Über die Vergänglichkeit Memento Mori: Bedenke, du musst sterben
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22. November 2024, 12:00 Uhr
Schon unsere Vorfahren hatten Angst oder zumindest Respekt vor dem Tod. Doch warum sollten wir uns mitten im Leben mit unserem Ende beschäftigen - und warum kann das befreiend sein?
Es ist schon eine Crux: In dem Moment, da uns Menschen bewusst wird, dass sich zwischen uns und dem restlichen Tierreich eine dünne, trennende Wand zieht, beginnen wir, uns mit dem quälenden Gedanken unserer Vergänglichkeit zu beschäftigen. Endet unser Leben mit dem Tod? Gibt es ein Jenseits, werden wir wiedergeboren?
Ist es wie auf den Gemälden eines Hieronymus Bosch, wo die Menschen im Höllenfeuer für ihre irdischen Missetaten büßen, ist es wie in Dante Alighieris "Göttlicher Komödie", die uns durch drei Jenseitsreiche führt? Oder sollten wir die ganze Sache doch etwas entspannter sehen und es mit Woody Allen halten, der auf die Frage nach dem Jenseits ganz salopp als Großstädter antwortete:
Natürlich gibt es eine jenseitige Welt. Die Frage ist nur: Wie weit ist sie von der Innenstadt entfernt und wie lange hat sie offen?
Wider die Hybris
Es war ein alt-römischer Brauch, dass hinter einem siegreichen Feldherrn, dem ein Triumphzug gewährt wurde, ein Sklave oder Priester stand, der ihm einen Lorbeerkranz über den Kopf hielt und ihn ununterbrochen mahnte: "Memento moriendum esse!" (Bedenke, dass du sterben musst). Im Moment des größten Triumphes galt es, sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst zu sein, der Versuchung zu widerstehen, sich für gottgleich zu halten. Denn das schied die Menschen von den Göttern: Sie waren die Sterblichen.
Was die Bestattungskultur über uns sagt
Doch schon lange vor den Römern beschäftigte man sich mit dem Tod und dem Übergang in eine andere Sphäre. Besonders eindrücklich lässt sich dies an der Kultur der Bestattung der Toten ablesen. Die ältesten bisher gefundenen Gräber reichen bis etwa auf 50.000 vor Christus zurück. Zu den ältesten Beerdigungsformen zählt das "Hockergrab". Der Leichnam wird wie ein Embryo mit angezogenen Beinen und gekrümmtem Rücken in ein Steingrab gelegt. Soll es so aussehen, als ob der Tote schliefe? Drückt seine Haltung die Erwartung einer Wiedergeburt aus?
Den Ägyptern, die ihren Toten wahrhaft königliche Gräber schufen, verdanken wir die Pyramiden, den Kelten - knapp 1.500 Jahre später - die aufwendig gestalteten Fürstengräber.
In der hochentwickelten antiken Gesellschaft - vor über 2.000 Jahren - war die Bestattung eine Sache der Familie. Öffentliche Friedhöfe gab es noch nicht. Und doch ritualisierten die alten Griechen und Römer den Totenkult - mit Aufbahrung des Verstorbenen, dem Leichenzug und Totenmahl - in einer Form, wie er heute noch gepflegt wird.
Der Umgang mit dem Tod innerhalb der Gesellschaft ist einem ständigen Wandel unterworfen. So befremden uns heute Bräuche, die in vergangenen Zeiten noch gepflegt wurden. Würde es Ihnen beispielsweise gefallen, wenn bei einer Hochzeit Braut und Bräutigam mit einem jeweils passenden Sarg beschenkt würden? Selbst die Aufbahrung der Toten im eigenen Heim findet heute kaum noch Anwendung. Der Tod soll aus unserer Mitte verbannt werden. Und doch, so ganz will es uns nicht gelingen, ist er doch eines der zentralen Themen unseres Menschseins.
So verwundert es auch nicht, dass sich die großen Weltreligionen intensiv diesem Thema widmen. Was kommt nach dem Tod? Kommen wir am Tag des Jüngsten Gerichts in Himmel oder Hölle (Christen)? Werden wir wiedergeboren (Hindus) oder gelangen wir nur durch Erkenntnis aller Dinge ins Nirwana (Buddhisten)? Die verschiedenen Religionen behaupten ganz Verschiedenes in puncto Leben nach dem Tod. Sie eint jedoch ein Prinzip: Es gibt die Hoffnung, dass das Leben hier auf Erden nur ein Teil unserer Existenz ist.
Stundenglas, Knochenmann und Todesengel
Die Beschäftigung mit unserer Vergänglichkeit bildet sich nicht nur in Religion und Alltagskultur ab. Künstler aller Epochen haben sich diesen Fragen gestellt, haben daraus hinreichend Material für ihre schöpferische Arbeit gezogen. Was wäre der oben schon erwähnte Bosch ohne seine Höllenstürze, die gesamte Stillleben-Malerei des Goldenen Zeitalters in Holland ohne ihre Vanitas-Motive, der Totentanz bei Hans Holbein oder die apokalyptischen Reiter bei Albrecht Dürer oder Peter von Cornelius? Welche Bedeutung hätten Stundenglas, Knochenmann oder Todesengel auf den Gemälden dieser Welt?
Auch in Literatur, Theater oder Film findet sich hinreichend Stoff für die erwähnte Auseinandersetzung: Man denke nur an den "Gevatter Tod" der Gebrüder Grimm, an Hugo von Hofmannsthals "Jedermann", an Paul Celans "Todesfuge". Man erinnere sich an August Strindbergs Theaterstück "Totentanz". Oder an den wunderbaren Ingmar-Bergmann-Film "Das siebente Siegel", wo ein Ritter solange vom Tod einen Aufschub aushandelt, bis dieser ihn im Schachspiel schlägt.
Ich bin all hier!
Der Gedanke an unserer Endlichkeit scheint enorme Energien freizusetzen. Die Wissenschaft versucht seit je, unser Leben zu verlängern, dem Tod ein wenig Zeit abzutrotzen. Doch so sehr sie sich auch müht, es gibt noch kein Elixier für das ewige Leben. Und so ist es immer ein wenig, wie bei der Fabel vom Hasen und dem Igel. Letztlich obsiegt der Tod: Ich bin all hier! Doch auch wenn der Tod unser Ende auf Erden markieren sollte, so ist er dennoch der Stachel in unserem Fleisch, der uns zu oben erwähnten Höchstleistungen befeuert. Man kann es aber auch wieder mit Woody Allen halten, der kurz und knapp meint:
Es gibt Schlimmeres als den Tod. Wer schon einmal einen Abend mit einem Versicherungsvertreter zugebracht hat, wird wissen, was ich meine.