Mittwoch, 09.08.2023: Echt schräg
Na, herzlichen Glückwunsch! 850 Jahre ist er nun schon alt - der schiefe Turm von Pisa. Auf meinem Kurzurlaub in der Toskana musste ich ihn unbedingt sehen. Der Dom, größer als gedacht und daneben der alleinstehende Campanile, der sich nicht nur leicht, sondern in ganzer Massivität bedrohlich zur Seite neigt.
Natürlich viele internationale Gäste, die dadurch eine Gemeinde bildeten, dass fast alle Fotos schossen. Nicht wenige posierten so, als könnten sie den Turm zurück in eine aufrechte Stellung schieben.
Wieviel Schieflage bin ich bereit, zu akzeptieren, fragt mich der Turm. Was gilt als normal und was als anders, oder sogar schräg? Queer, quer zu unseren Schubladen, die ja auch nützlich sind, weil sie Orientierung und Sicherheit verschaffen in der Bewältigung der vielen Eindrücke. Ich lerne aber, behutsamer mit dem Wort "normal" umzugehen. Schon mein Orthopäde sagt, dass kaum ein Mensch ganz gerade steht oder läuft. Ein bisschen schief sind wir alle. Und mancher lebt mit erheblichen Einschränkungen oder Dispositionen, die anders sind als bei den meisten.
Überraschend war für mich zu lesen, dass sich der schiefe Turm von Pisa bereits nach dem Bau der ersten drei Stockwerke geneigt hat, weil Fundamente darunter uneben wurden. Dennoch hat man weiter gebaut und ist bis heute dabei, das ungewöhnliche Kunstwerk so zu stabilisieren, dass Menschen den Turm besteigen können.
Ja, auch meine Neigung ist groß, alles auf ein solides Fundament zu stellen und mir die Welt zu ordnen. Lieber abreißen und neu bauen. Auch Religionen werden schnell fundamentalistisch, um Einheitlichkeit zu schaffen und zu normieren. Aber das Leben ist vielfältig. Auch ich muss mich mit den Dingen in meinem Leben versöhnen, die anders sind, schräg oder eben schief gelaufen.
Ich hoffe auf einen Gott, der auch das Schräge liebt. Und ich wünsche mir eine Gesellschaft, die heiter und fröhlich auf das sehen kann, was quer zu unseren gängigen Vorstellungen und Meinungen steht.
So wie am schiefen Turm von Pisa. Eine tolle Atmosphäre in der internationalen Community war das dort am Abend neben dem alten Gotteshaus.
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