Donnerstag, 20.07.2023: Ja und Nein
Vor einiger Zeit kam Mila zu mir. Sie klagt mir ihr Leid. Ihr Leben quillt über vor Aufgaben und Erwartungen in der Uni, in der WG, beim Nebenjob. Freunde, Familie und ihr Haustier. Wie soll sie all das bewältigen? Ihr kam es vor, als würde sie allem nur hinterherlaufen und bliebe dabei selbst auf der Strecke. Das wollte sie ändern. Wir fanden schnell heraus, woran es lag: Sie kann nicht Nein sagen. Jemand bittet sie darum, etwas einzukaufen - sie sagt ja. Jemand fragt sie, ob sie mit ins Schwimmbad gehen wolle - sie sagt ja. Jemand lädt sie auf eine Party ein - sie sagt ja.
Wem das Nein-Sagen schwer fällt, hat oft Angst vor einem enttäuschten Blick oder einem unangenehmen Schweigen. Tatsächlich kann es Menschen irritieren, wenn jemand sich die Freiheit nimmt, Nein zu sagen. Dabei ist Nein ein wichtiges Wort:
"Nein, heute Abend habe ich schon etwas vor."
"Nein, ich möchte kein Glas Wein mehr."
"Nein, ich will dort nicht von dir angefasst werden."
Wer Nein sagt, setzt eigene Grenzen. Das hat etwas mit Wertschätzung zu tun. Wertschätzung gegenüber der anderen Person, denn ein klares Nein ist ehrlicher als ein halbherziges Ja. Und Wertschätzung gegenüber dem eigenen Selbst, denn das eigene Selbst wird gesehen und geachtet.
In der Bibel heißt es: "Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen." (Mt 5,37). Es ist eine Ermutigung, nicht drum herrum zu reden, sondern klar zu sein. Eigentlich simpel, oder?
Für die meisten von uns bedeutet es jede Menge Mut und vor allem Übung. So war es auch für Mila. Die wichtigste Erkenntnis war für sie: Jedes Nein zu der einen Sache ist auch ein Ja für eine andere. Wozu möchte ich also Ja sagen? Wenn Mila das herausgefunden hat, dürfte ihr das Nein-Sagen schon viel leichter fallen.
