Sommerinterview Der Unersetzliche: Bodo Ramelow von den Thüringer Linken im Portrait
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06. Juli 2023, 15:00 Uhr
Seit neun Jahren ist Bodo Ramelow Ministerpräsident von Thüringen. Bei der nächsten Landtagswahl will der 67-Jährige abermals als Spitzenkandidat für seine Partei, Die Linke, antreten. Allerdings sind seine Beliebtheitswerte zuletzt messbar gesunken.
Nimmt man die kurze Unterbrechung im Frühjahr 2020 aus, ist Bodo Ramelow seit mittlerweile neun Jahren Ministerpräsident Thüringens. Das ist eine Zeit, in der der 67-Jährige für allerlei Premieren gesorgt hat. Ramelow hat 2014 das erste rot-rot-grüne Bündnis auf Landesebene überhaupt geschmiedet. Selbst jetzt, in seiner zweiten Amtszeit, hält diese Koalition seit 2020; wenn auch nur noch als Minderheitsregierung. Länger waren bislang nur in Sachsen-Anhalt Regierung ohne eigene Mehrheit im Amt.
Außerdem darf Ramelow von sich behaupten, der erste Bundesratspräsident mit Parteibuch der Linken gewesen zu sein. Jetzt, im letzten Sommer vor der nächsten Landtagswahl, beginnt für den gebürtigen Niedersachsen der vielleicht wichtigste Kampf seiner Karriere: Der um sein politisches Vermächtnis.
Ramelow tritt noch mal an
Noch ist es nicht offiziell, doch glaubhafte Zweifel gibt es eigentlich nicht mehr: Bodo Ramelow wird Spitzenkandidat der Linken bei der Landtagswahl in Thüringen 2024. Dass seine Partei, die Linke, ihn aufstellt, gilt als sicher. Zu sehr sind die Genossen abhängig von Popularität und Beliebtheit ihres Frontmannes.
Weniger sicher war lange Zeit, ob sich Ramelow selber diese erneute Kandidatur antut. Fragen danach war der Ministerpräsident zwar nie ausgewichen. Seine Antworten ließen jedoch stets einen gewissen Interpretationsspielraum. Wohl auch, weil die Beziehung zwischen dem gelernten Kaufmann und seiner Partei, speziell in der jüngeren Vergangenheit, nicht immer eine Liebesbeziehung war.
Ukraine-Politik, Partei-Strategie, Personalfragen: Ramelow war und ist nicht selten auf inhaltlichem Konfrontationskurs zu seinen Genossen. "Je mehr sich eine Partei nur mit sich selbst beschäftigt, desto weniger Attraktivität hat sie für Wählerinnen und Wähler. Wir haben uns in den letzten zwei Jahren in einer unzuträglichen Form mit uns selbst beschäftigt", so Ramelow.
Der 67-Jährige spart jedenfalls nicht mit Kritik an seiner eigenen Partei, wobei diese sich in den meisten Fällen auf das Agieren der Linken auf Bundesebene bezieht. Dazu passen lakonisch dahingesagte, aber durchaus ernst gemeinte Unkenrufe auf den Thüringer Landtagsfluren: Ramelow sei eigentlich der beste Sozialdemokrat, den das Land je gesehen habe.
Aussagen, die der Gemeinte, wenn man ihn damit konfrontiert, weglächelt und vor allem nicht kommentieren mag. Doch Ramelow weiß: Er und die Linke, das ist vor allem ein Zweckbündnis, von dem zwar beide Seiten profitieren. Vor allem aber seine Partei.
Ramelow-Effekt als Stimmen-Garant
Nicht selten ist die Frage gestellt worden: Wie viel macht es in Prozentpunkten ausgedrückt wohl aus, dass der beliebte und gestandene Ramelow für die Thüringer Linken regiert und kandidiert? Dazu lohnt ein Blick in die benachbarten Bundesländer und auf das Ergebnis der Europawahl in Thüringen, bei der die Linke den Namen Ramelow nicht auf den Plakaten und Wahlzetteln stehen hatte.
In Sachsen beispielsweise kommen die Linken in den Umfragen seit Jahren gerade so noch auf zweistellige Werte. Dasselbe Bild bietet sich in Sachsen-Anhalt. Und das Europawahl-Ergebnis der Linken in Thüringen, ohne Ramelow: 13,8 Prozent. Aktuelle Umfrage sehen die Ramelow-Partei derzeit bei 22 bis 25 Prozent. Die Differenz dürfte der Ramelow-Effekt sein.
Daran lässt sich erahnen, wie essentiell wichtig der amtierende Ministerpräsident für seine Partei ist. Ginge Ramelow, gingen vermutlich auch diejenigen Wählerinnen und Wähler, die wegen ihm ihr Kreuzchen bei den Linken machen.
Ramelows Gedankenspiele
Wer Bodo Ramelow kennt, weiß: Der 67-Jährige ist niveauflexibel. Ramelow kann von Stammtisch bis Elite alles bedienen. Das ist Talent. Das ist aber auch Kalkül. Wer den Ministerpräsidenten auf dem falschen Fuß erwischt, muss bisweilen Nehmerqualitäten aufweisen.
Gleichzeitig schafft er es, präsidial aufzutreten und verbal gefühlt das gesamte Land zu umarmen. Ramelows Auftreten ist ambivalent, aber erfolgreich. Zumindest bislang. Entgangen ist dem Landesvater natürlich auch nicht, dass die Zustimmungswerte zu ihm und seiner Partei gesunken sind.
Pendelte die Linke jahrelang um die 30-Prozent-Marke, muss sie sich inzwischen mit fast zehn Prozentpunkten weniger in den Umfragen zufriedengeben. Selbst wenn sie aus der Landtagswahl im nächsten Jahr als stärkste Kraft hervorginge, könnte Ramelow vermutlich erneut keine Regierung mit eigener Mehrheit bilden. Zumindest keine Rot-Rot-Grüne.
Und eine weitere Minderheitsregierung unter Ramelow scheint, das lassen die Stimmungen in den Regierungsfraktionen vermuten, unwahrscheinlich. Ramelow müsste also, aller Wahrscheinlichkeit nach, neue Partner für neue Bündnisse finden. Die AfD scheidet dabei als möglicher Partner grundsätzlich aus. Die CDU hat bereits, oder vorerst, abgewunken. Die FDP auch. Ob es die Grünen überhaupt wieder in den Landtag schaffen, scheint mehr als fraglich. Und die SPD? Die Sozialdemokraten allein sind zu schwach, um Ramelow zu Mehrheiten zu verhelfen.
Kaum vorstellbar erscheint, dass sich der Langzeit-MP unter einem Nachfolger auf die Landtagsbank setzt oder gar den Oppositionsführer gibt. Schier unverantwortlich dem Land gegenüber erschiene ein Szenario, wonach Ramelow als Spitzenkandidat antritt, die Wahl verliert und danach abtritt. Die politische Konkurrenz würde skandieren: "Wählertäuschung". Denn dann säße eine Linke im Landtag, denen Ramelow noch ein letztes Mal zu Stimmen verholfen hat, die eigentlich ihm und nicht der Partei galten.
Was bleibt, sind viele Fragen und Optionen, die sich der 67-Jährige stellen wird. Einerseits will und kann er, aus Loyalität, seine Partei nicht im Stich lassen. Andererseits will Ramelow auch nicht sein politisches Lebenswerk gefährden.
Im Angriffsmodus
Doch noch ist mehr als ein Jahr Zeit bis zur Landtagswahl. Zeit, die Ramelow nutzen wird, um seine politischen Erfolge herauszustellen. Mit dem Vorwurf konfrontiert, das Land verharre wegen der schwierigen Mehrheitslage im Stillstand, ließ der MP zuletzt wissen: "Entgegen der Vorstellung, dass die Minderheitsregierung handlungsunfähig sei, sind alle notwendigen Entscheidungen getroffen worden." Man habe im Gegenteil auch Projekte der CDU realisiert.
Ramelow vereinnahmt die größte Oppositionspartei und weiß gleichwohl: Hauptgegner 2024 wird die AfD. Ob dann die Parole "Bodo oder Barbarei" verfängt, wird sich erst noch zeigen müssen. Nicht zuletzt davon hängt es jedoch ab, wie es mit dem politischen Vermächtnis des ersten Linken Ministerpräsidenten weitergeht.
MDR (dvs)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 18. August 2023 | 19:00 Uhr