Heimatverein Kartoffelkuchen und Kräuterbitter: Wie Harra am Bleilochstausee seine Gäste begrüßt
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09. Oktober 2023, 11:15 Uhr
Harra hat eine Schiffsanlegestelle an der Saale, am letzten Zipfel des Bleilochstausees. Deshalb kommen in normalen Zeiten oft ganze Touristengruppen per Schiff ins Dorf. Dort bemüht sich eine rührige Truppe Einheimischer darum, die Gäste zu überraschen: mit erstaunlichen Einblicken in die Heimatgeschichte und mit lokalen Köstlichkeiten.
Die Frauen und Männer vom Heimatmuseum-Verein in Harra reden nicht groß darüber. Aber glücklich sind sie nicht gerade über die Bauarbeiten an einer nahgelegenen Saalebrücke. Deshalb ist der Wasserstand im Bleilochstausee stark abgesenkt - Touristen erreichen das Dorf per Schiff aktuell nicht. Aber die Vereinsleute lassen sich nicht davon abhalten, trotzdem Gastfreundlichkeit zu beweisen.
Backtag am Heimatmuseum
Für Helmut Wirth, den Vereinschef, war die Nacht kurz. Die meisten im Dorf schlummerten wohl, er aber heizte ein, damit zwölf Stunden später der Ofen hinterm Heimatmuseum richtig auf Temperatur ist. Denn Harra lädt an diesem ersten Oktobersonntag zum Backtag ein. Zweimal im Jahr gibt es dieses Angebot.
Diesmal werden die Besucher nicht nur kulinarisch überrascht. Zum ersten Mal gibt es auch einen Einblick in ein Haus nebenan. Das hat der Verein mit Fördermitteln aus dem "Leader"-Programm zur Regionalentwicklung erwerben können.
Lebendige Heimatgeschichte in Harra
20 Tage Bau- und Reparaturzeit haben sie schon reingesteckt - mit rund 190 Stunden Freizeitarbeit von Mitgliedern des Vereins, erzählt Claus Walkowiak. Der 77-Jährige zeigt im Erdgeschoss das große Zimmer, das sie so dringend brauchen: Inzwischen sind es 18 Frauen und vier Männer, die sich darum kümmern, dass Heimatgeschichte lebendig bleibt. Für so viele Mitstreiter ist unterm Museumsdach gar kein Platz gewesen. Nun, im Nachbarhaus, können sie auch für ihre Besucher etwas mehr bieten. Oben zum Beispiel - ein Spielzimmer, damit Kinder gut beschäftigt sind, wenn die Erwachsenen etwas länger durch die Museumsräume stöbern. Zu entdecken gibt’s genug.
Mechanikus Horn und die Hirschbein-Möbel
Harra war schon vor einigen Generationen weithin bekannt. Der Mechanikus Horn hatte dafür gesorgt. Mit seinen kunstfertigen Möbeln, die er aus Hirschbein herstellte. Seine Werkstatt mit den alten Werkzeugen und einigen seiner Arbeiten ist bis heute zu sehen. Und auch, wie Spinnerinnen, Klöpplerinnen und Näherinnen für ganze Familien Kleidung und Haushaltwäsche herstellten.
Einmal im Jahr holt der Museumsverein zu einem Handwerker-Tag auch Meister verschiedener Gewerke ins Dorf - und vermittelt anschaulich Wissen über Berufe, die zum Teil schon ausgestorben scheinen. Erinnert wird im Museumskeller auch an ein Kapitel Dorfgeschichte, das sich unter Tage abspielte. Harra war einmal ein Bergbaudorf. Eisenerz wurde gefördert. Und mancher Einheimische entdeckte die Liebe zu Mineralien.
Eine ganze Sammlung davon stellt Claus Walkowiak den Museumsbesuchern gern vor. Sein Kollege Helmut Wirth erzählt, das Harra um die 800 Einwohner hat. Aber Jahr für Jahr kommen vier Mal so viele Besucher ins Dorf. Zu den Handwerker- und Backtagen, oder als Wanderer und Radfahrer, die das Museumshaus entdecken und neugierig sind, was da zu sehen ist.
Verbindungen aus Harra zu Che Guevara
Harra war auch der Lebensort für eine Familie Königsdorf. Aus der stammt eine Helga, die Kennern der DDR-Literatur bekannt sein dürfte. Einige ihrer Bücher stehen jetzt in der Bibliothek im neuen Vereinshaus. Und dort zeigt Claus Walkowiak ein schwarz-weißes Familienfoto. Ganz links in einem hellen Kleid steht Helga Königsdorf, die nicht nur Literatin war. Sie war auch Mathematik-Professorin. Und sie hatte illustre Verwandtschaft.
"Hier die Helga Königsdorf als junge Frau, 18 oder 20 Jahre. Daneben ihr Mann. Und hier seine Schwester, Tamara Bunke“, erzählt Walkowiak. Tamara Bunke? "Ja", sagt er. "Die Tamara Bunke, die die Kampfgefährtin von Che Guevara war." Ein Stück Revolutionsgeschichte aus Lateinamerika - im tiefsten Thüringen. Harra hat mal wieder etwas Unerwartetes …
Kräuterbitter und Kartoffelkuchen
Fest rechnen können die Besucher damit, an beliebte Köstlichkeiten aus der Region erinnert zu werden. Im Museum ist ein alter Laden erhalten geblieben. Mit vielen Reklameschildern von örtlichen Brauereien, Schokoladenmanufakturen, Pflaumenmus-Herstellern und einer alten Drogerie in Hirschberg. Die stellt bis heute einen Kräuterbitter her, im Kaltauszugverfahren, nach einer Rezeptur von 1886. Dieses Schnäpsle verkaufen die Museumsleute. Im Gläschen, aber auch als ganze Flasche.
"Heimat kann man schmecken" - das ist so ein bisschen das Motto an diesem Tag. Hinter dem Museum, am Ofen, da türmen sich inzwischen im Gestell die runden Kuchenbleche: Der Kartoffelkuchen ist fertig. Und gleich kommt noch das Brot in den Ofen. Die Vereinsfrauen schenken Kaffee aus, füllen die Teller mit Kuchenstücken.
Und sie sind an diesem herbstlich-kühlen Backtag dann doch zufrieden: auch ohne Touristenschiffe steht am Kuchenbüfett eine Schlange. Auch diesmal stellen die Männer schnell noch ein paar zusätzliche Bänke und Tische auf. Damit all die Besucher aus Thüringen, Franken und Sachsen Platz finden. Das, was der Heimatmuseum-Verein auf die Beine stellt, ist offenbar längst kein Geheimtipp mehr.
MDR (mm)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 08. Oktober 2023 | 19:00 Uhr
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