Kommunalpolitik Keine Wunder in Sonneberg: AfD-Landrat Sesselmann seit 100 Tagen im Amt
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10. Oktober 2023, 16:01 Uhr
Als erster AfD-Landrat Deutschlands stand Robert Sesselmann im Sommer bundesweit im Fokus. Sein Landesverband wird als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Inzwischen ist Sesselmann 100 Tage im Amt. Welches erste Fazit ziehen er selbst und andere Kommunalpolitiker? Wir haben nachgefragt.
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- Gute Noten vom Sonneberger Bürgermeister
- Sesselmann scheitert mit Streichung von Demokratieprojekt
- CDU kritisiert Umgang mit Klinikpersonal
- Linke kritisiert Wahlkampfauftritt in Hessen
- Sesselmann: "Kein Mitarbeiter hat wegen mir gekündigt"
- Regiomed-Krise: Landrat hofft auf Rot-Rot-Grün
Robert Sesselmann von der AfD ist inzwischen seit 100 Tagen als Sonneberger Landrat im Amt. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Was die Menschen in dem Südthüringer Landkreis bisher zur Kenntnis nehmen mussten, ist: Auch ein Landrat Sesselmann kann keine Wunder vollbringen oder gar zaubern.
Deutlich geworden ist das beispielsweise beim Bürgerdialog in Neuhaus am Rennweg. Etwa 50 Einwohner waren am letzten Donnerstag im September ins Bürgerhaus gekommen. Geduldig hörte sich Sesselmann die Sorgen der Menschen an. Er musste jedoch in den meisten Fällen auf andere Zuständigkeiten verweisen.
Landrat nicht für alles zuständig
Ein Teilnehmer des Bürgerdialoges hoffte zum Beispiel, dass der Landkreis eine Lösung finden möge für die aktuellen Bauarbeiten zwischen Steinach und Lauscha. Dort saniert das Landesamt für Bau und Verkehr derzeit eine Ufermauer. Die Straße bleibt für zwei Jahre voll gesperrt. Statt sechs Kilometer müssen Autofahrer zwischen den Nachbarstädten einen Umweg von 30 Kilometern in Kauf nehmen.
Der Landkreis könnte, so hieß es im Bürgerdialog, doch zusammen mit der Bundeswehr Behelfsbrücken bauen und eine Umleitung schaffen. Kann er nicht, musste Landrat Sesselmann erklären. Landkreise könnten kein Geld ausgeben für Projekte, bei denen sie nicht zuständig sind. Außerdem befände sich der Landkreis Sonneberg gerade in einer freiwilligen Haushaltskonsolidierung und unterliege deshalb Sparzwängen.
Gute Noten vom Sonneberger Bürgermeister
Sonnebergs Bürgermeister Heiko Voigt (pl) stellt dem Landrat für seine ersten 100 Tage im Amt ein recht gutes Zeugnis aus. "Die Zusammenarbeit mit ihm läuft auf Augenhöhe und ist sachlich", so Voigt. Bürgermeister und Landrat müssten zum Beispiel im Zweckverband für die Sonneberger Sternwarte eng zusammenarbeiten. "Das funktioniert, und die Sanierungsarbeiten an der Sternwarte gehen gut voran."
Die Zusammenarbeit mit ihm läuft auf Augenhöhe und ist sachlich.
Zwei Jahre lang hat Heiko Voigt außerdem als Aufsichtsratsvorsitzender der Medinos Immobilien GmbH den erkrankten Landrat Hans-Peter Schmitz vertreten. Laut Voigt verlief die Amtsübergabe an Robert Sesselmann auf eine angenehme und sachliche Art und Weise. Sesselmann ist laut Voigt auch nicht mit irgendwelchen populistischen Äußerungen aufgefallen.
Sesselmann scheitert mit Streichung eines Demokratieprojekts
Nicht ganz so positiv ist das Resümee der CDU-Kreistagsabgeordneten und -Landtagsabgeordneten Beate Meißner: "Ich habe den Eindruck, Herr Sesselmann hat erst in den 100 Tagen seiner Amtszeit den vollen Umfang seiner jetzigen Verantwortung realisiert." Ob er damit überfordert sei, könne sie nicht einschätzen.
Ich habe den Eindruck, Herr Sesselmann hat erst in den 100 Tagen seiner Amtszeit den vollen Umfang seiner jetzigen Verantwortung realisiert.
Gerade aber die Haushaltskonsolidierung habe er sich sicher einfacher vorgestellt. "Da hilft auch nicht, die von ihm geplante Streichung der Demokratieprogramme", sagt Meißner. Tatsächlich wollte Robert Sesselmann beim Bundesprogramm "Demokratie leben" den Rotstift ansetzen. Der Landkreis bekommt vom Bund rund 250.000 Euro Fördergeld pro Jahr, muss dafür aber 35.000 Euro Eigenmittel aufbringen.
Um das Geld zu sparen, wollte Sesselmann den Förderantrag nicht unterschreiben. Im Jugendhilfeausschuss sorgte das für heftige Kritik. Erst als die Mitglieder mit einem Sonderkreistag drohten, lenkte Sesselmann ein und unterschrieb den Förderantrag doch. Er allein - und ohne Zustimmung des Kreistages - hätte das Ende des Demokratieprojektes gar nicht entscheiden dürfen.
CDU kritisiert Umgang mit Klinikpersonal
"Für mich macht der Landrat in der Krise keine gute Figur", sagt CDU-Kreisrat Christian Tanzmeier. Er spielt auf die aktuellen Probleme beim regionalen Klinikverbund Regiomed an. Die Konzernleitung musste vor wenigen Tagen eingestehen, dass der Verbund kurz vor der Insolvenz steht. Der Verlust beläuft sich auf und 20 Millionen Euro.
Um einen Crash zu verhindern, sollen nun die Krankenhäuer in Neuhaus am Rennweg und Sonneberg wieder unter die Fittiche, also in Trägerschaft, des Landkreises kommen. "Landrat Sesselmann hat hier natürlich keine Schuld, aber ich hätte mir von Sesselmann so einen Merkel/Steinmeier-Auftritt wie zu Finanzkrise 2009 gewünscht." Beide Politiker hatten damals dem deutschen Sparer versichert, dass ihre Einlagen sicher seien.
Nach dem Motto: Wer nichts macht, macht auch nichts falsch. Aber so funktioniert das nicht.
"Sesselmann hätte sich bei den Klinikmitarbeitern blicken lassen müssen", sagt Tanzmeier. "Er hätte ihnen sagen müssen, dass wir alles dafür tun, um die Krankenhäuser und die Arbeitsplätze zu retten." Stattdessen habe sich der Landrat abgeduckt. "So hältst du doch die Mitarbeiter nicht", sagt Tanzmeier. Er findet, dass sich der Landrat in der Region generell zu rar macht. "So nach dem Motto: Wer nichts macht, macht auch nichts falsch. Aber so funktioniert das nicht."
Prekäre Haushaltslage im Landkreis Sonneberg
SPD-Kreisrat Holger Scheler verteidigt Landrat Sesselmann. "Er muss jetzt das auslöffeln, was ihm die Vorgänger eingebrockt haben", spielt Scheler auf die prekäre Haushaltslage im Landkreis an. Scheler hatte dem Haushalt damals nicht zugestimmt, "weil er nicht seriös zustande gekommen ist." So seien beispielsweise steigende Personalkosten nicht eingepreist worden, nur um einen ausgeglichen Etat durchzupeitschen.
Linke kritisiert Wahlkampfauftritt in Hessen
"Was ist bei Robert Sesselmann Unkenntnis, Unvermögen und was politisches Kalkül?", fragt sich Linke-Kreisrat Uwe Schlammer. "Ich kann mich nicht erinnern, dass einer seiner vier Amtsvorgänger in den ersten 100 Tagen Zeit für Wahlkampf in anderen Bundesländern gehabt hätte. Sesselmann schon." Und zwar laut Schlammer für seine Parteikollegen beim Landtagwahlkampf in Hessen.
Was ist bei Robert Sesselmann Unkenntnis, Unvermögen und was politisches Kalkül?
Hier habe der Landrat falsche Prioritäten gesetzt. Politisches Kalkül unterstellt Schlammer beim Versuch Sesselmanns, das Demokratieprogramm zu streichen. "Bei einem Gesamthaushalt von 100 Millionen sollten uns Vereinsprojekte 35.000 Euro Eigenanteil wert sein. Aber Demokratie ist ja nicht so die Sache der AfD“.
Zur Erinnerung: Die Thüringer AfD wird vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft und beobachtet.
Sesselmann: "Kein Mitarbeiter hat wegen mir gekündigt"
Robert Sesselmann selbst empfängt MDR THÜRINGEN gut 100 Tage nach seinem Wahlsieg in seinem schlicht gehaltenen Büro. Medien gegenüber ist der neue Landrat eher zurückhaltend. Interviews gibt er nur selten.
Die ersten 100 Tage seien sehr arbeitsintensiv gewesen, sagt er. Aber, und das sei sehr positiv, auf die Mitarbeiter in der Kreisverwaltung könne er sich zu 100 Prozent verlassen.
Tatsächlich hat Sesselmann bisher kaum in das bisherige System im Landratsamt eingegriffen. Es gab keine Versetzungen. "Wegen mir hat auch keiner der Mitarbeiter gekündigt", sagt Sesselmann.
Sondersitzung zu Regiomed - Landrat hofft auf Rot-Rot-Grün
Große Überraschungen habe er bisher keine erlebt. Dass es um den Kreishaushalt nicht rosig bestellt ist, wusste er schon vorher. Schließlich saß er für die AfD im Kreistag.
Größte Aufgabe sei für ihn derzeit der kommunale Klinikverbund Regiomed. In einer Sondersitzung am 26. Oktober soll darüber entschieden werden, ob die Krankenhäuser Sonneberg und Neuhaus am Rennweg wieder in die Trägerschaft des Kreises kommen.
"Ich hoffe sehr, dass uns dann das Land - allen voran Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) - unterstützt." Sie selbst habe gesagt, dass keines der Krankenhäuser auf dem Land sterben dürfe, sagt Sesselmann. "Ich habe da wirklich große Sorge, zumal wir nicht wissen, wie sich die Gesundheitsreform des Bundes auf unsere beiden Häuser auswirkt."
MDR (bee/mm)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 10. Oktober 2023 | 19:00 Uhr
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