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Jahrestag Drei Jahre nach Kriegsbeginn: Wie geht es Ukrainern in Thüringen?
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25. Februar 2025, 12:21 Uhr
Fast 35.000 ukrainische Kriegsflüchtlinge leben in Thüringen. Am dritten Jahrestag des Kriegsbeginns fragen wir einige, wie es ihnen geht. Einer etwa fürchtet, dass seine Landsleute ihre ukrainische Identität verlieren.
Für Vasyl Vitenko fühlt es sich noch immer an, als wäre es gestern gewesen. Am 24. Februar 2022 um 4 Uhr morgens riss ihn das Klingeln seines Handys aus dem Schlaf. Am Hörer: seine Tochter Julia, die ihn aus der Ukraine anrief. Im Hintergrund hörte Vasyl Vitenko laute Knallgeräusche und Sirenen. Dann die Worte, die er nie vergessen wird: "Papa, die haben uns angegriffen."
An jenem Tag ließen er und seine ukrainischen Freunde in Thüringen alles stehen und liegen. "Wir haben uns zusammengesetzt und einen Plan entwickelt, wie wir helfen können."
Zehntausende Ukrainer nach Thüringen geflüchtet
Bereits 2014 hatte Vasyl Vitenko den gemeinnützigen Verein ukrainischer Landsleute mitgegründet. Das Ziel: die ukrainische Kultur in Thüringen zu pflegen, den kulturellen Austausch der Länder zu fördern und humanitäre Hilfe zu leisten. Als Vereinsvorstand organisiert Vitenko Seminare und Sprachkurse, veranstaltet Kundgebungen, vermittelt Jobs und schickt Hilfstransporte in die Krisengebiete. Seit dem russischen Angriff und der Flüchtlingswelle könnte er rund um die Uhr arbeiten.
Bis Mitte Februar 2025 wurden nach Angaben des Thüringer Migrationsministeriums insgesamt rund 49.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Thüringen aufgenommen. Davon halten sich sich aktuell 35.000 im Freistaat auf, darunter 10.600 Minderjährige. Noch immer würden im Schnitt etwa 15 Ukrainerinnen und Ukrainer pro Tag in Thüringen aufgenommen, heißt es.
Für viele Ukrainer wurde Thüringen zweite Heimat
Für viele Ukrainer ist Thüringen mittlerweile eine zweite Heimat geworden. "Mir gefällt es hier sehr - es ist grün und die Natur ist wunderschön. Städte wie Erfurt, Jena und Weimar inspirieren mich immer wieder", sagt etwa die 21-jährige Havryliuk Yarnya aus Erfurt.
Besonders in der Landeshauptstadt hat sich eine große ukrainische Community gebildet. Der 21-jährige Ivan Pashko, der seine Familie seit Kriegsbeginn nicht mehr gesehen hat, schöpft daraus viel Kraft: "So konnte ich ein Stück meiner Heimat und meiner Seele wiederfinden - auch wenn ich weit weg von zu Hause bin."
Student Matvii Plodiienko schätzt an Thüringen besonders, "wie sich Kulturerbe, Studentenstädte und Spitzentechnologie mit Bauernhöfen und Natur vereinbaren lassen".
In die Landschaft verliebt hat sich auch Valeriia, die mit ihren zwei Kindern geflohen ist. Hier fühle sie eine Ruhe und Entschleunigung. Was sie außerdem positiv hervorhebt, ist die Freundlichkeit die Menschen. "Ich bin jedem hier sehr dankbar für die herzliche Aufnahme und Hilfe", sagt die 42-Jährige.
Die Menschen sind so geduldig und gutmütig mit uns.
Dass die Thüringer ein großes Herz haben, das hebt auch Vasyl Vitenko immer wieder hervor. Erfahrungen mit Ausgrenzung und Diskriminierung habe er fast keine gemacht. "Die Menschen sind so geduldig und gutmütig mit uns", sagt der Vereinsvorsitzende. "Als die Ukrainer 2022 hierhergekommen sind, haben sie alles bekommen, was sie brauchen. Natürlich erwarten jetzt die Menschen in Deutschland und auch unser Verein, dass sie etwas zurückgeben, etwas beitragen und arbeiten.“
Hürden auf dem Arbeitsmarkt
Immer wieder wurde kritisiert, dass zu wenige Ukrainer einem Beruf nachgehen. Verglichen mit anderen Ausländergruppen hatten die Ukrainer laut letzten Recherchen des MDR sogar die niedrigste Beschäftigungsquote. Warum das so ist, kann sich Vasyl Vitenko nur schwer erklären.
"Die Menschen sind sehr fleißig und sie wollen durch ehrliche Arbeit ihr Geld verdienen, Steuern zahlen und ihre Familie ernähren." Er vermutet, dass vor allem die Bürokratie eine Hürde darstellt. In vielen Fällen würden nur ein oder zwei Dokumente fehlen. Der Prozess, eine Arbeit zu finden, ziehe sich dann ewig in die Länge.
Die größte Herausforderung war für mich wohl die Bürokratie.
Die 21-jährige Havryliuk Yaryna hat vor Kurzem ihre duale Ausbildung abgeschlossen und erinnert sich noch gut an das komplizierte Prozedere. "Die größte Herausforderung war für mich wohl die Bürokratie. Aber ich denke, dass ist nicht nur ein Problem in Thüringen, sondern in ganz Deutschland."
Ein weiteres Hindernis sieht Vasyl Vitenko darin, dass viele Ukrainer vergeblich nach Jobs in ihrem ursprünglichen Berufsfeld suchen. So erging es etwa Musikerin Viktoria Brekhar, die im April 2022 nach Thüringen kam. "Als kreativer Mensch war es schwierig, mich anzupassen. Während ich in der Ukraine in einem Militärorchester arbeitete, war ich in Deutschland arbeitslos", berichtet die Künstlerin.
Mit seinem Verein unterstützt Vasyl Vitenko seine Landsleute, wo er kann. Er ist überzeugt: Es ist nur eine Frage der Zeit - und nicht der Faulheit.
Arbeitsagentur: Deutlich mehr Ukrainer arbeiten
Und tatsächlich zeichnet sich auf dem Arbeitsmarkt eine positive Entwicklung ab. Aktuellen Zahlen der Arbeitsagentur zufolge gehen in Thüringen derzeit rund 6.900 Ukrainerinnen und Ukrainer einer Arbeit nach. Das entspricht einer Beschäftigungsquote von knapp 30 Prozent. Im Vergleich zu den Vorjahren habe sich die Zahl der Beschäftigten trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation damit deutlich erhöht, heißt es.
16 Prozent der Ukrainerinnen und Ukrainer sind demnach im verarbeitenden Gewerbe tätig. 13 Prozent der Männer arbeiten in der Baubranche, zwölf Prozent der Frauen in der Gastronomie und Hotellerie.
Vitenko: "Integrieren, nicht assimilieren"
Obwohl es Vasyl Vitenko gerne sieht, dass die Integration voranschreitet, so befürchtet er auch, dass immer mehr Menschen ihre ukrainische Identität verlieren - und den Krieg bewusst ausblenden. So stelle er fest, dass Kundgebungen seines Vereins immer weniger besucht werden. "Wir brauchen diese Menschen aber. Denn irgendwann müssen wir die Ukraine wieder aufbauen", sagt Vitenko.
Sein Motto lautet daher: "integrieren, aber nicht assimilieren". Was seit drei Jahren in der Ukraine stattfindet, dürfe unter keinen Umständen vergessen werden. Das gelte besonders für den 24. Februar.
"Der dritte Jahrestag der vollständigen Invasion ist für mich wie eine schmerzhafte, nicht verheilte Wunde", beschreibt es Myroslava Martynjuk, deren ältester Sohn noch immer an der Front kämpft. Für die 42-jährige Valeriia ist es aber auch ein Tag des Stolzes: "auf die Widerstandskraft der Ukraine und den Mut der Soldaten, die unter widrigsten Bedingungen kämpfen".
Bratwürste für die Völkerverständigung
Vasyl Vitenko und der Verein ukrainischer Landsleute unterstützen auch die, die in der Ukraine geblieben sind. Neben den allwöchentlichen Hilfstransporten bringen die Vereinsmitglieder regelmäßig Geschenke vorbei. Für die Soldaten, Helfer und Verwundeten gibt es dann echte Thüringer Bratwürste - natürlich im Brötchen und Senf.
Etwa 1.400 Bratwürste hat der Verein bereits verteilt. Auf die Weise wollen Vasyl Vitenko und sein Team Danke sagen. Zugleich wollen sie die thüringisch-ukrainische Verbindung stärken - auch für die Zeit, wenn der Krieg vorbei ist.
Der Krieg ist nicht beendet, egal, was der amerikanische Präsident sagt.
Die aktuellen Entwicklungen sieht der Vereinsvorsitzende mit großer mit Sorge. Dass sich Russland nun an einen Tisch mit den USA und ohne Europa setzt, kann er nicht begreifen.
"Der Krieg ist nicht beendet, egal, was der amerikanische Präsident sagt und vorhat zu tun. Putin will die ganz Ukraine besetzen und zerstören." Für Vasyl Vitenko steht fest, dass es keinen Frieden ohne Europa geben kann. Eine europäische Ukraine, das ist sein Lebenstraum.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 24. Februar 2025 | 22:00 Uhr
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