Interview mit der Konservatorin Agnieszka Tanistra-Różanowska, 25.01.2019 Das Grauen des Vernichtungslagers vorstellbar machen
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25. Januar 2019, 21:25 Uhr
Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ist als Ort des Grauens in die Geschichte eingegangen. Er soll für die Nachwelt als Mahnung erhalten bleiben. Doch viele Bauten wurden nicht "für die Ewigkeit gebaut". Konservatoren kämpfen gegen den Verfall dieser Zeugnisse des Holocaust. HEUTE IM OSTEN sprach darüber mit Agnieszka Tanistra-Różanowska vom Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau. Dort ist sie hauptsächlich für die Konservierung der einstigen Häftlingsbaracken zuständig.
Ehemalige Häftlingsbaracken zu konservieren, muss eine sehr spezielle Aufgabe sein. Worin besteht die Herausforderung?
Die Baracken in Birkenau sind in der Tat sehr speziell und zwar nicht nur wegen ihrer Geschichte. Sie waren nie dafür gedacht, 70 Jahre oder länger zu stehen, wurden also nicht besonders solide gebaut. Außerdem wurden sie sehr schnell errichtet und nicht von gelernten Bauleuten, sondern von den Häftlingen, also Laien. Entsprechend sind viele Dinge nicht so gelöst, wie die Normen der Baukunst es eigentlich verlangen. Die Wände sind zum Beispiel nur einen Ziegelstein dick. Hinzu kommt noch der lehmige Grund, der schnell auf nasses Wetter reagiert. Dadurch kommt es zu Erdbewegungen und folglich zu Verformungen und Schäden an den Barackenwänden.
Wie gehen Sie bei der Konservierung vor?
Bislang haben wir einen Teil der Arbeiten an auswärtige Firmen vergeben. Jetzt wollen wir ein neues Modell erarbeiten, da in den nächsten Jahren mehrere Konservierungsarbeiten anstehen. Derzeit arbeiten wir an zwei gemauerten Baracken, komplett auf eigene Faust. Es ist ein Pilotprojekt. Mit den hier gesammelten Erfahrungen wollen wir eine Art Standard für die Zukunft erstellen, wie man bei anderen Baracken vorgeht.
Wie sieht das in der Praxis aus? Wie muss man sich die Arbeit mit der historischen Bausubstanz vorstellen?
Zuerst haben wir die Objekte gründlich untersucht: Wie sind sie konstruiert, woraus wurden sie gebaut? Wir haben Proben entnommen, die Zusammensetzung des Putzes ermittelt, sogar die dort lebenden Mikroorganismen, Moos und Flechtarten untersucht, deren Stoffwechselprodukte die Bausubstanz angreifen. Auf dieser Grundlage haben wir Empfehlungen erstellt, wie man vorgehen soll, welche Stoffe man einsetzen kann und welche man lieber meiden sollte. Die Arbeiten verlangen außerdem nach fachübergreifender Zusammenarbeit – da gibt es sowohl Konservatoren, als auch Handwerker, Techniker und Bauingenieure. Unser Museum verfügt sogar über ein eigenes Chemielabor, das wir zum Beispiel einschalten, wenn wir ein Element mit einer unbekannten Beschichtung finden und ermitteln wollen, wie man diese am besten entfernen kann.
Haben Sie für Ihre Arbeit Vorbilder? Nach welchen Prinzipien erfolgt die Restaurierung der Objekte?
Vorbilder gibt es kaum, da solche Bauten wie in Auschwitz nun mal aus historischen Gründen kaum außerhalb von Polen vorkommen. Wir versuchen, kurz gesagt, alle Einflüsse auszuschalten, die die historische Bausubstanz schädigen. Gleichzeitig versuchen wir, so viel wie möglich davon zu erhalten und so wenig wie möglich einzugreifen. Wir machen zum Beispiel eine Bodendrainage, um das Wasser abzuführen, aber keinen Unterbau aus Beton. Wir imprägnieren nur die historischen Fundamente mit einem wasserabweisenden Stoff und ersetzen die zerstörten Ziegelsteine.
Ein weiteres Problem waren verformte Wände, die wir begradigen mussten. Hier haben wir eine völlig neue Methode angewandt, weil noch niemand in der ganzen Welt derart dünne Wände begradigen musste. Wir haben sie mit speziellen Vorrichtungen abgestützt, die mit sehr geringen Kräften darauf über Wochen einwirkten. Das Ganze wurde mit Sensoren überwacht.
Im Inneren konservieren wir unter anderem die Holzpritschen, auf denen die Häftlinge schliefen, kleben zum Beispiel alle Farbschichten an und sichern sie gegen Holzschädlinge. Wir gehen da genauso sorgfältig vor, als hätten wir ein Kunstwerk vor uns, zum Beispiel ein Ölgemälde oder eine gotische Holzskulptur.
Trotzdem stellt sich die Frage: Kann man dann überhaupt noch von Originalschauplatz sprechen?
Wir versuchen, keinerlei neue Elemente hinzuzufügen, wenn das nicht absolut zwingend ist - weil etwa die Baracke sonst einstürzen könnte. Wir ergänzen auch nicht die fehlenden Wandbemalungen. Aber gewisse Kompromisse muss man natürlich machen, damit die Besucher den Charakter dieses Ortes nachempfinden können. Hier fällt uns auch die enorme Größe des Lagers ein wenig in den Rücken, zum Beispiel beim Stacheldraht, denn Originalstacheldraht 70 Jahre lang zu erhalten, wäre bei diesen Mengen äußerst schwierig. Deshalb sind es in weiten Teilen Repliken.
Auch verschiedene Schilder im Lager sind oft durch Repliken ersetzt, denn würden wir die Originale aus Holz dort draußen der Witterung aussetzen, dann wären sie nach zwei oder drei Jahren verrottet. Es ist aber immer ersichtlich, wo es sich um Originalsubstanz handelt und wo um Nachbauten. Wobei ich sagen muss, dass es nach wie vor sehr, sehr viel Originalsubstanz gibt.
Warum ist es so wichtig, dass das Lager noch so aussieht wie im Zweiten Weltkrieg?
Weil es etwas völlig anderes ist, etwas mit den eigenen Augen zu sehen als im Internet, als darüber ein Buch zu lesen oder Fotos zu betrachten. Hier kann man den Raum und die einzelnen Objekte physisch erleben. Dadurch können sich die Besucher viel besser vorstellen, wie das Lager funktionierte, wie schwer es war, hier zu überleben und wie schlimm die Sklavenarbeit war. Und sie können dieses paradoxe Gefühl erleben, dass nämlich draußen, außerhalb dieser Hölle, ein ganz normales Leben lief. Ich spüre das selbst immer wieder, so ein verstörendes Gefühl, dass hier diese Relikte des Verbrechens stehen und gleichzeitig blühen Blumen, die Vögel singen und das Leben geht seinen ganz normalen Gang.
Das Gespräch führte Cezary Bazydlo.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise Spezial: Zeugen des Holocaust | 27. Januar 2019 | 22:20 Uhr