Zerstörte Gebäude im Gaza-Streifen
Die EU-Staats- und Regierungschefs wollen eine Ausweitung des Nahost-Konflikts verhindern. Bildrechte: IMAGO / APAimages

Nahost-Konflikt Sondergipfel zur Lage in Nahost: EU will Eskalation verhindern

18. Oktober 2023, 00:55 Uhr

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen mit allen diplomatischen und politischen Mitteln eine weitere Ausweitung des Nahost-Konflikts verhindern. In einem Krankenhaus in Gaza-Stadt sind nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums bei einem Luftangriff Hunderte Menschen getötet und verletzt worden. Bundeskanzler Olaf Scholz ist nach dem Angriff der Hamas nach Israel gereist, um Solidarität zu zeigen.

Sondergipfel zur Lage in Nahost: EU will Eskalation verhindern

Die Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten wollen nach Angaben von EU-Ratspräsident Charles Michel mit allen diplomatischen und politischen Mitteln eine weitere Ausweitung des Nahost-Konflikts verhindern. Es gehe darum, um jeden Preis eine regionale Eskalation zu verhindern, sagte der Belgier am Dienstagabend nach einem per Videokonferenz organisierten Sondergipfel. Eine solche Eskalation wäre auch für Europa eine riesige Herausforderung, insbesondere in einer Zeit, in der in der Ukraine ein weiterer Krieg tobe.

Vereinbart wurde nach Angaben von Michel auch ein enger Austausch mit den Vereinten Nationen. Notleidende Zivilisten müssten Zugang zu Wasser, Strom, Essen und medizinischer Versorgung haben. Zur Frage israelischer und ausländischer Geiseln in den Händen der Hamas sagte er, sehr wichtig sei es nun, die Vermittlungsversuche von Akteuren aus der Region zu unterstützen. Alle Geiseln müssten bedingungslos freigelassen werden.

Michel sprach sich zudem dafür aus, innerhalb der EU die Zusammenarbeit der Sicherheitsdienste weiter auszubauen, um vom Nahost-Konflikt ausgehende Risiken für die EU zu reduzieren. Die Ereignisse führten auch dort zu großer Fragmentierung, Spaltung und Polarisierung, so der Ratspräsident.

Berichte über Angriff auf Klinik in Gaza

In einem Krankenhaus im Gazastreifen sind nach Angaben des dortigen Gesundheitsministeriums bei einem israelischen Luftangriff Hunderte Menschen getötet und verletzt worden. In der Klinik seien Tausende Flüchtlinge aus dem Norden der Küstenenklave untergebracht, teilte das Ministerium, das der militant-islamistischen Hamas untersteht, am Dienstagabend mit. Die Angaben waren unabhängig nicht zu überprüfen. Auch eine genau Zahl der Toten lag zunächst nicht vor.

Das israelische Militär hat eine militante Palästinenserorganisation im Gazastreifen für den Einschlag der Rakete verantwortlich gemacht. "Informationen aus verschiedenen Quellen, die uns vorliegen, deuten darauf hin, dass der Islamische Dschihad für den fehlgeschlagenen Raketenabschuss verantwortlich ist, der das Krankenhaus in Gaza traf", teilte ein Sprecher des Militärs am Dienstag mit. Eine Analyse habe ergeben, dass "Terroristen in Gaza zuvor eine Ladung Raketen abgefeuert" hätten, die zum Zeitpunkt des Einschlags in unmittelbarer Nähe des betroffenen Krankenhauses vorbeigezogen seien.

Chef des Militärgeheimdienstes räumt Versagen ein

Der Chef des israelischen Militärgeheimdienstes, Aharon Chaliva, hat nach dem verheerenden Hamas-Terroranschlag in Israel eine persönliche Verantwortung eingeräumt. "Der Krieg hat mit einem geheimdienstlichen Versagen begonnen", schrieb Chaliva nach Angaben der Armee vom Dienstag in einem Brief an seine Soldatinnen und Soldaten.

Der Geheimdienst unter seiner Leitung habe es versäumt, vor dem Hamas-Terroranschlag zu warnen, hieß es in dem Brief. Als Leiter des Militärgeheimdienstes trage er die volle Verantwortung für das Versagen. Er kündigte eine tiefgreifende Untersuchung der Vorfälle an. Dann werde man die Konsequenzen ziehen.

Scholz zeigt mit Besuch in Israel Solidarität nach Hamas-Angriff

Bundeskanzler Olaf Scholz besucht Israel derzeit indes, um seine Solidarität mit dem Land zu zeigen. Vor seiner Abreise kündigte Scholz an, sich in Tel Aviv auch für einen "humanitären Zugang zum Gazastreifen" einzusetzen. Gleichzeitig warnte er den Iran und andere Staaten vor einem direkten Eingreifen in den Konflikt. Die Bundesregierung setze sich mit aller Kraft dafür ein, dass dieser Konflikt nicht eskaliert. "Es gilt einen Flächenbrand in der Region zu verhindern", sagt Scholz in Tel Aviv.

"Wir setzen uns dafür ein, dass es einen humanitären Zugang zum Gazastreifen gibt", sagte Scholz nach einem Treffen am Dienstagmorgen mit Jordaniens König Abdullah II. in Berlin. Dies sei notwendig, da die Hamas die Menschen "als menschliche Schutzschilde" benutze. Die Bevölkerung des Gazastreifens sei nicht mit der Hamas gleichzusetzen und damit auch Opfer der Hamas.

Am Abend will sich Scholz mit Familien von deutsch-israelischen Geiseln in Tel Aviv treffen. Von Israel reist Scholz dann nach Ägypten weiter, das unmittelbar an den Gazastreifen angrenzt.

Hamas veröffentlicht erstmals Geisel-Video

Die Terrororganisation Hamas hat erstmals ein Video mit einer mutmaßlichen israelischen Geisel veröffentlicht. Es zeigt, wie eine junge Frau am Arm verarztet wird. Sie nennt ihren Namen und erklärt, dass sie in einem Krankenhaus in Gaza behandelt werde. Medienberichten zufolge handelt es sich um eine 21-jährige Israelin, die auch den französischen Pass besitzt. Die Hamas hatte zuvor erklärt, zwischen 200 und 250 Menschen in den Gazastreifen verschleppt zu haben.

Wie der Élyséepalast in Paris mitteilte, hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Freilassung der französisch-israelischen Staatsbürgerin gefordert. Er verurteile die Schmach, die die Geiselnahme unschuldiger Menschen und ihre abscheuliche Inszenierung darstelle, hieß es.

Fast die Hälfte der Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf der Flucht

Fast die Hälfte der Zivilbevölkerung des Gaza-Streifens ist nach Schätzung des UN-Nothilfebüros (OCHA) inzwischen auf der Flucht. Rund eine Million Menschen hätten ihre Wohnungen bis Montagabend verlassen, teilte OCHA mit. Viele Zufluchtsmöglichkeiten haben sie demnach nicht, weil der nur rund 40 Kilometer lange Küstenstreifen vollständig abgeriegelt ist. Ein Drittel der Menschen habe Zuflucht in Gebäuden des UN-Hilfswerk für Palästinenser ( UNRWA ) gesucht, hieß es. Andere kampierten im Freien oder seien bei Freunden und Verwandten im Süden des Gebiets untergekommen.

Israel setzt Gegenangriffe fort

Armeesprecher Jonathan Conricus erklärte, das israelische Militär attackiere weiter die Infrastruktur der Hamas und suche aktiv nach den Verstecken ihrer Führungsleute. So wurde bei einem Luftangriff der Chef des Schura-Rats der Hamas, Osama Mazini, getötet, wie die Armee zuvor bekanntgab. Dieser sei für die Gefangenen der Hamas verantwortlich gewesen und habe terroristische Aktivitäten gegen Israel geleitet.

Hoffnung auf Öffnung ägyptischen Grenzübergangs

Helfer hoffen auf eine Öffnung des ägyptischen Grenzübergangs Rafah für humanitäre Lieferungen. Es wäre der einzige Weg, um Hilfe in den von Israel abgeriegelten Küstenstreifen zu bringen. Rund 2.000 Tonnen Güter standen dafür nach Angaben des Ägyptischen Roten Halbmonds bereit. Etwa 150 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern seien von Al Arish auf der ägyptischen Sinai-Halbinsel in Richtung des Grenzübergangs Rafah unterwegs, sagten Augenzeugen der Deutschen Presse-Agentur. Wann und ob der Grenzübergang zwischen Ägypten und dem Gazastreifen geöffnet wird, ist unklar.

Israels Armee greift Ziele der Hisbollah im Libanon an

Israels Militär hat nach eigenen Angaben in der Nacht die Hisbollah-Miliz im Libanon angegriffen. Die Angriffe der Armee hätten militärischen Zielen der Terrororganisation gegolten, teilten die Streitkräfte mit. Man reagiere auf die Hisbollah-Angriffe, ohne die Situation jedoch zu eskalieren, hieß es. Angesichts der wiederholten Angriffe der Hisbollah evakuiert Israel 28 Orte in bis zu zwei Kilometer Entfernung zum Grenzgebiet und verstärkte dort seine Truppen.

Seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas vor 10 Tagen ist es auch an der Grenze zum Libanon zu Zusammenstößen gekommen, die dortige Hisbollah ist mit der Hamas verbündet. Es gab bereits mehrere Tote auf beiden Seiten. Die internationale Gemeinschaft befürchtet, dass sich der Konflikt auf mehrere Seiten ausweitet.

Iran weist Verstrickung zurück

Der Iran bekräftigte angesichts des Kriegs zwischen Israel und der Hamas seine Drohungen gegen Israel. "Wenn die zionistischen Verbrechen nicht sofort aufhören, werden neue Fronten für sie eröffnet werden", sagte Irans Außenminister Hussein Amirabdollahian im Staatsfernsehen. "Stoppen Sie die Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung, bevor es zu spät ist", sagte Amirabdollahian. Der Außenminister wies erneut eine direkte Verstrickung Irans zurück.

EU-Sondergipfel zur Lage in Nahost

Die Staats- und Regierungschefs der EU beraten am späten Nachmittag über die Auswirkungen des Kriegs zwischen Israel und der islamistischen Hamas. Die Gespräche finden per Videokonferenz statt. Unter anderem soll es darum gehen, wie eine weitere Eskalation in der Region vermieden und humanitäre Hilfe geleistet werden kann.

Die EU-Kommission hat bereits die Einrichtung einer Luftbrücke für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen angekündigt. Seit dem Angriff der Hamas sind die zwei Millionen Menschen im Gazastreifen von Hilfen abgeschnitten. Auch die Folgen für Europa mit Blick auf möglicherweise steigende Zahlen von Flüchtlingen sollen diskutiert werden.

Zahl der Toten steigt weiter

Radikal-islamische Hamas-Terroristen hatte vor einer Woche einen Großangriff auf Israel gestartet. Auf israelischer Seite wurden nach vorläufigen Angaben mehr als 1.400 Menschen getötet, bei den folgenden Angriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen starben nach Angaben der Hamas-Behörden bisher mehr als 2.750 Menschen. Das waren binnen einer Woche schon mehr als bei dem letzten großen Gaza-Krieg von 2014, der 50 Tage dauerte.

dpa,KNA,AFP (dkn, kar, das)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. Oktober 2023 | 12:38 Uhr

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