Illustration: Zeichnung eines Mannes, der sich wütend, mit gehobener Faust artikuliert.
Ok, so heftig geht es nicht immer zu in unseren Kommentarbereichen - aber auch wir könnten Untersuchungsobjekt von Studien zum Thema Aggressivität in Kommentaren sein. Eine solche Studie stellen wir am Ende unseres Rückblicks vor. Bildrechte: Colourbox.de

Diskussion Userkommentare im Oktober, Sprüche und eine Aggro-Studie

07. November 2023, 10:32 Uhr

Unsere Artikel werden weiterhin nicht so intensiv kommentiert wie im Sommer. Hier gibt es die Zahlen dazu aus dem Oktober, eine Studie zu Gründen für Aggression in Online-Diskussionen, und Sie können hören, was wir an ausgefallenen Kommentaren aufgeschnappt haben.

Die Zahlen

Facebook zog die Zahl der Userkommentare wieder nach oben, während es auf der Webseite - verglichen mit den hitzigen Diskussionen der Sommerwochen - wie im August und September eher ruhig blieb. Facebook ist erfahrungsgemäß der Kanal mit der größten Schwankungsbreite und dem größten Überraschungspotenzial: Seine Monatswerte in diesem Jahr lagen bisher gleichmäßig verteilt zwischen 6.100 und 17.300, während sich die Webseite zwar zwischen 2.900 und 7.800 bewegte, aber nur einen Monat deutlich über 5.000 hatte.

Auf der Webseite hatten wir 321 eigene Artikel, davon insgesamt 56 Prozent kommentierbar beziehungsweise 86 Prozent für die Themen außerhalb des "Blaulichtbereichs" (Unfälle, Todesmeldungen, Ermittlungsverfahren, Prozesse u.a.). Facebook hatte 286 Postings, Instagram 143.

Zur Grafik "12 Monate Userkommentare": Der 7.000er-Wert hier in der ersten Aprilwoche entstand vor allem durch das Facebook-Posting zum Absatzrekord von Vita Cola, und im Juni wurde die Landratswahl in Sonneberg überdurchschnittlich intensiv diskutiert. Der hohe Wert über 7.000 Anfang August geht auf Sommerinterviews und den Bürgerdialog des Bundeskanzlers in Erfurt zurück.

Die Topthemen

Während die Webseite traditionell Politik dominiert war, lebt(e) Facebook typischer Weise von einem breiten und auch sehr alltagsdominierten Themenspektrum.

Die unterschiedlichen Topthemen spiegeln aber nicht nur das Userinteresse daran wider, sondern auch die etwas unterschiedlichen Inhalte auf den verschiedenen Kanälen. Nicht alle Seitenartikel werden zu Postings auf Facebook oder Instagram, wo wir auch viele "leichtere" oder Alltagsthemen posten.

... und noch mehr

Nicht zum ersten Mal spielte ein in anderen Zusammenhängen intensiv erwähntes und kritisiertes Problem keine Rolle, als es selber zum Thema wurde - in diesem Fall die Inflation, die im September mit 4,9 Prozent Jahresteuerung auf den niedrigsten Stand seit Ende 2021 gefallen war. Ein einziger Kommentar innerhalb der 48 Stunden Kommentierbarkeit stand dafür am Ende zu Buche.

Fast beeindruckt waren wir von der Fülle der Profibiker und -wanderer, die sich und ihre überragende Ausdauer unter dem Posting zu einer Dreitages-Rennsteigtour anpriesen.

Eine echte (sprachliche) Herausforderung für uns waren viele Reaktionen unter Artikel und Postings zu den Fäkalienproblemen durch unter anderem "Wildpinkler" am Radhaus nahe des Erfurter Bahnhofs. Begrifflichkeiten, die hier in den Kommentaren beschreibend durchaus notwendig waren, fallen sonst recht schnell unter "Problembären" in Kommentaren, die ihre Veröffentlichung gefährden können.

Beunruhigendes aus der Forschung

Was speist Aggressivität in politischen Online-Diskussionen - Persönlichkeit, Umfeld oder politische Motivation?

Ein Forscherteam sagt jetzt (Kurzzusammenfassung bei Mouseover auf Link): Weil aggressiv geprägte Menschen ihre Aggressivität dorthin tragen und aggressiv diskutieren, egal ob es um Politik oder unpolitische Themen geht. Ihr Aggressivitätslevel in politischen Themen unterschied sich nicht nennenswert von dem in unpolitischen Themen: "User sind in parteiischen Diskussionen vor allem aggressiv, weil sie generell aggressiv sind. ("People are toxic in partisan contexts in large part because they are toxic in general"). Für einen Einfluss des Diskussionsklimas auf den Aggressivitätslevel der User fand das Team keine Anhaltspunkte. Auch Aktivität in unpolitischen Threads senkte ihr Aggressivitätsniveau dort nicht.

Welchen Effekt haben "Echokammern"?

Keinen: Diejenigen, die sich nur in der Bubble ihres politischen Lagers bewegen sind zwar aggressiver als eher unpolitische User, aber weniger aggressiv als diejenigen, die in beiden Lagern kommentieren - die Forscher nennen sie "bilateral trolls".

Hat die politische Ausrichtung einen Effekt?

Nein: User, die nur auf der linken Seite unterwegs waren, hatten das gleiche Aggressivitätsniveau wie User, die nur auf der rechten Seite unterwegs waren.

Was schließen die Forscher daraus?

So wie Menschen in ihrem Verhalten online und offline konsistent seien, seien sie auch in ihrem politischen und unpolitischen Verhalten konsistent. Unpolitisches diskutierten sie also nicht friedlicher als Politisches.

Wie stabil sind die Ergebnisse?

Zumindest die Zahlenbasis ist massiv: Untersucht wurden 260 Millionen Kommentare mehrerer Millionen User in tausenden von Reddit-Bereichen aus mehr als zehn Jahren. Einheitlicher Maßstab für Aggressivität bzw. "toxicity" waren Google Perspectives Kriterien für "rude, disrespectful, unreasonable, making pople leave a discussion".

Welche Auswirkungen hat das?

Es sei eine Gefährdung politischer Diskussionen, weil mit steigendem Aggressivitätslevel immer mehr der weniger politisierten User ausstiegen und deren Meinungen daher unterrepräsentiert wären. Aus Sicht der Forscher braucht es Mittel und Wege, um die Diskussionsplätze zu einem Umfeld zu machen, in dem auch diejenigen zuhause sein können, die ein niedrigeres Aggressionslevel wollen.

Gibt es Trost?

Zumindest sind gelegentlich von uns nicht veröffentlichte Kommentare kein Hinweis, dass jemand dann gleich einer dieser "Gewohnheits-Trolle" sei. Denn eine zahlenmäßig genauso massiv gestützte Studie hatte ergeben (Kurzzusammenfassung bei Mouseover auf Link), "Jeder kann [mal] ein Troll sein". 26 Prozent aller problematischen Postings kämen von "Einmaltätern", die zuvor nichts Gleichartiges gepostet hatten. Diese Studie sieht allerdings die jeweils aktuelle Userstimmung und das Diskussionsumfeld als starke Einflussfaktoren.

Und wir sehen im Großen und Ganzen schon, dass die weniger politikhaltigen Diskussionen, vor allem bei hohem Gehalt an konkreten Fakten, etwas sachlicher verlaufen als allgemeinpolitische Diskussionen mit geringerem Faktengehalt.

MDR (csr)

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