Der lachende Landesvater Nach Erfurt kam Bernhard Vogel ohne Zahnbürste

19. Dezember 2007, 21:24 Uhr

"Bernhard, du musst das machen"

Am Anfang war das Telefon. Am 28. Januar 1992 klingelt der Apparat bei Bernhard Vogel. Der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung nimmt den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung ist Bundeskanzler Helmut Kohl. Der CDU-Kanzler hat ein Problem: In Thüringen ist der Ministerpräsident Josef Duchac zurückgetreten. Einen potenten Nachfolger scheint es in dem neuen Bundesland nicht zu geben. Trotz später Abendstunde bittet Kohl: "Bernhard, es geht nicht anders, du musst das machen."

Wenige Tage später klingelt wieder ein Telefon. Diesmal bei Hanna-Renate Laurien, der ehemaligen rheinland-pfälzischen Kultusministerin. Am Hörer meldet sich ein überrumpelter Bernhard Vogel: "Lauriensche", jammert der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident, "ich bin in Erfurt, und ich habe nicht einmal eine Zahnbürste und auch keinen Schlafanzug bei mir."

Blick nach Osten

Am 5. Februar 1992 wurde der Mann mit dem leuchtend weißen Haarschopf und der altmodischen Hornbrille zum Ministerpräsidenten des Freistaates Thüringen gewählt. Er war damit der erste Deutsche, der nacheinander zwei Bundesländer regiert. Der "Wessi" Vogel wurde schnell von den Thüringern akzeptiert. Bei den Wahlen sprachen sie ihm regelmäßig ihr Vertrauen aus. Seine volkstümliche, unprätentiöse Art machte ihn beliebt. Auch mit den besonderen Sorgen der Ostdeutschen konnte der Ministerpräsident umgehen.

Denn für Bernhard Vogel war der Osten keineswegs ein unbekanntes Land. In den achtziger Jahren besuchte er mehrmals privat und dienstlich die DDR. Als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident traf er dreimal mit SED-Generalsekretär Erich Honecker zusammen. In den Gesprächen ging es um die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Auch als Vorsitzender der CDU-nahen Konrad Adenauer-Stiftung setzte sich Vogel für den Dialog mit den Staaten hinter dem "Eisernen Vorhang" ein. Vor allem für das sich wandelnde Polen und die Sowjetunion interessierte sich der Vorsitzende.

Wein und keine Weiber

In Thüringen hatte Vogel eine neue Heimat gefunden. Für den passionierten Skatspieler und Wandersmann musste der Freistaat ein wahres Paradies sein. Kein Wunder, dass der Landesvater voller Lust und mit Spaß am Rennsteiglauf teilnahm und bei jeder Gelegenheit die thüringischen Wälder durchschritt. Auch der exzessive Schwimmbad-Bau in Thüringen musste Bernhard Vogel entgegenkommen. Denn als seine bevorzugte Freizeitbeschäftigung gab er das Schwimmen an. Zwei Delikatessen, die der bekennende Junggeselle besonders liebt, bietet der Freistaat leider nicht: gute Weine und gute Zigarren.

Vogels Karriere begann im beschaulichen Heidelberg. Der studierte Historiker wurde Kreisvorsitzender der dortigen Christdemokraten und Mitglied des Stadtrates. 1965 wurde er in den Bundestag gewählt. Als Schwerpunkt suchte sich der aufstrebende Vogel die Bildungspolitik. Vom damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl wurde Vogel nach Mainz geholt. Kohl machte den 35-jährigen Vogel 1967 zum jüngsten Kultusminister Deutschlands. Zwischen Vogel und dem Machtmenschen Kohl entwickelte sich in den Jahren ein besonderes Verhältnis. Kolportiert wird folgende Begebenheit: Zu vorgerückter Stunde forderte Kohl in einer geselligen Runde seinen Minister auf: "Mach de Aff", woraufhin dieser auf den Tisch sprang.

Der Strippenzieher

Nach Kohls Machtübernahme in Bonn wurde Vogel Ministerpräsident in Mainz. Mehrmals wurde er bei Wahlen in dem Amt bestätigt. Nach parteiinternen Querelen legte Vogel das Amt nieder. Sein Nachfolger konnte nicht an die Erfolge seines Vorgängers anknüpfen. Die CDU verlor die Macht und konnte sie seitdem in Rheinland-Pfalz nie mehr zurückgewinnen. Nach seinem Rücktritt wurde Vogel 1989 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

In Thüringen machte sich Vogel sofort an den Aufbau des Landes. Der Umbruch im Osten hatte Tausende Arbeitsplätze vernichtet. Großbetriebe gingen Pleite, qualifizierte Arbeitskräfte wanderten in den Westen ab - die Folge: Ganze Regionen bluteten aus. Zurück blieben schwer vermittelbare Arbeitslose sowie Kinder und Rentner. Doch selbstbewusst verkündet der strahlende Landesvater: "Wir wollen das Bayern unter den jungen Ländern werden." Jena entwickelte sich zu einem prosperierenden High-Tech-Standort. Mit Subventionen wurden Ansiedlungen gefördert. Doch die Wirtschaftskraft verteilte sich unterschiedlich im Lande. Vor allem in Nordthüringen besteht noch Nachholebedarf.

Vogel brachte in Thüringen nicht nur das Land, sondern auch die orientierungs- und führungslose CDU in Schwung. Stets lachend und winkend schloss er die Reihen zwischen den Reformern und den Kadern aus der Block-CDU. 1999 führte er die Christdemokraten zu einem Überraschungssieg: Satte 51 Prozent votierten für den populären Wahl-Thüringer. Affären oder Skandale gab und gibt es um seine Person nicht, auch wenn die Landesregierung in den Jahren seiner Amtszeit nicht von diesen verschont geblieben war.

Auch bundespolitisch blieb Vogel im Geschäft. Der stille und besonnene Strippenzieher war nach der Spendenaffäre kurzzeitig auch als CDU-Vorsitzender im Gespräch. Er gehörte zu denen, die zwischen den jungen Erneuerern der Partei und dem alten Kreis um Helmut Kohl vermitteln konnten. Auch im Wettlauf um die Kanzlerkandidatur zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber schien er keine unbedeutende Rolle gespielt zu haben.

Nach elf Jahren trat Bernhard Vogel vom Amt des Ministerpräsidenten zurück. Nicht ohne zuvor seine Nachfolge zu regeln. Im Juni 2003 wurde der von ihm auserkorene Dieter Althaus im Thüringer Landtag zum Regierungschef gewählt.

Aufs Altenteil will er sich noch nicht zurückziehen

Auch mit 75 scheint bei Vogel noch lange nicht Schluss zu sein. An Rente kann und will er offenbar nicht denken. Für die Adenauer-Stiftung reist er durch die Welt. Und auch als Zeitzeuge meldet er sich immer öfter zu Wort: Im Sommer stellte er zusammen mit einem Bruder Hans-Jochen das gemeinsame Buch "Deutschland aus der Vogelperspektive" vor. Und Ende des Jahres legte er "Bernhard Vogels Thüringer Kaleidoskop" vor - eine kurzweilige Sammlung von bekannten und ungekannten Geschichten über den Freistaat.

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