Neuer Weltmarktführer? Polen: Pelzproduktion im Corona-Aufwind
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01. Februar 2021, 18:00 Uhr
Polen will den Weltmarkt für Pelze aufrollen und zur globalen Drehscheibe für Felle von Nerzen und anderen Kleintieren werden. Ausgerechnet in der Corona-Krise! Wo andere Länder wie Dänemark nach Masseninfektionen ihre Bestände keulten, will Polen durchstarten. Strategischer Partner dabei soll China sein. Und noch ein östlicher Nachbar könnte zum Verbündeten wider Willen werden: Russland.
China – Markt und Partner zugleich
Das Fell der Nerze ist auch in China begehrt. Es wärmt gut - als Kapuze, Kragen oder Mantelfell. China ist der weltweit wichtigste Markt für Pelze. Nun will Polen China als Verbündeten auf dem Weg zum Zentrum des globalen Pelz-Auktionshandels gewinnen, so berichten es polnische Medien: Boom statt Corona-Blues. Die Idee hatte Szczepan Wójcik, der Präsident des Verbandes der polnischen Pelzindustrie. Der Farmer aus Radom in Zentralpolen gilt als treibende Kraft der Branche. Seine Karriere begann er mit einer Reise in die Niederlande. Wójcik wollte Geld verdienen und bekam einen Job auf einer Pelzfarm. Nach einigen Jahren kehrte er zurück, nahm einen Kredit von mehreren Millionen Złoty auf und eröffnete 2009 seinen eigenen Betrieb.
Das größte Pelz-Auktionshaus der Welt
Jetzt soll in Radom das erste und gleichzeitig größte Pelz-Auktionshaus der Welt entstehen. Die Chinesen sollen mit Investitionen helfen. Sollten die Geschäfte tatsächlich zustande kommen, soll die erste Messe schon Ende dieses Jahres, spätestens Anfang nächsten Jahres stattfinden, ganz klassisch als Präsenzveranstaltung. Fünf bis sieben solcher Messen soll es im Jahr geben. "Wir sind entschlossen, die Chance zu nutzen", sagt Szczepan Wójcik, jetzt wo die dänische Pelzindustrie durch Corona am Boden liege. Bisher sei der internationale Pelz-Auktionshandel über das Ausland gelaufen, etwa über Kopenhagen. Das wolle man ändern. Die Chinesen hätten sich vom Kauf des Kopenhagener Pelz-Auktionshauses zurückgezogen und stattdessen Polen zugewandt. Für erste Verträge gäbe es laut Wójcik auf Twitter bereits "grünes Licht".
Polens Pelzindustrie
Polen gehört neben Dänemark und Finnland zu den größten Pelzexporteuren Europas. Es liefert rund 14 Prozent der weltweiten Pelzproduktion. Fünf bis sechs Millionen Nerze werden in mehreren hundert Zuchtbetrieben Jahr für Jahr getötet, sagen Tierschützer, vor allem gegen Ende des Jahres, denn da tragen die Nerze ihr flauschiges Winterfell. 2019 exportierte Polen Pelze und Leder im Wert von mehr als einer Milliarde Euro. An der Branche hängen bis zu 50.000 Arbeitsplätze, sagt die Pelzindustrie. Ein Bericht des Western Centre for Social and Economic Research schätzt sie allerdings auf höchstens 4.000 Beschäftigte. Die polnische Pelzindustrie mache demnach nur etwa 0,08 Prozent des BIP aus und nur 0,16 Prozent der polnischen Exporte. Und doch: Die Pelztier-Lobby ist stark im Land.
Tierschutz – Fehlanzeige!
Erst im vergangenen hatte Polen ein Tierschutzgesetz auf den Weg gebracht, das beinahe die konservative Regierung gespaltet hätte. Züchter und Landwirte, die Stammwählerschaft der PIS-geführten Regierung, protestierten, angeführt von Szczepan Wójcik, dem Präsidenten des Verbandes der Pelzindustrie – und gegen Katzenfreund und PIS-Partei-Chef Jarosław Kaczyński. Der wollte das Gesetz mithilfe der Opposition durchs Parlament bringen. Doch die Nerze bleiben bis heute ungeschützt. Wegen zahlreicher Änderungsanträge liegt das Gesetz seit dem Herbst auf Eis. Zu groß der Widerstand der Pelztier-Lobby. Videos, die die Tierschutzorganisationen "Soko Tierschutz" und "Viva" aus Deutschland und Polen schon im Dezember aufgenommen haben, zeigen, wie grausam es auf den Zuchtfarmen zugeht. Die Nager, die dort in engen Drahtverschlägen hausen, werden für die Tötung in Boxen gesteckt und mit Gas erstickt, bevor man ihnen das Fell abzieht. Anders als die Pelztier-Lobby behauptet, werden die Tiere von dem Gas aber nicht schnell bewusstlos. Sie geraten in Panik und verletzten sich in einem langen Todeskampf. Bis zu 30 Minuten kann der dauern. Blutspuren in den Boxen zeugen davon.
Coronaviren nun auch bei polnischen Nerzen - Hilfe aus Russland?
Und jetzt auch noch Corona! Nerze sollen anfällig für Coronaviren sein und sie verbreiten können. Medien berichteten Ende November, dass auch in polnischen Pelzfarmen das Virus unter den Tieren ausgebrochen sei. Doch während die Niederlande oder Dänemark Millionen Tiere keulten, weil sie womöglich das Coronavirus übertragen, und die Niederlande ihre Pelztierzucht sogar ganz einstellten, will Polen jetzt erst richtig loslegen.
Allerdings gibt es da ein "kleines" Problem, denn Viren machen bekanntlich keinen Halt vor Landesgrenzen. Inzwischen ist auch in Polen der erste Fall einer SARS-CoV-2-Infektion bei Nerzen registriert worden - das teilte das Ministerium für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung am Sonntag mit. Das Virus wurde demnach auf einem Bauernhof im Kreis Kartuzy in Pommerellen nachgeiesen. Die genauen Ergebnisse der Untersuchung der Tiere sowie Schritte zum weiteren Vorgehen werden noch diese Woche vom Ministerium bekanntgegeben. Momentan ist es noch schwer einzuschätzen, inwieweit es die Lage in den Nerzfarmen beeinflussen wird.
Hilfe ist allerdings in Aussicht. Ironie der Geschichte, den ausgerechnet Russland, zu dem Polen ein angespanntes Verhältnis hat, Stichworte Flugzeugunglück von Smolensk oder Nord Stream 2, könnte die polnische Pelztierzucht vor Corona retten. Russische Forscher arbeiten nämlich an einem Corona-Impfstoff auch für Tiere. Angespornt haben sie die Ereignisse in Dänemark und den Niederlanden. Auch Russland züchtet Nerze und exportiert Pelze. Es hat also ein vitales Eigeninteresse, beim Impfstoff für Tiere genau so schnell zu sein, wie beim Vakzin für Menschen. Russischen Medienberichten zufolge soll der heimische Tierimpfstoff im Herbst auf den Markt kommen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. September 2020 | 09:00 Uhr