Hilfsangebote Vom schwierigen Umgang mit Bedürftigkeit: So funktioniert die Tafel in Mühlhausen
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09. Februar 2023, 18:13 Uhr
Dreimal pro Woche versorgt die Mühlhäuser Tafel Menschen mit Lebensmitteln. Tafelchefin Veronika Broschat setzt auf Gespräche und Wartelisten - und wünscht sich von Politik und Behörden einen anderen Umgang.
Um acht Uhr morgens stehen vor dem roten Gebäude der Tafel am alten Industriebahnhof in Mühlhausen die ersten Kunden. Die Ausgabe beginnt um zwölf Uhr. Außerdem stehen Taschen aufgereiht auf dem Boden; deren Besitzer sind wieder gegangen. Drinnen bereiten zehn Freiwillige des Tafelteams Spenden für die Ausgabe vor. Parallel dazu ist der Tafel-Transporter im Stadtgebiet unterwegs, um von Bäckereien und Supermärkten der Stadt weitere Lebensmittel zu holen.
Die Frauen und Männer leeren in knapp vier Stunden Dutzende Plastikkisten und kontrollieren Obst und Gemüse, lesen schlechte Erdbeeren und Orangen aus. Im Sortierraum wird der Kistenstapel immer kleiner, dafür füllen sich die Regale in den beiden Ausgaben. An einer Pinnwand hängen die Telefonnummern von weiteren Freiwilligen, die auf ihren ersten Tafeleinsatz warten.
Kunden-Listen helfen bei Organisation
Dass genug Spenden zusammenkommen, hängt mit den vielen Lebensmittelketten im Landkreis zusammen. Auch, dass es einen Schlacht- und einen Fruchthof gibt. Dennoch bleibt die Angst der Tafel-Mitarbeiter, dass die gelieferten Spenden nicht reichen.
Deshalb sollen Kunden-Listen helfen, die akribisch genau geführt werden. Dort steht, wie viele Menschen vor der Tafeltür stehen könnten. Wenn genug Lebensmittel da sind, kann Tafelchefin Veronika Broschat sogar zusätzliche Kunden auf die Liste nehmen.
Mitarbeiter sprechen von freundlichen Kunden
Die Kunden seien durchweg freundlich und sehr dankbar, erzählen die Mitarbeiterinnen. Ärger, wie er von anderen Tafeln zu hören gewesen sei, habe es hier noch nie gegeben. Wenn sich draußen erste Schlangen bilden, bringt Nicole heißen Kaffee nach draußen. Dankbar überreichen die Wartenden die 50 Cent. Drinnen wird weiter gepackt, gezählt und durchgeschaut. Vier Euro pro Person müssen die Kunden für einen Warenkorb bezahlen.
Veronika Broschat leitet seit drei Jahren die Tafel. Sie will prüfen, ob jeweils ein Obolus bei bestimmten Waren möglich ist. So macht es etwa die Tafel in Bad Langensalza. Davon könne man die gestiegenen Ausgaben für Verpackung und Benzin bezahlen, sagt Broschat. Derzeit wird das durch Spenden und den kassierten Obolus abgefangen.
Tafel will neue Wege gehen
Broschat will neue Wege gehen. Nicht so einfach, sagt sie. Ein erster Versuch zu Jahresbeginn hat nicht so geklappt, wie sie sich das erhofft hatte: Sie hatte zum Jahresende alle Tafelausweise einbehalten und neue Nachweise für die Bedürftigkeit der Kunden haben wollen.
Die kamen auch prompt - aber eben von allen Kunden, von Neuzugängen und langjährigen Kunden. Absender sind überwiegend das Jobcenter, in Einzelfällen auch die Caritas. Broschat: "Mich ärgert, wenn Kunden mit einer Bestätigung für die Tafel kommen. Unsere Behörden müssen lernen, dass sie nicht einfach Leute zur Tafel schicken können. Wir sind der letzte Baustein, aber kein Versorgungszentrum". Der Zweck der Tafel sei doch, dass keine Lebensmittel weggeworfen werden müssen.
Mehr Ukrainer und Deutsche, weniger Syrer und Afghanen
Mit Beginn des Krieges vor einem Jahr sind viele Ukrainer dazugekommen, sagt Broschat. Zusätzlich seit Oktober 2022 mehr Anfragen von Mühlhäusern. Parallel dazu sei die Zahl der Syrer und Afghanen deutlich zurückgegangen, sie kämen nur noch vereinzelt.
Ukrainer dürfen einmal pro Woche kommen; je eine Gruppe von 100 Menschen am Dienstag und die andere Gruppe am Freitag. Alle anderen Ukrainer stehen auf einer Warteliste. Bevor ein Bedürftiger einen Tafelausweis erhält, spricht Broschat mit ihm.
Menschen legen ihre aktuellen Bescheide vor und erklären, warum sie Hilfe von der Tafel brauchen. "Wir wollen Menschen über einen kürzeren Zeitraum mit der Ausgabe der Lebensmittel helfen. Insbesondere wenn das Geld nicht bis Monatsende reicht", sagt die 59-Jährige.
Einige leben komplett von der Tafel
Bei der Ausgabe ab 12 Uhr steht Broschat selbst vorn in der Tür und bittet die Menschen herein. Ein Blick in die Liste und auf den Tafelausweis, dann wird die bereits gepackte Kiste geholt. Der Kunde kann sich die Beutel vollmachen. Manche holen nur für sich und andere für sieben Personen. Bei der Dienstagsausgabe in dieser Woche konnten fast 300 Menschen versorgt werden. Vor Ort waren 73 Deutsche und 41 Ukrainer.
Einige Kunden leben komplett von der Tafel. Nur Zigaretten und Bier sowie Soße müsse er sich woanders holen, erklärt ein älterer Mann. Eine jüngere Frau kauft nur Sojamilch dazu, weil sie Veganerin ist. Ein junger Ukrainer kommt extra mit dem Bus aus Schlotheim. Jetzt, wo alles teuer sei, sei die Tafel eine wertvolle Hilfe. In der Ukraine gebe es so etwas für Rentner und Familien mit vielen Kindern.
Wunsch nach staatlicher Hilfe
Veronika Broschat wünscht sich, dass sie nicht jede Woche jonglieren muss. Der Staat sollte sich entweder selbst besser um die Bedürftigen kümmern oder die Tafeln besser unterstützen, etwa mit festen Geldbeträgen. In Bayern gebe es einen Festbetrag; das würde den Tafeln auch hierzulande den Druck nehmen.
MDR (jn)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 09. Februar 2023 | 18:25 Uhr
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