Jubiläum Gelebte Integration - 25 Jahre "Jüdischer FrauenVerein Dresden"
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06. September 2024, 04:00 Uhr
In den jüdischen Gemeinden Mitteldeutschlands wird viel Russisch oder Ukrainisch gesprochen. Tausende Jüdinnen und Juden zogen ab den 1990er-Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und belebten hier das jüdische Leben. Ihre Integration war von Anfang an eine Herausforderung. In Dresden kümmert sich seit 25 Jahren der "Jüdische FrauenVerein" um sie.
Im Dresdner Plattenbauviertel Prohlis, zwischen den Hochhäusern auf dem Jakob-Winter-Platz scheint jüdisches Leben weit entfernt zu sein. Auch wenn der Platz den Namen des letzten Dresdner Rabbiners in der NS-Zeit trägt. Doch das täuscht: Im Erdgeschoss eines der Hochhäuser sind die Türen eines Ladenlokals weit geöffnet.
Yalta Shamaryayeva kam aus Baku / Aserbaidschan in die Stadt an der Elbe. Die 75-Jährige hat einen langen Weg hinter sich und scheint jetzt angekommen.
Vor über 15 Jahren zog sie nach Dresden – so wie fast alle in dem kleinen Ladenlokal des "Jüdischen FrauenVereins". Es ist eine kleine Oase in der neuen Heimat mit der fremden Sprache. Man trifft sich dort zu Kaffee oder Tee mit anderen Jüdinnen aus der ehemaligen Sowjetunion.
Frauenverein mit langer Tradition
Deutschland hat nach der Wiedervereinigung über 200.000 jüdische Einwanderer aus der früheren Sowjetunion aufgenommen – der Dresdner Verein hilft bei deren Integration. Der erste jüdische Frauen-Verein in der Residenzstadt wurde im Jahr 1791 gegründet. Schon damals halfen wohlhabende Jüdinnen Zugezogenen aus dem Osten.
Elke Preusser-Franke gründete vor 25 Jahren diesen jüdischen Frauenverein erneut. Die frühere Hochschul-Lehrerin ist heute dessen Vorsitzende. Geboren wurde sie 1942 in Dresden.
Als Jüdin habe ich noch dieses Halbversteckt-Sein. Meine Mutter ist ja ermordet worden, aber die Großeltern hatten sich da ein bissel was Arisches erschwindelt. Die wurden noch nicht deportiert, die konnten das kleine Kind, das meine Mutter zurückgelassen hatte, noch betreuen.
Ob aus Deutschland oder der ehemaligen Sowjetunion - die jüdischen Frauen, die sich an der Kaffeetafel des Frauen-Vereins treffen, bringen unterschiedlichste Schicksale mit.
"Als Deutschland 1940 die Sowjetunion überfiel, bin ich mit meiner Familie nach Südsibirien evakuiert worden. Ich war damals zwei Jahre alt. Jüdisches Leben gab es dort nicht – das habe ich erst mit über 70 Jahren in Dresden kennengelernt", erinnert sich Polina Leckner. Antisemitismus, sagt Polina Leckner habe sie in Dresden bislang noch nicht erleben müssen. Und sie hoffe, dass es auch so bleibe.
Ausstellungen des Vereins erzählen in Schulen und Kirchgemeinden von solchen jüdischen Lebenswegen aus Deutschland und der Sowjetunion.
Spannungen aushalten
Die beiden Frauen gegenüber von Polina Leckner dagegen sind keine Jüdinnen und dennoch Mitglieder des Jüdischen FrauenVereins. Ihnen gefällt der Zusammenhalt im Verein.
Dieser Verein ist für mich wie eine große Familie. Mein Mann war viele Jahre sehr krank. Das Zusammensein im Verein hat mir sehr geholfen.
Ludmila Masyukova kommt aus Charkiw in der Ukraine. Sie denkt gerade viel an ihre Tochter, die dort noch lebt. Und an die russischen Raketen, die immer wieder auf ihre Heimatstadt abgeschossen werden. Auch die ukrainische Heimat von Swetlana Winuk liegt heute an der Front.
"Die Spannungen hier waren nicht so ausgeprägt. Aber es hat sie zwischen den Jüdinnen aus den russischen und den ukrainischen Gebieten seit dem Kriegsausbruch gegeben", meint Swetlana Winuk.
Doch dann gibt es noch einen Kaffee, einen Tee oder eine von Ludmila Masyukovas selbst gebackenen Torten. Und schon verstehen sich die Frauen wieder. Auf Russisch - denn das ist und bleibt ihre Muttersprache. Auch in ihrer neuen Heimat Dresden.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 08. September 2024 | 08:15 Uhr