Carlson-Interview Sicherheitsexperte hält Putins Desinteresse an Angriff auf Polen für glaubhaft
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09. Februar 2024, 17:45 Uhr
Das Interview von Russlands Präsident Wladimir Putin mit einem ultrarechten US-Moderator schlägt große Wellen. Der Sicherheitsexperte Markus Kaim hält die Aussage Wladimir Putins für glaubhaft, kein Interesse an einem Angriff auf Polen und das Baltikum zu haben.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat nun das erste Mail seit Beginn des Ukraine-Kriegs mit einem westlichen Journalisten gesprochen. Tucker Carlson – ein ultrarechter früherer Fernsehmoderator von Fox News – interviewte Putin.
Für Putin war es die perfekte Gelegenheit, seine Botschaft an Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner zu bringen. Russland sei nicht der Aggressor, sondern verteidige seine Bevölkerung, erklärte Putin in dem Fernsehinterview. Er wolle verhindern, dass die Ukraine zu einer Bedrohung werde. Er habe außerdem kein Interesse an Polen und den baltischen Staaten.
Über das umstrittene Interview hat MDR-AKTUELL-Moderator Hanno Griess mit Markus Kaim, Politikwissenschaftler bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik, gesprochen.
MDR AKTUELL: Hallo Herr Kaim! Momentan stecken die amerikanischen Ukraine-Hilfen im Kongress fest, weil die Republikaner dieses Thema mit Anti-Einwanderungsmaßnahmen an der mexikanischen Grenze verbinden. Wie passt das Interview mit Putin in diese Stimmung hinein?
Markus Kaim: Also es deckt sich zumindest mit der politischen Agenda eines Teils der Republikaner. Ich will das nicht generalisieren, aber Trump und seine Entourage verfolgen eine Politik gegenüber Russland, die an die Amtszeit von Präsident Trump anknüpft: Die Bewunderung für große Männer, konkret Präsident Putin, die Annahme, dass man mit kleinerer Konzession einen großen Deal machen könne, wenn man denn ein bisschen guten Willen an den Tag legen würde und die kleinen Akteure, die Ukraine und die baltischen Staaten noch aus dem Weg gehen würden.
Ich glaube, das ist so eine Art, die Trump teilen würde. Und er hat angekündigt, er sei in der Lage, diesen Konflikt an einem Tag zu beenden. Und das hat Putin gestern spiegelbildlich erklärt.
Wenn die USA Frieden und Verhandlungen wollten, sagt Putin, dann müssten sie nur aufhören, Waffen zu liefern. Dann wäre das alles in ein paar Wochen vorbei. Dieses Argument ist zwar so alt wie Methusalem, aber verfängt das in den USA?
In einer gewissen Gruppe ja, vor allen Dingen, weil es in den USA eine überwölbende Stimmung gibt (auch unter den Demokraten), die der Meinung sind, die USA seien überdehnt. Nicht im territorialen Sinne, aber von ihrer sicherheitspolitischen Verantwortung. Das heißt, sie haben viel zu viel Verantwortung rund um den Globus übernommen, im Nahen Osten, in Europa und jetzt sei es Zeit, das zurück zu fahren. Also eine Art Kehrtwende der amerikanischen Politik.
Bei diesen Vertretern stößt das auf offene Ohren. Eine Möglichkeit, die Hilfen an die Ukraine zu reduzieren, die Möglichkeit, das sicherheitspolitische Engagement der USA in Europa zu verringern. All das mit der Perspektive, dass es eine überwölbende Bedrohung oder Herausforderung in den nächsten Jahren geben wird und das ist China. Alles andere würden davon ablenken.
Die beiden haben sich auch sehr lange über uns Europäer unterhalten. Wie bewerten Sie Putins Äußerungen über Polen und das Baltikum?
Also in der Sache glaube ich, ist das einer der wahrhaftigsten Momente des Interviews gewesen. Denn ich glaube Präsident Putin kann den Unterschied zwischen einem Nicht-Nato-Mitglied wie der Ukraine und einem Nato-Mitglied wie Polen oder der drei baltischen Staaten machen.
Trotz der Tatsache, dass es entgegengesetzte Äußerungen aus der Administration in Moskau gibt, die immer wieder damit gedroht haben, man könne auch Warschau oder Vilnius wieder besetzen, gehe ich nicht davon aus, dass eine unmittelbare Besetzung, eine Eskalation des Konfliktes bevorsteht, weil das wäre wirklich der Bündnisfall mit ungeahnten Folgen für Russland, für Europa und für die USA.
Hat dieses Interview in der amerikanischen Öffentlichkeit eine Wirkung? Kann es die öffentliche Meinung beeinflussen?
Ich weiß nicht, ob es sie jetzt noch mal zusätzlich beeinflussen kann, weil die USA in vielen Fragen polarisiert. Unter anderem in Fragen des Umgangs mit Russland und der Ukraine. Die Zustimmung für die Politik in dieser Frage für Präsident Biden hat nachgelassen. Von daher bräuchte es dieses Interview vielleicht nicht, aber es gießt zusätzlich Öl ins Feuer. Und ich meine, wir müssen uns vergegenwärtigen, dass am 5. November Wahlen in den USA sind. Da braucht der amerikanische Präsident jede Stimme und es sieht im Moment nicht gut aus.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 09. Februar 2024 | 16:35 Uhr