zerbrechlichen Menschen wie in irdene Gefäße.
Noch steht die Kanne ohne Boden ganz oben auf dem Regal. Letztens fragte sie ein Gast, der beim Tischdecken half: "Warum schmeißt du sie nicht einfach weg?" Da war Gelegenheit von dem Schatz zu erzählen, den sie auch ohne Boden birgt.
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