Sommerinterview Der Unverwüstliche: Thomas Kemmerich von der Thüringer FDP im Portrait
Hauptinhalt
06. Juli 2023, 15:12 Uhr
An der Spitze der Thüringer FDP ist Thomas Kemmerich unangefochten, die Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2024 dürfte gesetzt sein. Die Frage ist also nur: Bringt Kemmerich die Liberalen über fünf Prozent?
Sommer 2023 und Thomas Kemmerich steht vieler Erwartungen zum Trotz immer noch an der Spitze der Thüringer FDP. Zumindest im Land sind seine innerparteilichen Kritiker offenbar verstummt. Und auch aus dem Bundes-Vorstand ist, zumindest aktuell, kein Widerstand gegen Kemmerichs Pläne zu vernehmen, bei der Landtagswahl 2024 als Spitzenkandidat antreten zu wollen.
Der Dammbruch von Erfurt vor drei Jahren, die Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD, scheint - zumindest auf den ersten Blick - so weit weg, wie die letzte Regierungsbeteiligung der Liberalen in Thüringen. Gut möglich aber, dass die Diskussionen über Kemmerich die FDP und ihn selbst noch mal einholen.
Stimmungstest bei der Bundespartei
Bundesparteitag der FDP im April in Berlin. Das ist ein Pflichttermin für Thomas Kemmerich. Auch weil sich, das weiß der 58-Jährige ganz genau, beim gemütlichen Beisammensein am Rande solcher Veranstaltungen so manche Wogen glätten, Stimmungslagen einfangen und Strippen ziehen lassen.
Und so ist der Bundesparteitag in Berlin für den Thüringer Delegierten Kemmerich auch die Gelegenheit, sein eigenes Standing zu prüfen. Zwar behauptet der Unternehmer beharrlich, der Dammbruch von 2020, als er sich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten wählen ließ, sei parteiintern ausgewertet und aufgearbeitet.
Tief im Inneren ist aber auch Kemmerich bewusst: Die ernsthafte Diskussion darüber, ob er als Spitzenkandidat bei der Thüringer Landtagswahl Unterstützung aus der Bundespartei bekommt, wird in Berlin und den obersten Parteigremien erst noch geführt werden. Aus dem Bundesvorstand heißt es bislang dazu: Der Beschluss des Präsidiums vom 9. Oktober 2020, wonach eine erneute Spitzenkandidatur von Kemmerich weder finanziell noch organisatorisch unterstützt werde, gelte weiterhin. Der Thüringer Landeschef selber sieht den Beschluss als verjährt an.
"Dann ist die Mehrheit halt da"
Kemmerichs Instinkt für Macht ist unumstritten. Es sind vielmehr die kleinen Momente und Zwischentöne, die immer wieder Zweifel an seinem Gespür und Geschick aufkommen lassen. Zwar betont der Landes- und Gruppen-Vorsitzende der Thüringer FDP stets, es werde auch zukünftig keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Auf dem Landesparteitag im März war dahingehend sogar ein eigener Leitantrag verabschiedet worden.
Jedoch räumt Kemmerich unumwunden ein, er werde sich nicht von politischen Überzeugungen abbringen lassen, nur weil die AfD denen zustimme. Es sei wichtig, dass es gute politische Ideen aus der politischen Mitte gebe. "Und wenn die dann eine Mehrheit finden, trotz oder mit der AfD, dann ist die Mehrheit halt da", so der 58-Jährige in einem Interview. Ein Satz, der - zumal ausgesprochen von Thomas Kemmerich - eben eine ganz besondere Note hat.
Alternativlos in Thüringen
An der Basis in Thüringen hat Kemmerich die vergangenen Jahre überraschend unbeschadet überstanden. Beim Landesparteitag im Herbst 2022 wählen ihn 87 Prozent der Delegierten erneut zum Landesvorsitzenden. Ernstzunehmende Konkurrenz: Fehlanzeige.
Seine einstigen internen Rivalen, die ihn nach dem Ministerpräsidenten-Chaos 2020 am heftigstem kritisiert hatten, sind zum Parteitag gar nicht erst erschienen. Weder der Weimarer Kreisvorsitzende Hagen Hultzsch ist präsent noch der ehemalige FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth und auch nicht der junge Liberale Jan Siegemund.
Besonders bemerkenswert: Kemmerichs Wahlergebnis anderthalb Jahre zuvor war noch deutlich schlechter ausgefallen. Damals, kurz nach dem Dammbruch von Erfurt, hatten ihm nur 71 Prozent der Delegierten die Zustimmung gegeben.
Der Ministerpräsident a.D. erfreut sich also offenbar wieder größerer Beliebtheit in den Kreisverbänden. Der gebürtige Aachener erklärt, seine "durch vielerlei Umstände" entstandene Bekanntheit sei eben ein "starkes Argument".
Kemmerich und der Richtungsstreit
Bleibt die Frage: Was ist von der Thüringer FDP mit Thomas Kemmerich an der Spitze zu erwarten? Eine Zusammenarbeit mit dem linken Lager eher nicht. Die Linkspartei ist in Kemmerichs Wahrnehmung immer noch die SED-Nachfolgepartei und per Parteitagsbeschluss als Koalitionspartner in Thüringen ausgeschlossen.
Die bis tief ins Persönliche gehende Abneigung zwischen Kemmerich und den Thüringer Grünen beruht auf Gegenseitigkeit. Bleiben noch SPD und CDU. Doch ein solches Bündnis ist im Freistaat derzeit meilenweit von einer eigenen Mehrheit entfernt. Leichter wäre es, mit der CDU zu koalieren und sich von der AfD tolerieren zu lassen. Oder um im Kemmerich-Duktus zu bleiben: Dann wäre die Mehrheit halt da.
Fakt ist: Für die Liberalen in ganz Deutschland sind Thüringen und der Umgang der FDP einmal mehr ein Reibeisen. Wie richtet sich die Partei aus und welche Tabus gelten? Thomas Kemmerich wird Antworten geben müssen. Immerhin: Wenn jemand gelernt haben sollte, dass dabei auch ein einziges Wörtchen katastrophale Auswirkungen haben kann, dann er.
Wackelpartie
Vor allen Eventualitäten steht jedoch eine andere, viel entscheidendere Frage: Bleibt die Thüringer FDP unter Kemmerich im Landtag oder stürzt sie in die außerparlamentarische Opposition ab? Fakt ist: Der Verlust des Fraktionsstatus hat erhebliche finanzielle Einbußen mit sich gebracht. Es fehlt nicht nur am Geld, sondern vor allem auch an personellen Ressourcen, die im Wahlkampf jedoch eminent wichtig sind.
Ein paar Ausreißer ausgenommen, kratzt die FDP in den Umfragen seit der letzten Landtagswahl 2019 immer nur an der 5-Prozent-Marke. Oder anders ausgedrückt: Der Kampf ums politische Überleben läuft längst. Für die Thüringer FDP. Aber auch für Thomas Kemmerich.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 01. August 2023 | 19:00 Uhr