Einlieferung eines Schlaganfall-Patienten in die Stroke Unit eines Klinikums
In Thüringen trifft die Diagnose Schlaganfall deutlich mehr Menschen als in anderen Bundesländern. Bildrechte: IMAGO / imagebroker

Risikofaktor Ernährung Thüringer haben erhöhtes Schlaganfall-Risiko

29. Oktober 2023, 12:40 Uhr

In Thüringen trifft die Diagnose Schlaganfall deutlich mehr Menschen als in anderen Bundesländern. Ein Risikofaktor: die Ernährung. Experten sehen den Appetit vieler Thüringer auf Wurst und Fleisch als problematisch an.

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Die Thüringer haben bundesweit mit das höchste Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Das geht aus Daten mehrerer Krankenkassen hervor. Demnach wurden in den Jahren 2019 bis 2022 in Thüringen 3,4 Krankenhaus-Aufenthalte pro 1.000 Einwohner auf die Diagnose "Hirninfarkt" zurückgeführt. Der Bundesschnitt schwankt zwischen 2,7 und 2,8 - in Thüringen ist das Schlaganfall-Risiko also deutlich höher.

Warum jeder Schlaganfall ein Notfall ist

"Jeder Schlaganfall ist ein Notfall" - das ist das Motto des diesjährigen Welt-Schlaganfalltags am 29. Oktober. Allein etwa 1.000 Schlaganfälle werden pro Jahr im Uniklinikum Jena behandelt, wie Professor Carsten Klingner von der Klinik für Neurologie des Klinikums berichtet. Durchschnittlich bleiben die Patienten demnach etwa fünf Tage im Krankenhaus.

Verglichen mit den Möglichkeiten vor 15 oder 20 Jahren sei die Medizin heute viel weiter - mehr Patienten könne schnell geholfen werden, so dass sie nach wenigen Tagen wieder beschwerdefrei sind. Aber eben längst nicht allen.

"Oft bleiben funktionelle Behinderungen zurück", sagt Klingner. Patienten könnten andere Menschen nicht mehr verstehen, nicht mehr schreiben. Das müsse dann erst wieder erlernt werden. Oder aber die Patienten seien nach dem Schlaganfall bettlägerig. "Manche sterben dann auch nicht am Schlaganfall, sondern an den Folgen."

Manche sterben dann auch nicht am Schlaganfall, sondern an den Folgen.

Carsten Klingner

Die Schäden seien allerdings nicht immer bleibend. "Wenn durch ein verstopftes Blutgefäß ein Bereich im Gehirn mit etwa 50 Prozent unterversorgt ist, fällt die Funktion aus." Das Gewebe aber sterbe erst unwiederbringlich ab, wenn die Unterversorgung noch deutlich größer sei. Teilweise gebe es für das Blut auch andere Wege.

Schnell handeln bei diesen Schlaganfall-Symptomen

Wer also extreme Kopfschmerzen hat, kurzzeitig orientierungslos ist, heftigen Schwindel spürt oder die Umgebung doppelt oder wie durch einen Tunnel wahrnimmt, womöglich gar auf einem oder beiden Augen nichts mehr sieht, sollte alarmiert sein. Plötzliche Sprechprobleme oder der Verlust der Kontrolle über motorische Funktionen kommen ebenfalls in Frage.

"In solchen Fällen sollte man sich nicht hinlegen und versuchen zu schlafen, sondern sofort den Notarzt rufen", sagt Neurologe Klingner. Selbst ins Krankenhaus zu fahren sei nicht ratsam. Das sei gefährlich und koste Zeit. Der Rettungsdienst könne schon während der Fahrt erste Diagnosen stellen und offene Fragen klären. "Dann wird bei uns das CT blockiert oder die Angiografie."

zum Aufklappen: Was sind CT und Angiografie?

"CT" lautet die Abkürzung für Computer-Tomographie. Mit dieser Röntgen-Untersuchungsmethode können detaillierte Bilder vom Körperinneren gemacht werden.

Unter Angiografie versteht man die Darstellung von Blutgefäßen mit bildgebenden Verfahren, zum Beispiel mit dem Röntgengerät. Dazu wird ein Kontrastmittel in die Adern gespritzt, so dass sie auf den Bildern gut sichtbar sind.

Schlaganfall-Symptome

  • schlagartige Lähmung oder Gefühlsstörung einer Körperhälfte
  • plötzlich auftretende Sprechstörungen, Schwierigkeiten die Sprache von anderen zu verstehen
  • Sehstörungen, zum Beispiel Doppelbilder
  • schlagartig auftretende heftige Kopfschmerzen
  • plötzlicher starker Schwindel

Unmittelbar nach der Diagnose könne man per Schlüsselloch-Eingriff operieren. Dabei wird über die Hüfte ein Katheter durch die Blutbahn bis in den Kopf bewegt, mit dessen Hilfe eine Blockade eines Blutgefäßes gelöst werden kann. "Das kann binnen 30 bis 60 Minuten passieren, wenn jemand hier im Klinikum ankommt" - und in 90 Prozent der Fälle sei man mit dem Absaugen des Materials, das die Blockade verursacht hat, erfolgreich. Danach aber bleibe das Risiko für einen Schlaganfall erhöht.

Hohes Schlaganfall-Risiko für Thüringer

Ohnehin ist das Risiko für die Thüringer höher als für Menschen aus anderen Regionen. Nach Daten der Krankenkasse Barmer, die sich mit Daten der Techniker Krankenkasse decken, wurden von 2019 bis 2022 in Thüringen 3,4 Krankenhausfälle pro 1.000 Einwohnern auf einen Schlaganfall zurückgeführt.

Der Bundesschnitt schwankt zwischen 2,7 und 2,8. Lediglich das Saarland hatte 2019 bis 2021 mehr Fälle als Thüringen, 2022 lag der Freistaat in dieser Statistik allein vorn. In Baden-Württemberg und Berlin ist die Zahl der Fälle mit zuletzt 2,3 und 2,4 pro 1.000 Einwohner am geringsten.

Ernährung als Risikofaktor

Die Techniker Krankenkasse verweist generell auf "zerebrovaskuläre Krankheiten", unter die etwa ein Schlaganfall oder Hirnblutungen fallen. knapp 11.000 Fälle gab es in Thüringen im Jahr 2021 - 340.000 in ganz Deutschland. Damit hat Thüringen 3,2 Prozent der deutschen Fälle, bei einem Anteil von nur 2,5 Prozent an der deutschen Bevölkerung.

Männer sind zudem deutlich öfter betroffen als Frauen - und hier zeigt sich offenbar auch ein Zusammenhang mit den Ernährungsgewohnheiten.

Die Ernährung kann ein Risikofaktor sein.

Carsten Klingner

Zuletzt wurden hier 2016 umfassende Vergleichsdaten erhoben. Der "Fleischatlas" der Heinrich-Böll-Stiftung aus diesem Jahr gibt an, dass Männer in Thüringen pro Tag 172 Gramm Fleisch und Wurst essen - im Durchschnitt. Zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern ist das die größte Menge in Deutschland, in Berlin etwa waren es nur 148 Gramm.

Ein Mann vor einem Teller mit Fleisch.
In Thüringen wird Erhebungen zufolge vergleichsweise viel Fleisch gegessen. Bildrechte: Getty Images

Frauen essen generell deutlich weniger Fleisch. In Thüringen waren es 2016 noch 91 Gramm pro Tag, 15 Gramm mehr als zum Beispiel in Berlin. Neurologe Klingner sieht einen Zusammenhang: "Das spielt ganz klar eine Rolle. Die Ernährung kann ein Risikofaktor sein." Wenn auch natürlich nicht der einzige.

Doch der Fleischkonsum bedinge höheren Blutdruck und schlechtere Cholesterinwerte. "Das befördert die Verstopfung der Gefäße." Wobei das auch andere Herz-Kreislauf-Krankheiten zur Folge haben kann.

Blutverdünner ist wichtiges Medikament

Zusätzlich zu den 1.000 Patienten, die in Jena direkt behandelt werden, habe es mehr als 2.000 Fälle aus 13 Krankenhäusern in der Region gegeben, in denen Jenaer Ärzte per Videoschalte konsultiert worden seien. Klingner sagt, durch schnelle Gabe eines Blutverdünners könne in manchen Fällen auch in kleinen, nicht spezialisierten Krankenhäusern Schaden von Patienten abgewendet werden.

Im Schnitt kostet so eine Schlaganfall-Behandlung im Krankenhaus nach Barmer-Angaben etwa 10.000 Euro. Die Patienten sind im Durchschnitt nach Angaben Klingners etwas älter als 73 Jahre. "Würden die Leute heute gesünder leben als vor zehn Jahren, müsste das durchschnittliche Alter eigentlich steigen. Das tut es aber nicht."

Schlaganfall erkennen – mit dem FAST-Test

Mit dem FAST-Test lässt sich auch für einen Laien innerhalb kürzester Zeit der Verdacht auf einen Schlaganfall überprüfen. Die Buchstaben FAST stehen für die englischen Wörter  "Face - Arms - Speech - Time" (Gesicht - Arme - Sprache - Zeit).

  • Face (Gesicht): Bitten Sie die Person zu lächeln. Hängt ein Mundwinkel herab, deutet das auf eine Halbseitenlähmung hin.
  • Arms (Arme): Bitten Sie die Person, die Arme nach vorne zu strecken und dabei die Handflächen nach oben zu drehen. Bei einer Lähmung können nicht beide Arme gehoben werden, ein Arm sinkt oder dreht sich.
  • Speech (Sprache): Lassen Sie die Person einen einfachen Satz nachsprechen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder klingt die Stimme verwaschen, liegt vermutlich eine Sprachstörung vor.
  • Time (Zeit): Zögern Sie nicht, wählen Sie unverzüglich die 112 und schildern Sie die Symptome.

MDR (flg/dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 29. Oktober 2023 | 12:00 Uhr

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