Der Redakteur | 15.02.2024 Was macht den Waschbären so gefährlich?
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15. Februar 2024, 15:50 Uhr
Nach der Aufregung um einen Waschbären in Schleiz: Die Feuerwehr hatte das Tier letztlich eingefangen und in der Natur wieder ausgesetzt. Das ist aber nicht ganz im Sinne des Gesetzes. Wie muss verfahren werden und was macht den Waschbären so gefährlich?
Der Waschbär ist niedlich. Aber eben auch gefährlich als Überträger von Krankheiten. Er ist erwähnt in der EU-Verordnung EU-VO 1143/2014 zu "Invasive Arten" und das hat Folgen für ihn.
Laut dieser EU-Verordnung, konkret Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe "h", dürfen invasive gebietsfremde Arten von "unionsweiter Bedeutung" nicht vorsätzlich freigesetzt werden. Das bedeutet: Ein Waschbär in einer Wohngegend muss entnommen werden, wie der Jäger etwas beschönigend formuliert und nicht wieder ausgesetzt.
Das Problem ist auch, dass ein Waschbär selten alleine kommt, wie Frank Herrmann vom Thüringer Landesjagdverband erklärt. Hinzu kommt, dass der Waschbär keine natürlichen Feinde hat, allenfalls der Uhu zeigt wohl Interesse und beim Wolf kann man es auch nicht ausschließen. Für die natürliche Regulierung der Bestände spielt das aber keine Rolle. Und die Zahlen steigen rasant.
Welchen Schaden richtet der Waschbär an?
Laut Bundesamt für Naturschutz (BfN) hat sich der Waschbär auch in Thüringen als invasive gebietsfremde Tierart etabliert und "kümmert" sich bei uns um Tierarten, die mehrheitlich geschützt sind, weil vom Aussterben bedroht. Auf seiner Speisekarte stehen Eier, Jungvögel, Fische, Flussschildkröten und Flussperlmuscheln.
Rund 13.000 Waschbären wurden im vergangenen Jahr in Thüringen erlegt. Zum Vergleich: Vor 15 Jahren, 2009, waren es nur 470. Diese Zahlen werden - um den Bestand zu schätzen - in der Regel mit dem Faktor 10 multipliziert. Wir haben also ein zunehmendes Problem. Trotzdem: Schon die "Entnahme" der 13.000 Waschbären in Thüringen war ein Geschenk für die Vogelwelt, rechnet Frank Herrmann vor.
13.000 Waschbären können 100.000 Vogelnester leermachen.
Welche Krankheiten überträgt der Waschbär?
In der Schule ist der Fuchs das Tier, vor dem wir unsere Kinder warnen. Stichwort: Tollwut und wenn der Fuchs zutraulich wird, dann ist er ganz verdächtig.
Nun ist der Fuchs in der Regel scheu und hält sich von uns fern, der Waschbär hingegen wohnt auf unseren Dachböden und in den Nebengelassen. Seine Speisekammer sind unsere Abfalleimer und er erntet auch höchstpersönlich in unseren Gärten. Seine Hinterlassenschaften liegen dann auf den Beeten, auf der Wiese oder in der Sandkiste, einschließlich des Waschbärspulwurms.
Dr. Lars Mundhenk vom Institut für Tierpathologie an der FU Berlin hat für die Jagdverbände eine Einschätzung verfasst, die durchaus als mahnender Zeigefinger verstanden werden kann. Wenn man die Population so fortschreibt, wie sie sich bisher entwickelte, wird es schnell eng im Wald.
Die Tiere werden verstärkt in unseren Dörfern und Städten auftauchen und damit auch auf Spielwiesen und in Sandkästen. Zwar sind wir für den Waschbärspulwurm nur ein "Fehlwirt", aber trotzdem kann es nach Aufnahme von infektiösen Eiern zu Körperwanderungen der Larve kommen.
Es drohen je nach "Wanderweg" im Körper Gehirn- und Hirnhautentzündungen, aber auch Augen, Herz, Lunge oder Darm können befallen werden. Die Erkrankung endet oft tödlich, so das Fazit von Dr. Mundhenk.
Insbesondere Kleinkinder sind gefährdet, wenn sie in Bereichen spielen, die mit Waschbärspulwurmeiern verunreinigt sind.
Neben den Kindern sind auch unsere Hunde gefährdet, in diesem Fall durch die Staupe, die vom Waschbären verbreitet werden kann. Das ist eine Viruserkrankung, die für Hunde oft tödlich verläuft.
Was ist in Schleiz schiefgelaufen?
Nach Recherchen von MDR THÜRINGEN war der Ablauf so, wie es in Deutschland üblich ist. Es begann zunächst mit der Suche nach einem Zuständigen, den es in Schleiz so direkt nicht gab. Das wäre nämlich der Stadtjäger gewesen.
Der hätte auch die EU-Verordnung gekannt und entsprechend gehandelt. Das Tier wäre "entnommen" worden aus dargelegten Gründen und die Sache wäre erledigt gewesen. Hauptamtsleiter Christian Berndt sagte MDR THÜINGEN, dass es bisher weder Anlass noch Bedarf gab, sich um einen Stadtjäger zu kümmern.
Das hat sich mit dem ersten Waschbären geändert. Man sei nun in Gesprächen mit der unteren Jagdbehörde und dem Landratsamt, um einen regionalen Jäger entsprechend zu schulen und auszustatten. Der Landesjagdverband hat hier auch Unterstützung angeboten.
Warum an diesem Tag die städtischen Behörden wohl schon um kurz nach 10 Uhr von der Angelegenheit erfuhren und am Nachmittag das Tier immer noch vielfotografierter Gast der Stadt war, das wird man intern aufarbeiten müssen. Die am Nachmittag hinzugezogene Polizei hat erfolglos versucht, den Problembären in einem Tiergehege oder Tierheim unterzubringen und dann die Freiwillige Feuerwehr um Amtshilfe gebeten.
Die Feuerwehr hat nichts falsch gemacht
Erschwerend kommt bei der Bewertung der Angelegenheit hinzu, dass - so die Aussagen von beteiligen Personen - sogar ein Jäger vor Ort war. Er hat beim Tier keine Auffälligkeiten entdecken können und offenbar EU-Verordnung 1143/2014 genausowenig zur Hand gehabt wie Polizei und Feuerwehr.
Letztere sind von der Abteilung "Zupacken" und gewohnt, ein Problem zu lösen und nicht zu verwalten. Mithilfe eines Netzes und eines Käfigs und polizeilichem Segen wurde dem Tier erst ein Platzverweis erteilt und dann wurde es unter Auflagen in die freie Natur entlassen.
Zur "richtigen Entnahme" wäre ohnehin nur ein Jäger berechtigt gewesen, auch nicht der Ortssheriff, wir sind immer noch im Osten Thüringens, nicht im wilden Westen. Ronny Hofmann von der Freiweilligen Feuerwehr macht im Gespräch mit MDR THÜRINGEN auch noch einmal klar, dass "Waschbärenentnahme" nicht zu den typischen Feuerwehraufgaben gehört.
Es war für die gerufenen Kameraden wie zuletzt das Pferd im Fluss oder das ausgebüxte Känguru schlicht ein Tier, das nicht dort bleiben konnte, wo es war.
Es war für uns eine neue Erfahrung und das nächste Mal wissen wir es natürlich besser.
Und noch etwas ist Ronny Hofmann wichtig: Er und seine Kollegen haben sich am Ende Arbeitszeit und Feierabend ans Bein gebunden. Und das wegen eines Waschbären, der sich im Schleizer Zuständigkeitsdschungel verlaufen hatte.
In den vergangenen zwei Wochen haben die Kameraden gemeinsam mit Notärzten zweimal Menschen reanimieren müssen und damit erfolgreich Leben gerettet. In der Wahrnehmung werden sie aber nun mit einem Waschbären verbunden, den sie, ohne überhaupt zuständig zu sein, nicht EU-gerecht behandelt haben.
Die Bescheidwisser auf der einen und die Tierfreunde auf der anderen Seite der aufgeregten sozialen Meinungswelt hatten dann die winzige Regionalmeldung von MDR THÜRINGEN zu einem großen Ballon aufgeblasen, aus dem jetzt hoffentlich die Luft wieder raus ist.
Zur Erinnerung: Die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr machen das alles freiwillig, nicht beruflich und trotzdem nahezu täglich zu zügig. Die öffentliche Würdigung hält da nicht wirklich Schritt.
Anmerkung des Autors: MDR THÜRINGEN hat als Redaktion auf unsere Berichterstattung ein Schreiben des Waschbärschützers Dr. Francesco Dati erhalten. Er merkt an, dass die Zahlen der erlegten Waschbären zuletzt stabil waren und bestreitet die Rechnung des Jagdverbandes, daraus auf die Bestände schließen zu können. Auch widerspricht er den Aussagen bezüglich der Gefährlichkeit des Spulwurmes von Dr. Lars Mundhenk, Institut für Tierpathologie FU Berlin, an den das Schreiben auch gegangen ist. Diskurs und Austausch von Argumenten sind elementar in der Wissenschaft, deshalb stellen wir diese Stellungnahme zur Verfügung, wie unsere anderen Quellen im Artikel ebenfalls.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 15. Februar 2024 | 16:40 Uhr