Brass Rubbing Archiv In Halle zeigen Grabstein-Bilder den Wandel im Umgang mit Tod und Trauer
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23. November 2024, 04:00 Uhr
Man läuft oft achtlos über sie hinweg – oder an ihnen vorbei: mittelalterliche Grabplatten in Kirchen. Viel zu erkennen ist auf ihnen nur selten. Doch es gibt es ein spezielles Verfahren, Bilder und Worte wieder sichtbar zu machen: Brass Rubbing, im 19. Jahrhundert ein Volkssport in England. Dabei wird ein Papier über die Grabplatte gelegt und mit Wachsstiften abgerieben. Auch in Deutschland gibt es solche Arbeiten. Die größte Sammlung befindet sich in Halle: nicht nur für Historiker eine spannende Quelle zum Wandel in der Trauerkultur.
Man muss den Kopf ganz schön in den Nacken legen, um die Grabplatte zu entdecken. In drei Metern Höhe hängt sie an einem Pfeiler des Naumburger Doms. Zu erkennen ist im diffusen Kirchenlicht nur wenig.
Aber Klaus Krüger, Professor für mittelalterliche Geschichte an der Universität Halle, hat eine abgepauste Kopie der Grabplatte vor sich auf dem Schreibtisch und erklärt die Vorteile des Brass Rubbing: "An diesem Beispiel, der Platte des Rudolf von Bünau, kann man erkennen, welchen Vorteil die Abriebe haben. Dieser ist farbig gestaltet, dadurch werden die Unterschiede zwischen Vorder- und Hintergrund besonders deutlich."
Brass Rubbing Archiv in Halle: Bilder von Grabplatten vom 11. bis 17. Jahrhundert
Gestochen scharf und schwarz auf weiß ist die Inschrift über dem Kopf Rudolf von Bünaus zu lesen, die kunstvollen Ornamente im Hintergrund sind rot auf weiß bis in feinste Ziselierungen zu erkennen, ebenso die aufwändige Umrahmung der Platte. Rund 1.200 Abriebe hat Klaus Krüger zusammengetragen, um die sich wandelnden Vorstellungen über den Tod zu erforschen. Seine frühesten Exemplare stammten aus der Zeit der Romanik im 11. Jahrhundert, seine jüngsten aus dem 17. Jahrhundert, erzählt der Forscher: "Das heißt, ich kann Umbrüche wie zum Beispiel zur Zeit der Reformation gut erkennen, die Unterschiede in Bild und Text."
Reformation als Umbruch auch in der Trauerkultur
Vor allem inhaltlich ändern sich die Inschriften nach der Reformation. Die Hinweise auf Apostel und Heilige verschwinden, die Texte werden viel ausführlicher und persönlicher. Zuvor spielten Geburtsdaten beispielsweise fast keine Rolle, wie Krüger weiter erklärt: "Jetzt werden sie relevant, es wird vorgerechnet: Der Betreffende hat soundsoviel Jahre, Monate, Tage und manchmal Stunden gelebt. Dann werden die Familienbeziehungen aufgeschlüsselt. Es wird erwähnt, er habe die Tochter von Herrn sowieso aus Augsburg geheiratet. Er habe mit ihr 14 Kinder gezeugt, von denen sechs am Leben geblieben sind. Manchmal werden die dann auch noch namentlich erwähnt, und wir erkennen so Zusammenhänge, wir können so Netzwerke an diesen Inschriften ablesen."
Der Glaube an die leibliche Auferstehung lebt fort und wird so auch in Stein gemeißelt. Im Fall des 1505 gestorbenen Stiftsherrn Rudolf von Bünau in einer sehr besonderen Form: "Der Leichnam wird als verwesender Körper darstellt. Der Betreffende ist also nackt, der Leib aufgeplatzt, der Kopf fast skelettiert. Das ist selten, aber es passt in die Zeit des frühen 16. Jahrhunderts, als man in Vergänglichkeitsvorstellungen schwelgte und das eben auch zum Ausdruck brachte." Vor allem im Barock sind solche Vergänglichkeitsallegorien populär.
Erinnerung an die Persönlichkeit der Toten
Doch der Haupttrend geht in andere Richtung: Die Bilder werden individueller, porträthafter. Werden die Toten zuvor im Sterbealter Christi als 30jährige und als typische Vertreter ihres Standes dargestellt, so bekommen sie nun persönliche Züge; es ist zu sehen, ob sie dick oder dünn waren, Glatze oder volles Haar hatten, in jungen Jahren oder im Alter starben. Die bis ins modische Detail ausgearbeitete Kleidung zeigt, was man oder frau sich leisten konnte. Aufschlussreich sind auch die Tiere zu Füßen der Toten. Zum Mann gesellen sich Krüger zufolge häufig Löwen, zur Frau Hunde. "Später ändert sich aber ein bisschen, und man fängt an, exotische Tiere, Drachen, Meeresungeheuer oder auch gerne mal ein Einhorn als 'Fußfigur' zu nehmen. Das sind Reminiszenzen an die Literatur der damaligen Zeit."
Heute leben sie als literarische Zitate auf Grabsteinen weiter. Grabplatten erzählen vom Leben und Todesvorstellungen früherer Jahrhunderte. Sie sind historische Quellen. Und dank des Brass Rubbing haben viele von ihnen überdauert, obwohl die Grabsteine verschwunden sind.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. November 2024 | 08:15 Uhr