Mittwoch, 01.02.2023: Gebunden?
"Sind sie kirchlich gebunden?" Wenn mir diese Frage gestellt wird, zögere ich mit einer Antwort. Was wird hier eigentlich gefragt? Einfach nur, ob ich Mitglied in der Kirche bin? Oder will mein Gegenüber wissen, wie ich es mit dem Glauben halte? Oder liegt darin ein bedauernder Unterton, wird mir unterstellt, ich ließe mich von irgendwem bevormunden? Noch krasser wäre es, wenn darin die Vermutung anklänge, ich würde ungern selbst denken.
Diese Widersprüchlichkeit liegt schon im Wort "Bindung". Auf der einen Seite hält Bindung etwas zusammen. Eine sichere Bindung befähigt Kinder dazu, sich selbstständig und selbstbewusst in ihrer Umwelt zu bewegen. Sie erlernen so soziales Verhalten und können später selbst stabile Beziehungen zu anderen Menschen eingehen. Die Ausprägung der frühkindlichen Bindung ist darum die Blaupause der späteren Beziehungen. Unser Umgang mit der Welt ist also abhängig von vielen Faktoren, die jenseits der persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten liegen.
Auf der anderen Seite hält Bindung fest. Sie begrenzt den Spielraum und damit auch die Freiheit. Sie zeigt an, dass etwas schon vor der eigenen Entscheidung besteht. Beziehungen können später durchaus selbstbewusst gestaltet werden, aber abhängig von den Vorstellungen, die zuvor die Bindung an Mutter und Vater geprägt haben. Das ist so, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. "Bindung" bleibt demnach ein Leben lang widersprüchlich.
Wenn es um Kirche geht, dann reicht meine Vorstellung über die "Bindung" hinaus. Sicher, sie hält für mich etwas zusammen, das sonst in alle Winde zerstreut würde. Aber zugleich habe ich sie schon als Jugendlicher in der DDR als einen Raum der Freiheit erlebt, aus dem heraus ich selber denken und frei reden lernte.
Sprache ist zählebig. Es wird sich nicht viel an der Formulierung "Sind sie kirchlich gebunden?" ändern. So sinnvoll sie auch ist. Ich fände es besser zu fragen: "Sind sie kirchlich verbunden?"
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