Integration Potenzial für den Thüringer Arbeitsmarkt? Wie ukrainische Flüchtlinge einen Job finden
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01. Juni 2023, 13:22 Uhr
Das Potenzial angesichts des Fachkräftemangels ist groß: Wegen des Kriegs in der Ukraine sind etwa 14.700 erwerbsfähige Menschen nach Thüringen geflohen. Doch nur ein Fünftel ist einem sozialversicherungspflichten Job. Warum ist das so?
Oksana Chyzhevska ist im großen Logistikzentrum der Firma Zeitfracht in Erfurt mit einer Art Einkaufswagen zwischen engen Regalen unterwegs. Hier stapeln sich Kochbücher, Bildbände, Krimis, philosophische Abhandlungen, aber auch DVDs und Kartenspiele. Die junge Ukrainerin bekommt von einem Display an ihrem Wagen angezeigt, welchen Artikel aus welchem Regal es einzusammeln gilt. Ist alles beisammen, packt sich es in eine große Box mit dem "Zeitfracht"-Logo.
Von dort geht es über verschlungene Wege in eine Verpackungsstation und von dort zum Kunden, der Buch oder Spiel bestellt hat. "In der Ukraine habe ich bei der Eisenbahn gearbeitet", sagt die junge Frau. Übersetzt wird unser Gespräch von einer ukrainischen Mitarbeiterin der Personalabteilung.
Angestellte aus 50 Ländern arbeiten bei Zeitfracht
Zeitfracht hat inzwischen 30 ukrainische Geflüchtete angestellt. Gemessen an 1.000 Mitarbeitern insgesamt in Erfurt ist das nicht viel. Aber das Unternehmen kennt sich aus mit internationalen Mitarbeitern, die mitunter wenig oder gar kein Deutsch können. "50 Nationen arbeiten hier", sagt Thomas Raff, Sprecher der Geschäftsführung der Zeitfracht Medien GmbH. Draußen prangt ein riesiges Banner, das hunderte Meter entfernt von der Autobahn gut zu sehen ist. "Unser Team sucht Verstärkung."
Ukrainische Mitarbeiter sind eine durchaus willkommene Hilfe.
Mitarbeiter sind gesucht und knapp. "Auch wir haben Fachkräftemangel", sagt Raff. "Insofern sind ukrainische Mitarbeiter eine durchaus willkommene Hilfe. Aber das löst unser grundsätzliches Problem nicht." Das Reservoir ist nicht groß genug, um allein die bei der Bundesagentur bekannten etwa 17.000 offenen Stellen in Thüringen zu füllen.
Die Hälfte der Ukrainerinnen und Ukrainer ist erwerbsfähig
Etwa 14.700 der knapp 31.000 Ukrainer in Thüringen gelten bei der Bundesagentur für Arbeit als erwerbsfähig. 6.000 von ihnen gelten als arbeitslos. Diese Daten sind vom Mai. Für die Zahl sozialversicherungspflichtiger Beschäftigter sind die aktuellsten Daten vom November 2022. Damals waren 2.800 Ukrainer in Arbeit, im Juni 2022 waren es etwa 2.000. Es gab also einen leichten Zuwachs. Sollte sich der so fortgesetzt haben, dürften es inzwischen mehr als 3.000 Ukrainerinnen und Ukrainer sein, die sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind.
Doch 3.000 Personen mit Job und 6.000 Arbeitslose - da klafft eine Lücke zu den knapp 15.000, die grundsätzlich erwerbsfähig sind. Ein Sprecher der Agentur erläutert es so: "Dazu gehören zum Beispiel auch die Personen, die gerade einen Integrations- oder Sprachkurs absolvieren." Also sich gerade qualifizieren, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Oder sie lassen Abschlüsse anerkennen, was unter Umständen dauern kann - aber zum Beispiel bei Ärzten unerlässlich ist.
Sprachlehrerin: In Sprachkurs arbeitet jeder Zweite schon nebenbei
Und dann gibt es noch all jene, die in den Zahlen, die die Agentur für Arbeit MDR THÜRINGEN angegeben hat, gar nicht auftauchen. Weil sie nur einen Minijob haben, zum Beispiel. "In einem Integrationskurs, den mein Sohn besucht hat, arbeitet schon die Hälfte, oft in Minijobs", sagt Vira Shkolyarenko, Sprachmittlerin im Jobcenter Erfurt. Das Interesse ihrer Landsleute an Arbeit sei hoch. Viele wollten Deutsch lernen.
Mitunter warten die Interessierten bis zu drei Monate auf einen Kurs. Auf dem Land dauert es oft länger, weiß auch die Agentur für Arbeit: "Wir haben viele Ukrainer mit guter Ausbildung", sagt Marion Pommert, Chefin fürs operative Geschäft der Agentur für Arbeit Thüringen Mitte. Und die kommen auch reichlich zu den Jobmessen, die die Agentur für Arbeit mit organisiert hat: 600 Ukrainer habe man im März zu einer Jobmesse eingeladen, fast alle seien gekommen, um sich das Angebot von 15 Unternehmen genau anzuschauen.
Wieder andere haben sich entschieden, erstmal mehr Deutsch zu lernen, um in ihren Berufen in Deutschland auch wirklich arbeiten zu können.
Zum Arnstädter Wirtschaftsfrühling wären ebenfalls viele Ukrainer da gewesen, um sich über Jobs am Erfurter Kreuz zu informieren. Und manche hätten im Nachgang zu solchen Messen die Arbeit aufgenommen. "Und wieder andere haben sich entschieden, erstmal mehr Deutsch zu lernen, um in ihren Berufen in Deutschland auch wirklich arbeiten zu können."
Manchmal geht es ganz ohne Deutsch
Und jenseits der offiziellen Tätigkeiten klappt auch viel über persönliche Netzwerke. "Ganz wichtig" seien die, sagt Pommert von der Agentur für Arbeit. Oftmals empfehle eine Ukrainerin ein Unternehmen weiter, bei dem sie angefangen hat - und dann folgten weitere. Was bei Zeitfracht übrigens ähnlich war: Oksana Chyzhevska bekam den Tipp von ihrer Schwester, die ebenfalls hier arbeitet.
Ihre beiden Kollegen Hanna Kolomoiets und Oleksandr Arkhypov sind Cousine und Cousin - wir erfahren, dass er der erste Ukrainer war, der nach Kriegsbeginn hier angefangen hat. Auch ohne Deutsch-Kenntnisse hatte sich Arkhypov hier beworben. "Ich habe mit Google-Übersetzer gearbeitet, Internet-Seiten übersetzen lassen und auch meinen Lebenslauf so übersetzt", berichtet er. Und dann hat ihn die ukrainische Personalerin kontaktiert. Seine Cousine hat er danach angeworben.
Kinderbetreuung ist wichtig für Ukrainer
Die Industrie- und Handelskammer in Erfurt sieht das Potenzial der ukrainischen Geflüchteten. "Natürlich spielt das eine Rolle. Der Fachkräftebedarf ist in jedem Unternehmen hoch. Von daher überlegen sich alle, woher sie Arbeitskräfte bekommen", sagt Cornelia Haase-Lerch, Hauptgeschäftsführerin der Kammer. Aber der Aufwand für die Unternehmen sei natürlich hoch.
"Bei den ukrainischen Geflüchteten sind es 70 oder 80 Prozent Frauen, in der Regel auch mit Kindern." Da spiele natürlich Kinderbetreuung eine Rolle. Ohne Kinderbetreuung können die Frauen keine Arbeit aufnehmen. Viele Unternehmen würden sich da aktiv einbringen - und wer Erfahrungen mit internationaler Belegschaft gesammelt habe, sei da im Vorteil.
Aber manche Unternehmen hätten auch Zweifel, ob sich der Aufwand lohnt. Denn sowohl IHK als auch Agentur für Arbeit sind nicht sicher, wie viele Ukrainer in Thüringen bleiben werden, sollte der Krieg bald enden. "Das hängt davon ab, wie der Krieg endet", sagt die Jobcenter-Dolmetscherin. "Wenn das Zuhause nicht zerstört ist, wenn es einen Platz gibt, zu dem man zurückkehren kann." Und gerade der Osten der Ukraine sei schon jetzt erheblich zerstört.
Viele Integrationskurse gehen bald zu Ende
Oksana Chyzhevska, Hanna Kolomoiets und Oleksandr Arkhypov jedenfalls gehören zu denen, die zurückwollen, wenn das wieder möglich ist. Auch wenn sie froh sind, dass sie ihren Lebensunterhalt in Thüringen selbst bestreiten können. Es könnten bald mehr werden: Die Agentur für Arbeit setzt darauf, dass in diesen Monaten zahlreiche Integrations- und Sprachkurse abgeschlossen werden.
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | THÜRINGENJOURNAL | 31. Mai 2023 | 19:09 Uhr
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