Ansicht von Mildenau mit Kirche 4 min
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Jubiläum Band der Einheit: Kirchliche Gemeindepartnerschaften zwischen Ost und West

18. Oktober 2024, 12:00 Uhr

Vor 75 Jahren entstanden die ersten kirchlichen Gemeindepartnerschaften zwischen Ost- und Westdeutschland. Eines der Ziele: Trotz der Teilung in BRD und DDR sollte die christliche Einheit gewahrt bleiben. Bis heute bestehen etliche dieser kirchlichen Partnerschaften. Vielleicht sind sie eine Möglichkeit, der Entfremdung zwischen Ost und West entgegenzuwirken, wie das Beispiel zweier Kirchgemeinden im Erzgebirge und in Ostfriesland zeigt.

Als Erdmann Paul Mitte der 1970er-Jahre die Pfarrstelle im Erzgebirgsort Mildenau antrat, hörte er von der Partnerschaft seiner Gemeinde mit Victorbur im Südbrookmerland in Ostfriesland.

Im Nordwesten der Bundesrepublik gelegen, 640 Kilometer von Mildenau entfernt, war auf die Kirchengemeinde Victorbur immer Verlass. Schon in 1950er-Jahren wurde per Paketdienst eimerweise Farbe an Kirchenmitglieder ins Erzgebirge geschickt, um die Kirche streichen zu können. Die Stasi wunderte sich damals. Oder als der Kirchturm in Mildenau erneuert werden musste. Drechslermeister Andreas Schreiter erinnert sich:

Wir haben von 1985 bis 1987 Kirche und Kirchturm renoviert. Und alles, was es in der DDR nicht gab, ist über Viktorbur rangeschafft worden.

Andreas Schreiter

Wechselseitiger Austausch

Die Lieferungen waren keine Einbahnstraße, sagt Andrea Düring-Hoogstraat, seit 31 Jahren Pastorin im ostfriesischen Victorbur.

"Die Mildenauer haben immer wunderbare Holzarbeiten geschickt, gerade in der Weihnachtszeit. Auf dem Altar stehen bis heute die Bergmannsfiguren, der Engel, der Türke und eine Kurrende“, erklärt die Pastorin.

Lange Zeit fand der Austausch nur über Briefe und Pakete statt. Mitte der 1980er-Jahre begannen erste Besuche aus Ostfriesland ins Erzgebirge, seit 1990 gab es ein regelmäßiges Hin und Her.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Auch wenn beide Gemeinden durch das Luthertum verbunden waren, wurden Unterschiede deutlich:

"Die Frömmigkeitsausprägung dürfte bei uns etwas liberaler sein", formuliert es die Pastorin aus Ostfriesland vorsichtig. Die Gemeinde im erzgebirgischen Mildenau war seit den 1950er-Jahren von einer Erweckungsbewegung geprägt und von der Erfahrung als Kirche in einem atheistischen Staat.

Andrea Düring-Hoogstraat erinnert sich an eine Veranstaltung, als die Kirchengemeinde in Victorbur alle Einwohner ins Moormuseum eingeladen hatte, um gemeinsam zu singen und zu klönen. Die Mildenauer seien etwas irritiert gewesen über diese sehr weltliche Veranstaltung. "Bruder Paul sagte zu mir: Solche Veranstaltungen macht bei uns der Erzgebirgsverein, und ich sagte: Und wir machen das als niedrigschwelliges Angebot, um Leute einzuladen, um zu singen, zu feiern", so die Pastorin.

Eingang ins Moormuseum in Moordorf
Ungewöhnlicher Ort für eine kirchliche Veranstaltung: das Moormuseum in Moorsdorf Bildrechte: IMAGO/Jürgen Schwarz

Pfarrer Erdmann Paul weiß um die sehr unterschiedlichen Frömmigkeitsformen in Ost und West, sagt aber auch:

Wir merkten, dass wir in äußerlichen Dingen ärmer waren, aber in der Hauptsache waren wir von Gott gesegnete Leute.

Pfarrer Erdmann Paul

Denn die Hauptsache sei doch für alle, gemeinsam Gottesdienst zu feiern, zu singen und zu beten, ergänzt der Pfarrer.

Erfolgreiches Gemeinschaftsmodell

Trotz aller Unterschiede, die es in den Kirchengemeinden in Ost und West gegeben hat und noch gibt, stellt die Kirchenhistorikerin Katharina Kunter insgesamt fest, dass "das Gemeindepartnerschaftsmodell ein sehr erfolgreiches Modell der deutsch-deutschen Beziehungen war und fast alle Gemeinden Kontakte hatten. Wie die ausgestaltet wurden, hing von ganz unterschiedlichen Bedingungen ab“, so Katharina Kunter.

Es war ein Dienst an der deutschen Einheit, meint Pfarrer Paul aus Mildenau rückblickend. Und seine ostfriesische Kollegin Düring-Hoogstraat erläutert, warum die Partnerschaft bis heute anhält:

Es war immer sehr auf einer Ebene. Wir haben immer versucht zu vermeiden, was so einen ‘der tolle Westen und der hilfsbedürftige Osten‘- Eindruck gemacht hätte.

Pastorin Düring-Hoogstraat

Für die Kirchenhistorikerin Katharina Kunter sind die kirchlichen Gemeindepartnerschaften tatsächlich ein Kitt, der die Gesellschaft in Ost und West zusammenhalten kann.

Die Gemeindepartnerschaften hatten immer das Potenzial gehabt, dass Menschen mehr Anteil nehmen am Leben der Anderen, dass sie Nächstenliebe ausleben.

Kirchenhistorikerin Katharina Kunter

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Religion und Gesellschaft | 20. Oktober 2024 | 08:15 Uhr