Jüdisch sein - Eine Frage der Identität Bar Kochba Leipzig: Mit Sportsgeist überleben
Hauptinhalt
Wie Yuval Rubovitch jüdisches Leben in Deutschland und sich selbst entdeckt
20. Februar 2021, 04:16 Uhr
Yuval Rubovitch ist Historiker. Schon immer hat den jungen Israeli besonders die deutsch-jüdische Geschichte interessiert. Seit 2012 lebt er in Leipzig, als Dolmetscher bei einem Fußballturnier hörte er vom Sportklub Bar Kochba und fand darin sein Thema. 1920 gegründet sollte der Verein bald zur Zuflucht werden, mehr als 1.000 Jüdinnen und Juden rettete er am Vorabend des Holocaust sogar das Leben, wie Yuval Rubovitch in seinem Buch über Bar Kochba Leipzig aufzeigt. Bei den Recherchen lernte er viel über sich selbst, sagt er. So wie er immer mehr Spuren jüdischen Lebens in der Stadt entdeckte, beschäftigte ihn fernab der Heimat auch mehr und mehr seine eigene jüdische Identität.
Yuval Rubovitch ist ein ruhiger Mensch, vielleicht weil er viel Zeit in Archiven, Museen und mit Akten verbringt. 2012 kam er mit seiner Frau Shani nach Deutschland, um in Halle seine Doktorarbeit zu schreiben. Heute lebt er in Leipzig, wo er mit seiner Frau auch der Jüdischen Gemeinde angehört. Aber das heiße nicht, dass sie streng gläubig seien, betont er.
Yuval bezeichnet sich und seine Familie, zu der seit sechs Jahren auch Tochter Daphne gehört, als säkular. Das bedeutet, das Judentum gehört zu seinem Leben nicht als Religion, sondern vielmehr in Form von Grundwerten, kulturell und politisch. "In Israel ist Jüdisch-Sein eine Selbstverständlichkeit. Das Judentum spielte für mich eine Nebenrolle. Hier in Deutschland ist das anders, weil man nicht Teil der Mehrheitsgesellschaft ist", sagt Yuval Rubovitsch und erklärt so, wie sich sein Blick auf seine jüdische Identität fernab der Heimat verändert hat:
Ich fühle mich als Teil der jüdischen Geschichte.
Yuval Rubovitch ist Historiker. Er beschäftigt sich mit der jüdischen Geschichte, besonders mit den deutsch-jüdischen Beziehungen und zuletzt im speziellen mit dem jüdischen Sport in Leipzig: "Mein Lehrer Mosche Zimmermann von der Universität in Jerusalem hat mir gezeigt, dass es wichtig ist, Entwicklungen im Sport auch als Historiker zu betrachten", erzählt er. Bar Kochba Leipzig ist dafür ein gutes Beispiel: Der jüdische Verein bot Raum für ein letztes Stück Normalität im Alltag, als Jüdinnen und Juden andernorts Alltägliches bereits verboten war, auch das Sport machen als Form am gemeinschaftlichen Leben teilzuhaben.
Erinnerungsorte freilegen
Auf die Spuren des Vereins Bar Kochba Leipzig stieß Yuval Rubovitch durch das Internationale Fußballbegegnungsfest um den Max und Leo Bartfeld-Pokal, das es seit 2015 gibt. Er begleitete dabei Jugendliche aus Israel als Dolmetscher. Inzwischen hat er ein Buch über die Geschichte des Sportklubs geschrieben, unter dem Titel "Mit Sportgeist gegen die Entrechtung" ist es im Sommer erschienen.
1920 gegründet spielte Bar Kochba Leipzig eine große Rolle im jüdischen Leben der Stadt. Angesichts des wachsenden Antisemitismus' und der "Machtergreifung" der Nazis 1933 sollten junge Jüdinnen und Juden sich nicht nicht nur körperlich ertüchtigen, sondern durch zionistische Erziehung auf die Migration nach Palästina vorbereitet werden, um dort einen eigenen Staat zu begründen. 1.600 Mitglieder gab es Mitte der 1930er-Jahre, damit war Bar Kochba Leipzig einer der größten jüdischen Vereine in Deutschland und mit seinen Sportstätten einer der letzten Zufluchtsorte für jüdische Menschen in Leipzig. Auch Handball, Boxen, Schwimmen oder Tennis konnten bei Bar Kochba Leipzig betrieben werden.
Fußball gespielt wurde ab 1922 auf dem Sportplatz in Eutritzsch an der Delitzscher Straße. Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde das Gelände beschlagnahmt. Ein engagierter Grundbuchrichter erreichte zumindest eine Entschädigung von 69.000 Reichsmark, wie Yuval Rubovitch recherchierte. Auch dank dieses Geldes konnte der Verein schätzungsweise 1.000 bis 1.500 Jüdinnen und Juden am Vorabend des Holocaust zur Flucht aus Nazi-Deutschland verhelfen.
In seinem Buch bringt Yuval Rubovitch Geschichte und Sport zusammen; wie ein Sportverein Menschen Entrechtung und Verfolgung überleben half, zeigt er darin auf sehr direkte und sensible Weise. Die Spuren von Bar Kochba Leipzig sind heute noch in der Stadt zu finden. Yuval Rubovitch engagiert sich dafür, die damit verbundenen Orte wieder sichtbar zu machen – und an die Menschen zu erinnern. Etwa an den Bar Kochba-Gründer Adolf Rotter und dessen Söhne Josef, Curt, Otto und Fritz, die wie ihre Mutter im Konzentrationslager umkamen.
Von Bar Kochba zu Makkabi Leipzig
Auf die Traditionen des Vereins stützt sich heute der 2005 gegründete Makkabi Leipzig e.V., in dem man Wandern, Schach, Tischtennis oder Volleyball betreiben kann. Der Leipziger Verein ist einer von vielen, die vereint im Dachverband Makkabi Deutschland jüdische Sportgeschichte weiterschreiben.
Makkabi Deutschland war 1903 als Dachverband jüdischer Sportvereine gegründet worden,1921 entstand ein Weltverband jüdischer Sportler unter diesem Namen.
Der heutige Dachverband sieht es als seine Aufgabe an, Rassismus und Antisemitismus zu bekämpfen und legt Wert auf ein respektvolles Miteinander. Bei Makkabi sollen sich Menschen verschiedener Religionen und Kulturen kennenlernen. Man muss also nicht jüdisch sein, um einem Makkabi-Verein beizutreten. Ein geschützter Raum für jüdisches Leben und doch offen für alle, so lässt sich die Idee zusammenfassen. Aufgestellt wird auch eine Nationalmannschaft zur Teilnahme an der Makkabiade - der jüdischen Form der Olympiade. So soll die Tradition des jüdischen Sports in Deutschland erhalten bleiben und an deren Geschichte erinnert werden.
Buchtipp
Yuval Rubovitch, Gerlinde Rohr:
Mit Sportgeist gegen die Entrechtung:
Die Geschichte des jüdischen Sportvereins Bar Kochba
Hentrich & Hentrich
162 Seiten, 59 Abbildungen
ISBN: 978-3-95565-401-6
14,90 Euro