Beurlaubung von Guy Montavon Vorwürfe am Theater Erfurt: Experte sieht Fehler bei der Stadt
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22. Januar 2024, 08:59 Uhr
Nach Vorwürfen mutmaßlichen sexuellen Missbrauchs und Machtmissbrauchs am Theater Erfurt hat nun auch eine Anwaltskanzlei Rechts- und Regelverstöße festgestellt. Am Freitag hat die Stadt Erfurt Generalintendant Guy Montavon und Verwaltungsdirektorin Angela Klepp-Pallas beurlaubt. Thomas Schmidt beurteilt im Gespräch mit MDR KULTUR die aktuelle Situation und die möglichen Ursachen. Er ist Mitbegründer des neuen Schauspiels in Erfurt und Professor für Theatermanagement in Frankfurt am Main.
- Der beurlaubte Generalintendant Guy Montavon habe zu sehr seine eigene Karriere in den Mittelpunkt gestellt, sagt Theaterexperte Thomas Schmidt.
- Laut Schmidt trifft die beurlaubte kaufmännische Direktorin Angela Klepp-Pallas keine Mitschuld an den Erfurter Theaterproblemen.
- Auch die Entlassung der Gleichstellungsbeauftragten Mary-Ellen Witzmann sei zu hinterfragen.
MDR KULTUR: Die aktuelle Reaktion der Stadt mit einer Beurlaubung sieht ganz nach einer Notbremse aus. Was halten Sie jetzt von dem Zeitpunkt? Hat man hier zu lange gewartet? Haben Kontrollmechanismen versagt?
Thomas Schmidt: Ja, man hat viel zu lange gewartet. Man hätte diesen Schritt eigentlich schon nach fünf Jahren oder nach zehn Jahren gehen müssen. Damals gab es immer wieder auch Situationen, die darauf hingewiesen haben, dass es ein Regime der Angst am Theater gibt – und zwar einer großen Angst. Die auch dazu geführt haben, dass solche Kontrollmechanismen, wie eine Personalvertretung zum Beispiel oder ein Ensemblevorstand, wie gelähmt waren und ihre Arbeit nicht machen konnten. Montavon war mit seinem Vertrag als eine Art Alleinherrscher eingesetzt. Und die Stadtpolitik hat sich nicht dafür interessiert, was hinter den Türen des Theaters passiert ist – obwohl sie immer wieder darüber informiert worden ist.
Einen möglichen Ausweg aus dieser Situation gab es im Jahr 2020, als es um die Vertragsverlängerung bis 2027 ging. Es gab viel Kritik, unter anderem aus der freien Szene Erfurts. Was stand damals im Raum und wie hat der Stadtrat reagiert?
Es standen viele, viele Aspekte im Raum. Einmal ging es um das Nachlassen der Qualität an der Oper Erfurt. Das war ja bemerkbar, dass die Oper nicht einmal mehr große regionale Bedeutung hatte – geschweige denn die überregionale Bedeutung, für die Herr Montavon angetreten ist. Er hat ja der Stadt verkauft, ich mache aus der Oper Erfurt so etwas wie die Oper in Genf oder in Amsterdam. Und das ist ja nicht geworden.
Dann gab es eben auch ein ganz klares Problem damit, dass Montavon seine eigene Karriere in den Mittelpunkt gestellt hat und nicht die Entwicklung des Theaters und seiner Künstlerinnen. Es ging eindeutig darum, dass die Oper Erfurt das Vehikel für ihn war und nicht umgekehrt. Er hat sich also nicht als ersten Diener der Oper gesehen, sondern die Oper diente ihm.
Und das größte Problem: er hat die Oper sozusagen aus der Stadt herausgespielt. Früher war das Theater ja ganz eng mit der Stadt und den Menschen, den Bürgerinnen verbunden. Das ist heute überhaupt nicht mehr der Fall. Wenn ich meine Kolleginnen vom neuen Schauspiel oder meine Klassenkameraden aus Erfurt spreche, geht keiner mehr in diese Oper, oder kaum jemand, und betrachtet das eigentlich als etwas, was hinter dem Berg geschieht. Nicht nur physisch, sondern eben auch im übertragenen Sinne. Und insofern hatte die freie Szene natürlich großes Recht, sich an den Stadtrat, an die Stadtpolitik zu wenden, hier endlich einmal den Vertrag nicht mehr zu verlängern.
Sie hatten erwähnt, dass Guy Montavon wie ein Alleinherrscher eingestellt worden ist. Wenn es solche Verträge für solche Intendanten gibt, die solche Freiheiten zulassen – ist das denn nicht eigentlich auch ein strukturelles Problem? Vielleicht auch generell der deutschen Stadttheater?
Absolut, das ist es! Ich habe ja in meiner Studie 2019 herausgefunden, bei einer Befragung von 2.000 Kolleginnen und Kollegen aller Theater in Deutschland, dass 55 Prozent aller Künstlerinnen in Deutschland unmittelbar von Machtproblemen betroffen werden. Und dasselbe hatten wir natürlich auch am Theater Erfurt. Und das liegt einerseits daran, dass Montavon eben alleine geherrscht hat.
Auch seine kaufmännische Direktorin trägt hier überhaupt keine Mitschuld. Dass ihr Kopf rollt, ist eigentlich nicht fair, weil Montavon alleine verantwortlich ist, auch für die Finanzen, für die Personalfragen, für alles.
Und der zweite Punkt ist der Vertrag. Er hat einen sogenannten Intendantenvertrag des Bühnenvereins. Dieser Vertrag räumt den Intendanten so viele Rechte und so viel Macht ein! Das werden wir noch sehen, wenn es um die riesige Abfindung geht, die Montavon bekommt. Weil das im Intendantenvertrag nämlich feststeht, dass die Verträge fast voll ausgezahlt werden müssen. Es sei denn, es kommt zu einer außerordentlichen Kündigung, was ich nicht sehe, weil Montavon ja viel zu gut mit der Stadt verbandelt war über die letzten Jahre hin.
Aus der Erfurter CDU-Fraktion heißt es jetzt, auch die Vorgänge rund um die Entlassung der Gleichstellungsbeauftragten Mary-Ellen Witzmann müssten aufgeklärt werden. Wie bewerten Sie das Vorgehen mit ihr und was für Auswirkungen hat so ein Vorgehen – nämlich eine kurzfristige Entlassung – auf Machtstrukturen im Theater?
Die Entlassung von Mary-Ellen Witzmann ist eine politische Farce. Ich verstehe das überhaupt nicht! Eine Gleichstellungsbeauftragte einer Stadt macht ihren Job, der genauso in der Aufgabenbeschreibung steht – und wird dafür entlassen? Das geht nicht. Das muss man jetzt rückgängig machen. Man sollte diesen ganzen Rechtsstreit auch gütig beilegen. Und man sollte sie wieder einstellen, denn sie ist diejenige, die den Stein hier ins Rollen gebracht hat.
Ihr haben wir zu verdanken, dass die Situation jetzt endlich geklärt ist und dass das Theater einen Neustart wagen kann. Und ich würde auch empfehlen, dass in einem solchen System der Intendant nicht mehr der alleinige Herrscher ist, sondern der Generalmusikdirektor, die kaufmännische Direktorin und mindestens noch eine Vertreterin des Ensembles gleichgestellt werden, so dass man dort eine große Leitung hat. Und man sollte eine Ombudsperson einrichten an einem Theater, eine Person, an die sich jede und jeder wenden kann, wenn die Sorgen haben, die nicht vom Intendanten gekündigt werden darf.
Quelle: MDR KULTUR (Thomas Schmidt im Gespräch mit Julia Hemmerling), Redaktionelle Bearbeitung: op
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 20. Januar 2024 | 10:15 Uhr