Hintergrund Bernhard Vogel und die DDR
Hauptinhalt
16. Dezember 2012, 06:00 Uhr
Elf Mal besuchte Bernhard Vogel zwischen 1977 und 1988 die DDR - zunächst privat, später zu politischen Gesprächen. Für den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten waren die Touren Reisen in ein fernes nahes Land: in ein fremdes gesellschaftliches System und gleichzeitig zu den Wurzeln der deutschen Geschichte. Die Stasi war immer dabei. Etwas Kompromittierendes konnte sie bei Bernhard Vogel nicht erspähen.
Montag, 27. Januar 1992: Bernhard Vogel kommt überstürzt nach Thüringen. Er soll auf Wunsch der CDU-Spitze die Geschäfte in dem jungen Bundesland übernehmen. Der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident, der sich längst aus der Tagespolitik zurückgezogen hat, kommt - so will es die Legende - ohne Zahnbürste in Erfurt an. Thüringen ist zu diesem Zeitpunkt ein Land mitten im Umbruch und im Aufbau. Die DDR gibt es seit mehr als einem Jahr nicht mehr - ihre Spuren sind aber noch allgegenwärtig. Viele Menschen sind verunsichert. Inzwischen sind nicht mehr alle westdeutschen Aufbauhelfer beliebt. Nicht wenige Einheimische fühle sich von ihnen beim "Aufbau Ost" bevormundet.
Thüringen ist für Vogel kein fernes unbekanntes Land. Was kaum einer weiß: Er ist nicht der "Westimport", der ohne Gefühl für Land und Leute der "Busch-Zulage" nachjagt. Vogel ist eine Ausnahme: Kaum ein anderer bundesdeutscher Politiker hat in den Jahren der Teilung so oft und so gezielt die verschiedenen Regionen der DDR besucht und sich dabei ein eigenes Bild von den Verhältnissen im anderen deutschen Staat gemacht. Vogel wusste vom wirtschaftlichen Niedergang und vom baulichen Verfall der Städte ebenso wie von der Situation der Kirchen.
Los ging es bereits 1977: Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz machte es sich Vogel zur Regel, einmal pro Jahr in die DDR zu reisen. Das war nicht selbstverständlich. Denn Vogel hatte weder Verwandtschaft im anderen Teil Deutschlands, noch grenzte sein Bundesland an die DDR.
Zunächst reise Vogel nur "privat" in die DDR. Zusammen mit zwei politischen Weggefährten, Rudi Geil und Theo Magin und deren Frauen ging es stets für zwei, drei Tage in eine andere Region der DDR. Schlösser, Kirchen und Museen standen ihnen offen - Schulen, Betriebe und Krankenhäuser waren den Privatbesuchern verschlossen. Offizielle Termine, wie die Leipziger Messe, mieden sie. Doch so "privat" waren Vogels Reisen nicht - sie waren auch politisch: Die rheinland-pfälzische Staatskanzlei informierte stets offiziell über die Besuche und Vogel berichtete anschließend öffentlich und offensiv von seinen Eindrücken. Aus der Privatreise wurde praktische Deutschlandpolitik, ganz im Sinne der CDU, die trotz aller bundesdeutschen Debatten am Weiterbestehen der Nation festhielt.
"Erfurt die Tochter von Mainz"
Vogels erster Besuch führte ihn im Mai 1977 nach Thüringen und Sachsen. Auf dem Besuchsprogramm standen unter anderem die Wartburg, Erfurt, die KZ-Gedenkstätte Buchenwald, Weimar, Dresden und Meißen. In das Gästebuch des Erfurter Doms schrieb der geschichtsbewusste Ministerpräsident: "Der Domgemeinde sehr herzliche Wünsche - denn immerhin ist Erfurt die Tochter von Mainz!" Zurück im Westen zeigte sich Vogel beeindruckt vom "Festhalten der Deutschen jenseits der deutsch-deutschen Grenze an der gemeinsamen deutschen Geschichte". Und er registrierte eine "starke Vitalität der gläubigen Christen" in der DDR. Vogel rief die Bundesbürger auf, häufiger in die DDR zu fahren.
In den folgenden Jahren appellierte Vogel immer wieder an das Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen. Vor seiner Abreise nach Görlitz, Bautzen und Karl-Marx-Stadt im Oktober 1979 sagt er: "Man muss den Bürgern drüben das Gefühl der Verbundenheit geben. Alle, nicht nur Politiker, sollten deswegen häufiger nach drüben fahren."
Die "privaten" Reisen waren keine reinen touristischen Kulturreisen. Vogel registrierte genau die Stimmung im Land. In einem Fernsehinterview erklärte er, dass ihm immer wieder auffalle, dass das Geschichtsbewusstsein bei den "Deutschen in der DDR wacher und stärker ist als bei uns". Die Menschen würden außerdem sehr aufmerksam die Meldungen der westdeutschen TV- und Radio-Stationen verfolgen. Ihnen sei angesichts der deutsch-deutschen Verhandlungen aber auch klar, dass es nicht zu freien Wahlen und zu einem "der Bundesrepublik vergleichbaren Wohlstand" kommen werde.
"Jetzt erst recht in die DDR!"
1980 reiste Vogel mit seiner Begleitung abermals nach Thüringen. Inzwischen hatte die DDR den "Zwangsumtausch" für Bundesbürger, den jeder Besucher bei seiner Einreise in die DDR in harter Westmark leisten musste, deutlich erhöht. Vogel rief die Bundesbürger mit einem "Jetzt erst recht in die DDR!" auf, die Kontakte nicht abreißen zu lassen und die Landschaften in der DDR kennenzulernen. Vogel ging mit gutem Beispiel voran. Er besuchte in Jena unter anderem einen evangelischen Gottesdienst.
In der Bundesrepublik berichtete Vogel abermals öffentlich von seinen Eindrücken: Die Resignation habe bei den DDR-Bürgern weiter um sich gegriffen, "aber Wille und Erwartung, das beste aus der Situation zu machen, sind stark." Er sei besorgt über die Stagnation des wirtschaftlichen Aufbaus in der DDR. Vogels Begleiter Rudi Geil fiel auf, wie "dankbar" die Bevölkerung "jede Gesprächsmöglichkeit" mit der Reisegruppe genutzt habe.
Seite 1 von 8
- Seite 1: Bernhard Vogel und die DDR
- Seite 2: 1981: Reisebericht im "Stern"
- Seite 3: 1982: "Disziplinierungsmaßnahme" - Vogel muss draußen bleiben
- Seite 4: 1983: Gesamtdeutsche Gefühle in "Auerbachs Keller"
- Seite 5: 1984: Modisch und elegant gekleidet durch Weimar
- Seite 6: 1985: Zu Besuch beim Rat des Bezirkes
- Seite 7: 1986: IM-"Ehepaar" horcht Fahrer aus
- Seite 8: 1987: Honecker der Bücherfreund und Kunstsammler