Betrugsverdacht Ermittlungen gegen Verein Talisa ausgeweitet: Land stellt weitere Rückforderungen
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03. Juni 2023, 09:13 Uhr
Der Druck auf den Thüringer Arbeitslosenhilfeverein Talisa wächst. Laut einem internen Bericht des Thüringer Sozialministeriums gibt es weitere Rückforderungen von Fördermitteln. Zudem hat die Staatsanwaltschaft Erfurt ihre Ermittlungen gegen die ehemalige Vereinsvorsitzende und den Verein ausgeweitet.
Es sind nicht mal ganz drei Seiten, die es aber in sich haben. Es geht um gravierende Vorwürfe bei der Verwendung von Fördergeldern, es geht um den Verdacht der Urkundenfälschung und es geht um den Vorwurf, dass Hilfesuchende finanziell genötigt worden sein könnten.
Erstellt wurde dieser Bericht, der MDR THÜRINGEN vorliegt, vom Thüringer Sozialministerium und basiert auf den seit über einem Jahr laufenden Prüfungen des Landesverwaltungsamtes gegen den Sozialverein Talisa.
Projekte sollen nur auf dem Papier existert haben
Seit April vergangenen Jahres steht der Arbeitslosenhilfeverein im Verdacht, Fördermittel des Landes nicht dem Zweck entsprechend verwendet zu haben. Auslöser für die Prüfungen waren Recherchen von MDR THÜRINGEN, die vor allem auf den Hinweisen von ehemaligen Mitarbeitern beruhten.
Sie berichteten von Talisa-Projekten, besonders im Raum Sömmerda, die offensichtlich nur auf dem Papier existierten. Der Verein hatte das stets zurückgewiesen. Doch scheinen sich diese Informationen nun immer weiter zu bestätigen. Geschäftsführerin Ingrid Schindler wurde entlassen, die bei Talisa viele Jahre auch Vereinsvorsitzende in Personalunion war.
Verein erhielt Gelder vom Thüringer Sozialministerium
Die Mittel für die Projekte in Sömmerda stammten aus dem Topf des Thüringer Justizministeriums und waren zur Hilfe für Asylsuchende und Flüchtlinge gedacht. Doch weitaus mehr Geld hat Talisa thüringenweit seit vielen Jahren vom Thüringer Sozialministerium im Rahmen der sogenannten öffentlich geförderten Beschäftigung, kurz ÖGB genannt, erhalten.
Dabei handelte es sich um eine Art Jobbeschaffungsprogramm im sozialen Bereich, mit dem Talisa seine sozialen Angebote aufrechterhalten kann. Die Thüringer Wirtschaftsfördergesellschaft GFAW, die seit Anfang des Jahres zum Landesverwaltungsamt gehört, zahlt und prüft diese Gelder im Auftrag des Sozialministeriums.
GFAW fordert Förderung zurück
Noch in 2022 hatte die GFAW angefangen, sämtliche ÖGB-Projekte der Talisa auf den Prüfstand zu stellen. Dabei ergab sich bei zwei Projekten in Erfurt der Verdacht, das die Mittel nicht dem Zweck entsprechend verwendet worden waren. Es geht um eine Rückforderung von rund 35.000 Euro. MDR THÜRINGEN hatte vor knapp zwei Monaten darüber berichtet.
Nun geht aus einem internen Bericht des Sozialministeriums hervor: es gibt weitere Projekte, bei denen genau dieser Verdacht besteht. Unter anderem steht ein drittes in Erfurt auf dem Prüfstand, bei dem rund 15.000 Euro zurückgefordert werden könnten.
Hinweise auf neue Fälle
Darüber hinaus hatte die neue GFAW-Abteilung im Landesverwaltungsamt von einem Thüringer Jobcenter einen Hinweis auf zwei Projekte in Arnstadt und Ilmenau bekommen. Laut dem internen Ministeriumsbericht haben sich bei einer Vor-Ort-Prüfung im Februar diesen Jahres Anhaltspunkte ergeben, dass Mitarbeiter offenbar Arbeiten erledigt haben, die nicht dem beantragten Förderzweck entsprochen haben sollen.
Zudem sollen Hilfesuchende vor Ort genötigt worden sein, entgegen der Fördermittelbestimmung, Mitgliedsbeiträge an den Verein zu zahlen, um Hilfeleistungen zu erhalten. Wie hoch dabei die Summe möglicher Rückforderungen sein könnten, geht aus dem Bericht nicht hervor.
Talisa weist neue Fälle zurück
Das Landesverwaltungsamt teilte auf Nachfrage mit, dass im Rahmen der Prüfungen bisher noch keine belastbaren Aussagen möglich seien. Der Verein selber wies die Vorwürfe auf MDR THÜRINGEN-Anfrage zurück. "Eine Verpflichtung gegenüber Hilfesuchenden zu einer Vereinsmitgliedschaft und damit zur Zahlung von Mitgliedsbeiträgen kann von uns derzeit nicht bestätigt werden", heißt es.
Staatsanwaltschaft weitet Ermittlungen aus
Doch der Druck auf den Verein könnte weiter steigen. Seit Frühjahr letzten Jahres ermittelt die Staatsanwaltschaft Erfurt gegen den Verein und die inzwischen entlassene Geschäftsführerin und ehemalige Vereinsvorsitzende Ingrid Schindler.
Nach dem MDR THÜRINGEN vor knapp zwei Monaten über die neuen Hinweise berichtet hatte, das in Erfurt Fördermittel nicht dem Zweck entsprechend eingesetzt worden sein könnten, hat die Behörde weitere Verfahren gegen Schindler und den Verein eingeleitet. Die Ex-Vereinschefin hatte die Vorwürfe gegen sich und Talisa stets bestritten. Auf eine Anfrage reagierte ihr Anwalt bisher nicht.
Vorwurf der Urkundenfälschung
Im Raum steht aber auch der Vorwurf der Urkundenfälschung. Laut dem Bericht des Sozialministeriums soll Talisa in einer Stellungnahme an das Landesverwaltungsamt erklärt haben, dass im Verein Unterschriftenstempel der Vorsitzenden unautorisiert verwendet worden sein sollen, um Dokumente im Namen der Vorsitzenden zu zeichnen. Ob diese Behauptung stimmt, bleibt fraglich. Das Landesverwaltungsamt will sich zu den Details nicht äußern.
Frau Schindler hat nach bisheriger Kenntnis alle rechtlich verbindlichen Dokumente stets eigenhändig unterzeichnet.
Talisa erklärt auf MDR THÜRINGEN-Anfrage: "Frau Schindler hat nach bisheriger Kenntnis alle rechtlich verbindlichen Dokumente stets eigenhändig unterzeichnet." Damit steht die Frage im Raum: Ist die erste Aussage vor dem Landesverwaltungsamt möglicherweise eine Schutzbehauptung der Ex-Vereinsvorsitzenden gewesen? Schindler selber reagierte auf eine Anfrage über ihren Anwalt dazu nicht.
Land hat Zahlungen an Talisa gestoppt
Doch für den Verein könnte es finanziell immer enger werden. Laut dem internen Bericht des Sozialministeriums werden an Talisa aufgrund der massiven Vorwürfe aktuell keine Fördermittel ausgezahlt und es werden auch keine weiteren Mittel bewilligt.
Denn das Landesverwaltungsamt steigt immer tiefer in die Prüfungen ein und teilte MDR THÜRINGEN auf Anfrage mit, dass sich daraus weitere Rückforderungen in Höhe von 70.000 Euro ergeben könnten.
Betrugsschaden von 85.000 Euro?
Auch bei der Überprüfung der Integrationsprojekte in Sömmerda, die im Frühjahr 2022 der Auslöser für den gesamten Talisa-Fall waren, werden Gelder in Höhe von rund 44.000 Euro zurückgefordert.
Nach MDR THÜRINGEN-Recherchen gehen Thüringer Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft von einem möglichen Betrugsschaden von gut 85.000 Euro aus, der aber bei weiteren Ermittlungen noch steigen könnte.
Wohlfahrtsverbände drängen auf Aufklärung
Der Verein selber hatte Mitte Mai die Reißleine gezogen und Ingrid Schindler als Geschäftsführerin entlassen. Der Verein wollte sich aus arbeitsrechtlichen Gründen nicht weiter zu den Gründen der Kündigung von Schindler äußern. Sie selber reagierte auf Anfrage über ihren Anwalt nicht.
Im Thüringer Landtag beschäftigen sich seit Frühjahr letzten Jahres sowohl der Justiz-, als auch der Sozialausschuss mit dem Thema Fördermittelvergabe an den Verein Talisa. Zudem schauen die sozialen Dachverbände in Thüringen inzwischen mit Sorge auf den Fall "Talisa".
Uns ist an einer baldigen Aufklärung und Transparenz gelegen.
Die Sprecherin der Liga der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen, Anne Osterland, sagte MDR THÜRINGEN: "Gemessen daran, wie viele Vereine und Verbände Fördermittel bekommen und verantwortungsvoll damit umgehen, fänden wir es schade, wenn alle unter Generalverdacht fallen würden." Die Liga begrüße, dass den Vorwürfen mit Hochdruck nachgegangen werde. "Uns ist an einer baldigen Aufklärung und Transparenz gelegen", so Osterland.
MDR (cfr/jw)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 03. Juni 2023 | 19:00 Uhr