Großgemeinde Hörselberg-Hainich Vom Polizeirevier ins Rathaus: Sven Kellner setzt als Bürgermeister auf Kommunikation
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03. Januar 2025, 11:24 Uhr
Im Wartburgkreis hatten Ende 2023 gleich zwei Bürgermeister vorzeitig ihr Amt aufgegeben, in Hörselberg-Hainich und in Gerstungen. Beide hatten Großgemeinden mit zahlreichen Ortsteilen zu verwalten, beklagten den engen finanziellen Spielraum und mangelnde Unterstützung des Gemeinderats. Seit Ende Februar ist in Hörselberg-Hainich ein Nachfolger im Amt. Der parteilose Sven Kellner war lange Polizist und will mit Transparenz und Kommunikation für ein neues Wir-Gefühl sorgen.
- Bürgermeister Sven Kellner arbeitete 23 Jahre lang als Polizist.
- Wie der Ortsteilbürgermeister von Burla Kellner überzeugte, zu kandidieren.
- Großgemeinde schreckt Bürgermeister nicht ab.
- Warum Kellner Transparenz besonders wichtig ist.
Wenn anstrengende Gespräche mal lange dauern, dann lehnt sich Sven Kellner in das offene Dachfenster seines schmalen Bürgermeister-Büros oben im Neubau-Rathaus in Behringen, atmet tief durch und schaut über die Landschaft. Fünf Minuten reichen, sagt er. Dann habe er sich erholt - und dann wird auch die B84 direkt vor dem Gebäude zu laut.
Seine Tage sind prall gefüllt. Selbst im privaten Terminkalender im Handy nehmen die schwarzen, beruflichen Termine den meisten Platz ein. Die Arbeitszeiten hätten ihn gerade zu Anfang "überrollt", gesteht Kellner ein. Bisher hat er nicht bereut, sich für das Rathaus entschieden zu haben - aber er weiß auch: "Ohne die Familie im Rücken geht das nicht".
23 Jahre bei der Polizei
Der 46-jährige stammt aus der Gemeinde, aus Hastrungsfeld am Hörselberg. Im bayerischen Bad Kissingen hat er seine Ausbildung bei der Bundespolizei absolviert, war lange in Karlsruhe beim Objektschutz am Bundesverfassungsgericht eingesetzt. Aus familiären Gründen ging es zurück nach Thüringen. Zuletzt hat Kellner als Kontaktbereichsbeamter in Gerstungen gearbeitet - insgesamt 23 Jahre als Polizist.
Ich wollte mehr machen, konnte und durfte aber nicht.
Parteipolitik hat ihn nie interessiert, sagt er, auch in der Kommunalpolitik war er bisher nicht aktiv. Doch als Kontaktbereichsbeamter entdeckte er, dass ihm Bürgernähe liegt. Sich über den Gartenzaun zu unterhalten, Probleme, die die Menschen bewegen, mitzunehmen zur Gemeinde, auf Lösung zu hoffen. Dabei kam er als Polizist an Grenzen: "Ich wollte mehr machen, konnte und durfte aber nicht. Das war auch ok so, weil ich Polizist war und nicht Bürgermeister."
Anfragen aus zwei Gemeinden
Das fiel auf. Als sowohl in Gerstungen wie auch in Hörselberg-Hainich Ende 2023 kurz nacheinander die Bürgermeister vorzeitig ihr Amt aufgaben, wurde Kellner gefragt, ob er nicht kandidieren wolle - in beiden Gemeinden. Er holte sich grünes Licht von der Familie - schließlich gibt es fünf Kinder, von denen die beiden jüngsten noch im Haus leben - und sprach mit vielen.
Entscheidend sei der Ortsteilbürgermeister von Burla, Tino Merbach gewesen, sagt Kellner. "Der sagte nach dem Gespräch: 'Sven, die Gemeinde Hörselberg-Hainich braucht Dich.' Diesen Satz vergesse ich nie wieder." Danach entschloss er sich, anzutreten - in Hörselberg-Hainich.
In der Gemeinde leben rund 6.100 Menschen in 17 Ortsteilen. Einige Orte liegen zwischen Thüringer Wald und Hörselberg, andere auf der Nordseite des Hörselbergs entlang der Nesse, wieder andere jenseits des Kindel am Hainich. Mit rund 140 Quadratkilometern ist Hörselberg-Hainich fast so groß wie Gera. Allerdings mit einem Bruchteil der Einwohner und der Mittel, so dass es schwer ist, die Infrastruktur überall gleichermaßen aufrecht zu erhalten.
Fast in jedem Ort ein Friedhof, zehn Feuerwehren, sechs Kindergärten. Jeder Ortsteil schaut auf den anderen - möchte nicht benachteiligt werden. Das birgt Konfliktpotential.
Aufs Bauchgefühl vertraut
Großgemeinden dieser Struktur seien zum Scheitern vorgesehen, hatte sein Vorgänger gesagt, als er das Handtuch warf - und auch den Gemeinderat heftig kritisiert. Das hat Sven Kellner nicht abgeschreckt. "Ich hatte einfach ein Bauchgefühl, ich wusste, das stimmt so nicht." Er trat an für die Freien Wähler Hörselberg-Hainich und setzte sich mit 56,4 Prozent gegen einen Gegenkandidaten durch. Die Kandidatur war die richtige Entscheidung, ist er sich nach einem knappen Jahr im Amt sicher. Er komme jeden Morgen gern ins Rathaus.
Dreh- und Angelpunkt des Ganzen, das Rezept, dass es in so einer Gemeinde überhaupt funktioniert, ist Kommunikation.
Unterstützt hat ihn die Gemeindeverwaltung, der Kellner großen Respekt zollt. Zuletzt waren viele gegangen. Als er sein Amt antrat, hätten 50 Prozent der Belegschaft 100 Prozent der Arbeit geleistet, das habe ihn beeindruckt. Inzwischen sind sie wieder vollzählig.
Auch auf den alten Gemeinderat lässt der Bürgermeister nichts kommen: "Es war mir eine Ehre, mit ihm zusammenzuarbeiten." Dass er den ersten Haushalt einstimmig durchbekommen hat - erstmals überhaupt in der Geschichte der Gemeinde, wie Kellner betont - sieht er als "ein Zeichen des alten Gemeinderats an mich: Dann mach mal. Und ich mache."
Viel Zeit für Bürgernähe
Dabei setzt Kellner vor allem auf Bürgernähe, ob beim Seniorennachmittag, der Kirmes, einer Bürgerversammlung oder bei Geburtstagen und Hochzeitsjubiläen. Sich anhören, was die Menschen beschäftigt. "Dreh- und Angelpunkt des Ganzen, das Rezept, dass es in so einer Gemeinde überhaupt funktioniert, ist Kommunikation. Immer mit den Leuten reden, reden - nicht labern - reden und ihnen ganz klar die Fakten darlegen, wie die Haushaltslage ist. Und das wissen ja auch alle."
Er hat sich überlegt, mal zu einer Bürgerversammlung eine Bonbontüte mitzunehmen - 20 Bonbons für 30 Leute und dann schauen: Wann ist sie leer? Möchte vielleicht jemand gar kein Bonbon? Wie wird geteilt? Oder reicht es zu sagen: Du bekommst nächstes Jahr etwas Süßes?
Es geht um den Umgang miteinander, das Verständnis. "Auch wenn kein Geld da ist, nehme ich den Wunsch auf. Der Bedarf ist da und wird nicht einstauben, wir werden es Stück für Stück abarbeiten." Kellner hat auch festgestellt, dass es oft nicht die ganz großen Bauprojekte sind, die die Menschen wollen, sondern alltägliche Kleinigkeiten wie ein Stück Gehweg.
Gemeinderat und Ortsteilbürgermeister frühzeitig einbinden
Transparenz heißt für ihn, die Ortsteilbürgermeister und den Gemeinderat schon vor Entscheidungen einzubeziehen - wenn beispielsweise Windräder oder Solaranlagen gebaut werden sollen. Die Großbaustellen erklären, die große Teile des Haushalts auffressen. Und gleichzeitig alle 17 Ortsteile in ihrer Individualität und eigenen Kultur belassen. "Einen Einheitsbrei brauchen wir hier nicht zu machen", sagt Kellner, aber wünscht sich doch ein "Wir-Gefühl". So hofft er auf Verständnis beispielsweise dafür, dass ein Radweg zwischen Behringen und Reichenbach der gesamten Gemeinde und dem Tourismus nutzt und nicht nur den beiden Ortsteilen.
Dabei steht Hörselberg-Hainich vor einigen Herausforderungen. So sind die Straßen des Industriegebiets Kindel in einem schlechten Zustand und müssten dringend saniert werden. Die Kosten von zwei bis drei Millionen Euro kann die Gemeinde allein nicht stemmen, sagt Kellner. "Das brauche ich dem Gemeinderat gar nicht vorzulegen, das sprengt unseren Haushalt." Er hofft auf Hilfe von Land und Landkreis, aber weiß, das dauert.
Erneuerbare Energien und ein Herzensanliegen
Viele Anfragen gehen bei der Gemeinde ein von Energieproduzenten, die Windräder aufstellen oder Solaranlagen bauen wollen. Hörselberg-Hainich sei ein "Filetstück für erneuerbare Energien", sagt der Bürgermeister. Aber das bringt auch Konflikte mit sich. "Wir wollen das in Maßen, nicht in Massen." Und schließlich das schnelle Internet, das es längst noch nicht überall gibt. Da hofft Kellner auf Abhilfe durch ein Förderprogramm für sogenannte weiße Flecken. Spätestens bis zum Sommer sollten alle Haushalte versorgt sein, sagt er.
Und es gibt auch noch ein Herzensanliegen des neuen Bürgermeisters: Künftig sollen Paare wieder im Gemeindegebiet heiraten können. Die Aufgabe des Standesamts für Hörselberg-Hainich hat die Stadt Eisenach übernommen. Auch da ist Kellner im Gespräch, hofft, dass künftig im Hörselberghaus und im Schloss Behringen Trauungen stattfinden können. Am allerliebsten würde er selbst dabei mitwirken. Er arbeite daran, sagt Kellner, in Zukunft die ein oder andere Ehe schließen zu können.
MDR (rub/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 03. Januar 2025 | 07:20 Uhr
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