Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen
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Interview Wie geht es weiter mit der Linkspartei, Herr Ramelow?

18. Oktober 2024, 06:30 Uhr

Bei der Landtagswahl im September stürzte die Linke regelrecht ab. Von 31 Prozent im Jahr 2019 blieben 2024 nur noch 13 Prozent übrig - trotz des Amtsbonus und der hohen Beliebtheitswerte von Ministerpräsident Bodo Ramelow. Im Interview mit MDR THÜRINGEN spricht der 68-Jährige über die Wahl eines neuen Ministerpräsidenten, die "realitätfernen" Ansichten der CDU im Umgang mit BSW und Linke und die Zukunft seiner Partei.

MDR: Herr Ramelow, wie schwer fällt es Ihnen gerade, nicht mit am Tisch zu sitzen, wenn über die nächste Thüringer Regierung verhandelt wird?

Das fällt mir nicht schwer, weil zur Demokratie gehört, dass man immer nur Aufgaben auf Zeit bekommt. Die Wähler und Wählerinnen haben am 1. September eine Entscheidung getroffen und die beinhaltet keinen Regierungsauftrag für mich. Das ist eine ganz nüchterne Betrachtung: Mit rund 13 Prozent der Stimmen hat man nicht den Auftrag, die Regierung zu bilden, wie man auch mit fünf Prozent keinen Anspruch hat, Ministerpräsident zu werden. Das hat mal einer versucht und hat dieses Land ziemlich ins Chaos gestürzt, von dem wir uns politisch bis heute nicht wirklich erholt haben - insofern, dass wir eben keine deutlichen Mehrheitsverhältnisse haben. Stattdessen haben wir ein Wahlergebnis, bei dem die AfD ein Drittel der Mandate übersprungen hat und damit alle anderen demokratischen Parteien in Schach halten kann.

Theoretisch gibt es eine Mehrheit für drei Parteien, nämlich mit der Linkspartei, dem BSW und der CDU. Fühlen Sie sich von der CDU ungerecht behandelt, wenn sie mit der Wagenknecht-Partei verhandelt, also mit der neuen Partei der ehemaligen Vorzeigekommunistin der Linkspartei, während Sie außen vor sind?

Schauen Sie, ich persönlich fühle mich überhaupt nicht ungerecht behandelt, weil ich von allen Spitzenkandidaten der Einzige bin, der seinen Wahlkreis gewonnen hat und das Vertrauen der Bürger unmittelbar bekommen hat. Trotzdem hat meine Partei enorm verloren. Deswegen klammere ich mich nicht an mein Amt, sondern bereite den Übergang zur nächsten Regierung vor. Das ist meine Aufgabe als Ministerpräsident.

Wenn ich es politisch betrachte, bin ich bei Ihnen. Es ist kurios. Der junge Markus Söder hat damals verlangt, dass man Teile der PDS verbieten sollte, wegen der kommunistischen Plattform - unter anderem wegen Sahra Wagenknecht. Danach gab es den Unvereinbarkeitsbeschluss, der meines Erachtens politisch sehr bitter ist, denn die CDU setzt darin die AfD und die Linke gleich. Das bedeutet, dass man über Jahre hinweg die AfD verharmlost und die Linke dämonisiert hat.

Und in der Zwischenzeit ist Folgendes passiert: Nach der Landtagswahl 2019 habe ich mich der Wahl gestellt. Bei diesem Wahlgang haben die CDU und die AfD Herrn Kemmerich gewählt und die CDU kann sich seither nicht an ihre Verantwortung erinnern. Sie hätte damals mit Herrn Mohring in den dritten Wahlgang einsteigen können. Zu dieser Zeit habe ich permanent mit der CDU verhandelt. Die Gespräche hat Dieter Althaus organisiert, der damals schon vehement dafür plädierte, dass CDU und Linke gemeinsam zu einer Mehrheit kommen.

Am Ende hat sich die CDU entschieden, sich hinter dem Kemmerich-Desaster zu verstecken, Herrn Mohring abzuwählen und dafür Herrn Professor Voigt zu wählen. Der hat mit uns eine Vereinbarung getroffen, dass wir gemeinsam einen Landeshaushalt gestalten und dann die Auflösung des Landtages beschließen. Daran hat sich die CDU nicht gehalten. Das alles spielt mit rein, wenn ich sage: Es ist nicht akzeptabel, dass die CDU sich bis heute weigert, mit der Linken Verhandlungen aufzunehmen. Ich halte es für unangemessen, dem Land Thüringen abträglich und ich halte es auch für die Demokratie nicht zuträglich.

Sie haben der CDU mehrere Angebote gemacht, sich an der Mehrheitsfindung im Landtag zu beteiligen. Vergangenes Wochenende haben Sie sich erneut an die CDU gewandt und klargemacht: Die Brombeerkoalition (CDU, BSW und SPD) kann nur auf Stimmen der Linken zählen, wenn sie auf die Linke zugeht. Sie haben von einem "Fairness-Abkommen" gesprochen. Am Donnerstag hat ihre Landesvorsitzende Ulrike Grosse-Röting in der "Thüringer Allgemeinen" gesagt, dass sich noch niemand bei ihr gemeldet hat. Wie ist es bei Ihnen? Haben Sie als Ministerpräsidenten einen kürzeren Draht zu Herrn Voigt, Frau Wolf oder Herrn Maier?

Ich spreche regelmäßig mit den Akteurinnen, aber ich rede nicht über Koalitionsverhandlungen. Ich rede auch nicht alternativ zu meiner Partei. Herr Maier ist nach wie vor in meinem Kabinett und mit Frau Wolf haben wir uns ausgesprochen. Ich fand es nicht schön, dass sie hinter meinem Rücken erklärte, einen ganz anderen politischen Weg zu gehen. Das hat mich geschmerzt, aber wir hatten eine lange Aussprache.

Mit Professor Voigt habe ich in den Jahren der Minderheitsregierung den Kontakt gehalten. In all den Jahren, in denen die CDU sagt, sie hätte mit uns nichts zu verhandeln, haben wir trotzdem 146 Gesetze gemeinsam mehrheitlich im Parlament beschlossen. Darunter über 20 Anträge, die originäre CDU-Anträge waren. Das ist Ausdruck von gelebter politischer Gemeinschaft und gemeinschaftlichem Gestalten. Das macht auch deutlich, wie absurd das Verhalten der CDU ist, wenn sie sagt, sie verhandeln mit uns nicht.

Es gibt bislang keinerlei Signal, ob sich die CDU oder die neue Brombeer-Koalition mit uns an einen Tisch setzt, um zu besprechen, wie gehen wir jetzt mit der Mehrheitssituation im Parlament um. Es gibt diese Patt-Situation mit 44 zu 44 Stimmen, aber das reicht, das habe ich Professor Voigt auch gesagt, um im dritten Wahlgang erstmal Ministerpräsident zu werden.

Im dritten Wahlgang bräuchte es dann aber zumindest einen Gegenkandidaten. Würden Sie sich dafür noch mal zur Verfügung stellen?

Christian Schaft, unser Fraktionsvorsitzender, würde kandidieren, damit es sich nicht auf meine Person zuspitzt. Dann würde also Herr Höcke für die AfD antreten. Davon gehe ich jedenfalls aus. Und dann gäbe es 44 Stimmen für die Brombeere, 32 Stimmen für Herrn Höcke, zwölf Stimmen für Christian Schaft. Das geht durch drei Wahlgänge und im dritten Wahlgang ist Professor Voigt gewählt. Damit ist er handlungsfähig. Ich habe mit vier Stimmen weniger fünf Jahre lang das Land verantwortet.

Bei den 44 Stimmen würden Anträge der Regierung nur scheitern, wenn es 44 Gegenstimmen gäbe. Das heißt, wenn die AfD und die Linke gemeinsam gegen die Regierung stimmen würden. Deswegen sage ich: Es kommt auf kluges Regieren an. Ich habe in den fünf Jahren solche Situationen vermieden, in denen über kraftstrotzende Provokationen abgestimmt wurde. Leider hat die CDU darauf nicht verzichtet. Beim Gendern haben sie bewusst auf die AfD gesetzt und die hat sich dann dafür gefeiert. Dreimal ist das bei verschiedenen Anträgen passiert.

Die CDU hätte darauf verzichten können und das ist der Grund, warum ich jetzt von dem "Fairness-Abkommen" rede und sage: Wenn die CDU möchte, dass wir Verlässlichkeit für fünf Jahre haben, dann müssen sie mit der Linken reden. Was wir als Linke einbringen, ist unsere Gemeinschaft der zwölf Stimmen.

Vorhin haben Sie auch die Gemeinsamkeiten, unter anderem mit Herrn Maier, herausgestellt. Nun hat Herr Maier nach der Sondierung gesagt, es gebe einen Plan für den Umgang mit der Linkspartei. Hat ihr Noch-Koalitionspartner Sie da nicht eingeweiht?

Ich habe außer den Meldungen, die ich in den Medien erfahren habe, dazu nichts gehört und ich will dazu auch nichts hören. Um es klar zu sagen: Der Ansprechpartner für diese Frage ist meine Partei. Ich erwarte, dass die Brombeere oder die CDU gezielt auf Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft zugeht und ihnen sagt, was wir jetzt tun müssten, damit wir zu einer gedeihlichen Mehrheit kommen. Mich interessiert nicht, wie die AfD abstimmt. Ich möchte nur nicht, dass mit den Stimmen der AfD vorsätzlich gerechnet wird, um die anderen zu erpressen.

Die Landesvorsitzenden Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaftt stehen nach ihrer Wiederwahl beim Landesparteitag Die Linke Thüringen zusammen.
Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft sind seit 2021 die Landesvorsitzenden der Linkspartei in Thüringen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Reichel

Das wäre ein Umgang miteinander, bei dem man die Fairness hat, sich gegenseitig zuzuhören, die Argumente zu wägen und den anderen vorher zu konsultieren. So hätte ich mir das in den letzten fünf Jahren auch gewünscht, die mir aber leider gezeigt haben, dazu braucht es eine Vereinbarung; eine Fixierung, an die sich alle Beteiligten halten.

Etwas Schriftliches?

Eine Vereinbarung, so wie wir es beim Stabilitätspakt auch hatten. Der ist ja nie ausgelaufen, weil ein Teil der Bedingungen nie erfüllt worden ist. Der ist gebrochen worden und deswegen bin ich da sehr präzise. Ich bin gewillt zu sagen: Die Brombeere kann regieren. Ich denke, sie kriegen ihren Koalitionsvertrag zustande und sie werden auch den Ministerpräsidenten gewählt bekommen. Wir werden ihnen keine Steine in den Weg legen.

Aber ist dazu tatsächlich ein Abkommen nötig? Christian Schaft hat doch schon deutlich gemacht, dass die Linke keinem Gesetz zustimmen werde, dass die Errungenschaften der zurückliegenden zehn Jahre rot-rot-grün schleifen würde…

Das ist ja auch keine Absage an einen Vertrag.

Nein, aber er hat damit klarere rote Linien gezogen. Die Brombeerkoalition weiß also, wann die Linke kompromissbereit ist und wann nicht. Da braucht es doch eigentlich keinen Vertrag mehr, oder?

Also dann weiß ich nicht, woher die Gestaltungsräume kommen sollen, die die Brombeere sich dann erarbeiten möchte. Wir sind jedenfalls keine Hilfsreserve.

Heißt das, Sie werden dann alle Gesetzesvorschläge der Brombeer-Regierung strikt ablehnen, wenn nicht vorher gesprochen wurde?

Warum sollte ich das jetzt beantworten? Sie reden im Moment mit dem geschäftsführenden Ministerpräsidenten. Der hat dazu gar keine Meinung. Als direkt gewählter Abgeordneter werde ich mir jeden Beschluss anschauen, bevor ich die Hand hebe.

Ich würde gern verstehen, welche Rolle die Linkspartei im neuen Landtag spielen kann und will.

Ich gehöre einer Partei an und diese Partei hat angekündigt, dass sie mit dem Gewicht von zwölf Abgeordneten die Rolle als Oppositionspartei kraftvoll einnehmen wird. Wir werden uns weiterhin die Freiheit nehmen, Initiativen selber im Landtag zu ergreifen und diese versuchen mit Mehrheiten zu versehen. Es kann sein, dass die Brombeere sich guten Anträgen anschließt und umgekehrt. Ich will mal ein Beispiel sagen, wo ich sofort dabei wäre und mit Leidenschaft dafür kämpfen würde: mehr direkte Demokratie.

Das hat Mike Mohring mal vorgeschlagen. Ein fakultatives Referendum - das ist ein CDU-Vorschlag gewesen, den die CDU am Ende vergessen hat ins Parlament einzubringen. Sollte sich die CDU besinnen und mit Katja Wolf zusammen, die selbst aus dem Umfeld von Mehr Demokratie e.V. kommt, mehr direktdemokratische Elemente für die Bürgerinnen und Bürger einzuführen, dann bin ich sofort Feuer und Flamme. Dann bin ich der Vorkämpfer und werde in meiner Fraktion darum kämpfen, dass alle Zwölf zustimmen.

In den letzten fünf Jahren ist die CDU als Oppositionspartei einen Schlingerkurs gefahren. Einerseits wollte sie sich von Rot-Rot-Grün unterscheiden, andererseits auch konstruktiv sein. Jetzt könnten AfD und Linke Gesetzesvorhaben einer Brombeerkoalition verhindern. Da liegt bei vielen Journalisten sicher schon die Schlagzeile in der Schublade: "AfD und Linke verhindern gemeinsam Gesetz XY". Können Sie da nicht in das gleiche Fahrwasser wie die CDU kommen, nämlich dass es am Ende so aussieht, dass die Linke mit der AfD gemeinsame Sache gemacht hat?

Sie reden jetzt darüber, was Journalisten im Konjunktiv machen könnten. Ich habe vorhin deutlich gesagt, dass ich mich von den Stimmen der AfD nicht abhängig mache. Ich lass mich auch nicht ins Bockshorn jagen, nach dem Motto, weil die AfD zustimmt, stimme ich jetzt auch zu, um die Brombeere zu ärgern. Dann haben Sie meinen politischen Ansatz nicht verstanden.

Ich will ein konkretes Beispiel sagen: die Corona-Aufarbeitung. Ich plädiere seit einem Jahr für die Corona-Aufarbeitung. Ich halte das Instrument des Untersuchungsausschusses aber einfach für falsch. Nicht, weil ich mich dann als Zeugen vernehmen lassen muss, das mache ich gerne, weil ich will, dass das alles dokumentiert wird. Wir haben gesellschaftliche Spaltungsprozesse erlebt, die bis heute ganz böse wirken.

Ich will die Aufarbeitung aber für den Fall, dass es eine neue Pandemie gibt. Es wäre klug, wenn wir jetzt die Konsequenzen ziehen, damit das, was falsch war, sich nicht mehr wiederholt und das was richtig war, kraftvoller umgesetzt werden kann. Jetzt haben wir aber zwei Untersuchungsausschüsse zum gleichen Thema, was ein völliges Vertun von Zeit ist, weil wir die Enquete-Kommission bräuchten, die das alles viel breiter untersucht. Ich ärgere mich da über die Ampel, dass sie das genauso vergeigt. Statt offensiv auf die Bevölkerung zuzugehen und zu sagen, wir brauchen die Erkenntnisse von euch. Was habt ihr erlebt? Wir müssten Bürgergutachten und ganz andere Geschichten auf den Weg bringen und darüber würde ich dann gern die Diskussion im Parlament führen.

Wenn ich davon die AfD nicht überzeuge, dann nehme ich das zur Kenntnis. Ich versuch es aber auch gar nicht. Ich würde aber gerne versuchen die Brombeere zu überzeugen, dass wir mehr machen müssen und dass der Untersuchungsausschuss meines Erachtens nur Energie raubt, weil wir die Ministerien damit lahmlegen, statt Aufarbeitung zu betreiben und Empfehlungen auszuarbeiten.

Das heißt, Ihnen schwebt eine konstruktive Oppositionsarbeit als Linke im Landtag vor?

Also ich neige sowieso nur zu Konstruktivität, weil ich Destruktivität für verheerend halte. Ich bin auch in der Lage, sehr kraftvoll aus der Opposition Dinge zu beschreiben, die ich mir wünschen würde. Und zwar so, dass sie realistisch sind, weil ich aus meinen zehn Jahren Regierungserfahrung weiß, was realistisch ist. Das bringe ich ein, aber nicht um der Brombeere von Anfang an destruktiv zu begegnen.

Es wäre einfacher, wenn auch die CDU die Realität wahrnehmen würde und über ihren Schatten springt. Sie kann nicht sagen, mit Wagenknecht haben wir keinen Unvereinbarkeitsbeschluss, wenn sie den Unvereinbarkeitsbeschluss wegen Wagenknecht mit unserer Partei damals getroffen hat. Das ist wirr und realitätsfern. Und deswegen plädiere ich für Realitätstauglichkeit und diesen Realitätstest, den muss die CDU noch durchlaufen.

Aber ist es nicht fraglich, ob dieser realpolitische und konstruktive Ansatz für die Linkspartei der richtige Weg ist? Auf Bundesebene und in Thüringen ist die Partei abgestürzt. Erst neulich hat die linke Tageszeitung "nd" der Linkspartei vorgeworfen, die Klassenfrage aus den Augen verloren zu haben und sich an Mandate zu klammern. Man wolle keine sozialistische Gesellschaft mehr aufbauen, sondern richte sich am gesellschaftlichen Konsens aus.

Was Sie jetzt aufzählen, ist so absonderlich, dass ich mich damit gar nicht beschäftige. Wenn das "Neue Deutschland" die Klassenfrage stellt, dann ist das so mächtig, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Entschuldigung, dass ich das jetzt mal so sage.

Der Vorwurf ist ja, dass die Linke die Wähler deswegen verloren hat, weil man linke und auch sozialistische Ideale nicht mehr nach außen trägt.

Haben sie eine Vorstellung, wieviel Abonnenten das "Neue Deutschland" vor 35 Jahren hatte?

Herr Ramelow, vor 35 Jahren war ich 3 Jahre alt.

Jaja, aber, ich will nur sagen, als diese Zeitung noch das Kampfblatt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland war, hat sie die "Wahrheit" verkündet. Das war ja die einzige Zeitung, die die Wahrheit verkündet hat. Deswegen ist das für mich irritierend, wenn ich solche Sätze höre. Und ich sag das in aller Deutlichkeit: Wer nicht mitgekriegt hat, dass wir einen Rechtsruck in der Gesellschaft haben und dass das Verteidigen von Menschenrechten mittlerweile zu einer Kampfaufgabe geworden ist. Dass das für mich täglich meine Aufgabe ist…

... aber müssten dann die Wähler nicht reihenweise der Linkspartei zulaufen, weil sie doch der genuine Gegenentwurf zur AfD sind? Also alle, die das Weltbild der AfD ablehnen, die müssten doch dann eine politische Heimat in der Linkspartei finden können, aber gerade das passiert doch nicht.

Das verstehe ich jetzt nicht. Dann haben Sie ein seltsames Verständnis von der Parteienlandschaft in Deutschland. Ich glaube nicht, dass der konservative CDU-Wähler, der katholisch geprägt ist, dass der die Linke als sein Weltbild sehen würde. Aber ich unterstelle, dass auch dieser konservativ, katholisch geprägte Mensch eine ablehnende Position zur AfD hat. Deswegen schätze ich ja Thadäus König, den neuen Landtagspräsidenten, so sehr, der in einem konservativ-katholischen Umfeld der Abgeordnete mit den meisten Direktstimmen geworden ist*.

*Anm. d. Autors: Das ist nicht korrekt

Thadäus König holte mit 15.085 Stimmen lediglich die drittmeisten Direktstimmen. Vor ihm liegen Bodo Ramelow mit 15.111 und Christina Tasch (CDU) mit 15.671 Stimmen. Allerdings bekam König prozentual den höchsten Anteil der Direktstimmen.

Der mit den zweitmeisten Direktstimmen sitzt hier vor Ihnen und ist im städtischen Milieu in Erfurt auch von konservativen Menschen gewählt worden, weil die es ablehnen, der AfD Schlüsselposition in die Hand zu geben. Das ist trotz der bittersten Niederlage, mit den rund 13 Prozent, immer noch ein kraftvoller Erfolg gegenüber den Linken in Sachsen oder Brandenburg. Gesamtdeutsch sind wir als Partei im Moment im Erosionsprozess. Das heißt, wir müssen uns erstmal sortieren.

Bodo Ramelow (r, Die Linke), geschäftsführender Ministerpräsident von Thüringen, gratuliert Thadäus König (CDU) zur Wahl als Landtagspräsident während der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags.
Bodo Ramelow (Linke) gratuliert dem frisch gewählten Landtagspräsidenten Thadäus König (CDU). Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Und ja, ich bin dafür, dass wir uns klarer positionieren, wenn es um die Frage Armut und Reichtum geht. Das heißt, ich argumentiere von dem armen Kind und von der Kinderarmut. Das mag das "Neue Deutschland" dann nicht verstehen, dass da drin viel mehr die Klassenfrage steckt. Da ist die Frage, ob die alleinerziehende Mutter das Geld hat, den Pullover zu kaufen, den das Kind bräuchte, um im Winterurlaub mitzufahren. Da nutzt es nichts, wenn der Staat ihnen das Geld für die Reise gibt, wenn der Pullover schon nicht da ist.

Ich bin in Armut groß geworden. Ich kenne Kinderarmut aus eigener Erfahrung, aber weil damals alle Nachbarkinder genauso arm waren, hat diese Armut nie ausgrenzend gewirkt. Heute ist Armut auf bittere Art ausgrenzend und darüber muss meine Partei deutlicher reden. Das ist das Erbe von Lothar Bisky. Der hat nicht vom Klassenkampf geredet, der hat nicht vom Aufbau des Sozialismus geredet. Der hat davon geredet, dass wir die Menschen ernst nehmen, da wo sie sind, und da, wo sie tatsächlich in die Knie gehen.

Wenn ein älteres Ehepaar nicht weiß, wie es die Pflegeheimkosten bezahlen soll, dann merke ich, dass wir als Politik endlich Antworten auf diese Frage geben müssen. Damit diese Menschen keine Angst mehr davor haben, Kinder zu kriegen oder alt zu werden. Denn diese gesellschaftliche Angst, die bedient die AfD mit populistischem Scheiß, und füllt das alles auf mit der Angst vor Ausländern.

Am Freitag ist der Parteitag in Halle. Ist das das, was Sie ihrer Partei da mitgeben werden?

Ich habe gerade schon mal meine Rede geübt. (lacht)

Dann eine letzte Frage, die noch einen Blick in die Zukunft wirft: Welche Politik können die Wähler in Thüringen von der Linkspartei jetzt in den nächsten fünf Jahren hier erwarten?

Diese Gesellschaft braucht Leitplanken, um die Angst überwinden zu können. Angst ist etwas Psychologisches. Diese Leitplanken heißen Bildung und beitragsfreie Betreuung. Ich will ein Bildungssystem, das Menschen stärkt und nicht schwächt. Weg vom Bulimie-Lernen hin zu einem integralen Lernen, auf einem Schulcampus, in dem unterschiedliche Schularten miteinander verquickt werden und wo sich viel früher auf berufliche Qualifikation orientiert wird. Das sind im Übrigen alles Dinge, die wir im letzten Schulgesetz eingebracht haben. Da haben wir die Weichen gemeinsam mit der CDU gestellt und das wäre ein Ansatz, wo ich gerne mit der CDU weiterreden möchte.

Dasselbe gilt für die Krankenhausreform. Da geht es mir nicht um die Frage, was in Berlin gerade geklärt wird, sondern es geht darum, wie kriegen wir das Ambulatorium und die Schwester in den ländlichen Raum? Ich habe das gerade wieder an einem Ort erlebt, da hat der Allgemeinmediziner keinen Nachfolger gefunden. Der gibt die Praxis auf und 1.700 Patienten sind ohne Arzt. In der Nachbarschaft wäre aber ein Krankenhaus, das die Versorgung machen könnte. Das darf es aber nicht, weil die Trennung zwischen ambulant und stationär ein westdeutscher Kram ist, der hier einfach unkontrolliert übernommen worden ist.

Wir müssen die Angstfaktoren dieser Gesellschaft in den Blick nehmen, um dort Leitplanken vorzustellen, damit diese Gesellschaft wieder frei von Angst wird und Zukunftsvertrauen kriegt. Eine solche Gesellschaft fällt dann auch nicht mehr auf Populismus rein.

Vielen Dank für das Interview!

Anm. d. Redaktion: In der Textfassung haben wir das Interview leicht gekürzt und sprachlich redigiert. Die Audiofassung unterscheidet sich daher in manchen Passagen.

Regierungsbildung in Thüringen

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 18. Oktober 2024 | 18:00 Uhr

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