Serbien Ein Luxusviertel in Belgrad sorgt für Unmut
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22. Februar 2017, 14:25 Uhr
Man könnte es spöttisch Mini-Dubai nennen: das in Belgrad geplante neue Luxusviertel Waterfront. Das Geld dafür kommt aus Abu Dhabi, ein Teil der Zivilgesellschaft vermutet Korruption. Noch ist die Waterfront eine der größten Baustellen Europas, die für immer mehr Unmut in der Bevölkerung sorgt.
Vergangene Woche fordern Tausende Demonstranten vor dem Belgrader Rathaus den Rücktritt des Belgrader Bürgermeisters Siniša Mali, des Innenministers Nebojša Stefanović und des Premiers Aleksandar Vučić. Sie werfen ihnen Korruption, Willkür, Amtsmissbrauch und kriminelle Machenschaften sowie die Gleichschaltung der Medien vor.
"Wir geben Belgrad nicht her"
Es sind nicht Hunderttausende Demonstranten wie in Rumänien. Aber sie sind hartnäckig und laut, lassen sich nicht entmutigen und einschüchtern. Seit über einem Jahr versammeln sie sich bei Demonstrationen, die die Bürgerbewegung "Erwürgen wir Belgrad nicht" ("Ne Da(vi)mo Beograd") organisierten. Lässt man die Buchstaben in der Klammer weg, heißt ihr Slogan: "Wir geben Belgrad nicht her". Es sind vorwiegend junge Menschen, Studenten, Menschenrechtler, liberale Aktivisten, die gegen die stetige unrechtmäßige Aneignung von Macht auf die Straße gehen. Parteifunktionäre sind bei den Demonstranten nicht willkommen, man will sich politisch nicht manipulieren lassen.
Diskreditierung von Demonstranten
Regierungstreue Medien bezeichnen die Demonstranten als vom Ausland finanzierte "Verräter": Sie würden von Washington und Brüssel finanziell unterstützt, um Ministerpräsident Alexsandar Vučić zu entmachten, heißt es. Es klingt verrückt, Serbien ist EU-Beitrittskandidat, der Staat profitiert von den EU-Fonds, die Regierung Vučić hat die EU-Mitgliedschaft zum wichtigsten strategischen Ziel Serbiens erhoben. Doch in Serbien spielen Sinn und Wahrheit immer weniger eine Rolle. Die Regierung hat die Opposition zerstört und die Medien gezügelt, nun versucht sie auch die jungen Demonstranten zu spalten.
"Meisterwerk" der Superlative
Alles begann mit dem Megabauprojekt "Belgrad am Wasser" (Belgrade Waterfront), das zum Machtsymbol von Premier Vučić werden sollte, jedoch zum Symbol des Kampfes gegen sein autokratisches Regime geworden ist.
Das modernistische, architektonische "Meisterwerk" der Superlative soll sich auf dem rechten Ufer der Save auf 177 Hektar erstrecken, mit einer Million Quadratmeter Wohnraum, 750.000 Quadratmetern an Geschäftsräumen, Schulen, Kindergärten, Theater, Kinos, Shoppingmalls, 242.000 Quadratmetern Parkanlagen sowie Kinder- und Sportplätzen.
"Historische Chance" oder "urbanistische Katastrophe"?
Das Projekt spaltete die serbische Öffentlichkeit gleich zu Beginn. Während die Regierung von einer "historischen Chance" sprach, die serbische Bauindustrie anzukurbeln und das Land zu modernisieren, warnten Fachverbände der Architekten und die wenigen regierungskritischen Medien vor einer "urbanistischen Katastrophe" und dubiosen Machenschaften, vor dem "größten Raubbau der Welt". An der Umsetzung ist das weltbekannte Bauunternehmen "Eagle Hills" aus Abu Dhabi beteiligt, das angeblich rund drei Milliarden Euro investieren will. Allerdings werden die Verträge mit den arabischen Partnern streng geheim gehalten. Der Bauzeitplan: Dreißig Jahre oder mehr. Nichts Genaues weiß man nicht.
Polizei ignoriert Nacht-und-Nebel-Aktion
Um Platz für die "neue Stadt“ zu schaffen, mussten zunächst die im Stadtteil Savamala stehenden Gebäude abgerissen, ihre Eigentümer entschädigt werden. Erst ein umstrittenes, auf die Schnelle verabschiedetes Gesetz, verschaffte dem Projekt "Belgrad am Wasser" eine legale Grundlage.
In der Nacht vom 24. April vergangenen Jahres sperrte in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ein maskierter Schlägertrupp den Stadtteil mit schwerem Gerät ab, nahm wahllos Passanten fest, beschlagnahmte ihre Ausweise und Handys, entwaffnete einen Wachmann und riss mit Baggern Gebäude im Privatbesitz ab, wegen derer die Bauarbeiten nicht vorankamen. Die Polizei ignorierte die Hilfe-Anrufe von Bürgern. Vermutet wird, dass die Direktive für die Polizei, sich nicht einzumischen, anscheinend von "ganz oben" kam. Bis heute hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen in dieser Sache nicht einmal aufgenommen. Die Regierung versuchte, den Vorfall unter den Tisch zu kehren. Premier Vučić bezeichnete das "Abreißen von einigen illegalen Baracken" als unwichtig.
Ex-Ehefrau liefert mögliche Beweise
Doch eine Kehrtwende brachten vorige Woche Erklärungen der Ex-Frau des Belgrader Bürgermeisters, Marija Mali. In einem Interview mit dem Portal "Krik" erklärte sie, ihr Ex-Mann habe ihr gesagt, die Räumungsaktion im Stadtteil Savamala befohlen zu haben. Zudem beschuldigte sie ihn, Eigentümer mehrerer Offshore-Firmen und nicht offiziell gemeldeter Immobilien zu sein. "Krik" erklärte, die entsprechenden Beweisdokumente eingesehen zu haben. Zwei Tage später kam es zum Protest durch die Innenstadt von Belgrad.
Premier Vučić sprach daraufhin vom "politischen Missbrauch einer armen, verletzen Frau". Zugleich kündigte er an, dass dem Bürgermeister Konsequenzen drohten, ohne ins Detail zu gehen. Über die umstrittene Rolle der Polizei und der Justiz in diesem Vorfall, verlor er kein Wort.
Nächster Protest unklar
Wann sich die Belgrader Protestbewegung wieder versammeln will, ist unklar. Fest steht, um sie scharen sich allmählich die Zivilgesellschaft, weitere Protestbewegungen und Gewerkschaften - jene Front, die das Gefühl von Anstand und Glauben an die Demokratie vermitteln will.
Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: Fernsehen | 24.02.2017 | ab 17:45 Uhr
(Zuerst veröffentlicht am 22.02.2017)