Organisierte Kriminalität "Koch" aus Niederlanden: Wie in Erfurt das größte Crystal-Labor Deutschlands entstand

23. Februar 2023, 11:09 Uhr

Vor einem Jahr hat das Thüringer Landeskriminalamt das bis heute deutschlandweit größte Crystal-Meth-Labor in Erfurt ausgehoben. Interne Akten zeigen: Die Bande in Thüringen hatte offenbar Hilfe aus den Niederlanden. Doch der Start des Drogenprozesses vor dem Landgericht Erfurt ist unklar.

Der Fall beginnt mit der sperrigen Kennung FQY23P. Sie gehört zu einem Armenier mit dem Namen Grigor S. Er hatte sich offenbar vor einigen Jahren ein sogenanntes Krypto-Handy des Anbieters SkyECC zugelegt. Ein Dienstleister, der für die Gangster dieser Welt einen besonderen Service bot: super-verschlüsselte Mobiltelefone, die von der Polizei nicht zu orten waren. Doch französischen Ermittlern gelang es, die Server der Firma zu knacken - was ihnen bereits bei einem anderen Krypto-Dienst gelungen war.

Suche nach dem Drogen-Labor

Damit beginnt im Sommer 2021 die Geschichte des größten Crystal-Meth-Labors, das bis heute in Deutschland entdeckt wurde - mitten in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Das zeigen interne Akten, die MDR THÜRINGEN einsehen konnte. Die Zahlen sind gigantisch. Nachdem das Labor vor einem Jahr von der Polizei gestürmt worden war, wurden Geräte und Chemikalien sichergestellt. Das Bundeskriminalamt kommt in einer internen Analyse zu dem Schluss, dass dieses Labor in Erfurt sowohl bei Größe als auch bei Professionalität einmalig in der Bundesrepublik sei.

Spur über Krypto-Handys

Eine Tonne der Droge Crystal Meth hätte dort hergestellt werden können, das ging aus der Analyse der vorgefundenen Chemikalien hervor. Diese lagerten Tonnenweise in der Halle. Zudem war der Plan der Bande, bis zu 50 Kilogramm der Droge pro Woche herzustellen und weiterzuverkaufen. Doch aus diesem Plan wurde nichts, da die Ermittler des LKA-Dezernats 62, das für Organisierte Kriminalität zuständig ist, die Daten des SkyECC-Handys von Grigori S. in die Hände bekommen hatte. Bei der Auswertung stellten sie fest, dass dieser offenbar in Kontakt mit einem Stev D. und einem Halil E. stand. Mit beiden machte er anscheinend Drogengeschäfte. Sowohl D. als auch E. nutzten ebenfalls Handys des Anbieters SkyECC und eines weiteren Krypotdienstes mit dem Namen Anom. Dieser war als Lockfalle über Jahre vom amerikanischen FBI betrieben worden.

Offenbar eine Tonne Drogen verkauft

Das LKA beschloss, sich die Daten aus den geknackten Servern zu den Handys von D. und E. ebenfalls über das Bundeskriminalamt zu besorgen. Im Laufe der Auswertung stellten sie fest, dass D. und E. noch den mutmaßlichen Komplizen Stephan P. mit im Boot hatten. Dabei stießen die Ermittler auf ein florierendes Drogengeschäft, das von diesen drei in Thüringen betrieben worden sein soll. Aus den Unterlagen, die MDR THÜRINGEN einsehen konnte, geht hervor, dass sie zwischen Juni 2020 und ihrer Festnahme im Februar 2022 etwa eine Tonne an Drogen verkauft haben sollen. Das meiste davon soll Marihuana gewesen sein. Die Menge dürfte einen Wert von knapp vier Millionen Euro ergeben.

"Koch" aus Niederlanden baut Labor auf

Doch in der Auswertung der geheimen SkyECC- und Anom-Daten stießen die LKA-Fahnder auf noch etwas Größeres, das in den Chats immer nur kryptisch als "Projekt" bezeichnet wurde. Bei einer weiteren Analyse wurde klar, dass die drei offenbar bereits Ende 2020 den Plan gefasst hatten, ein eigenes Drogenlabor aufzubauen. Dazu sollen sie sich aus China die entsprechenden Utensilien und aus Polen die Grundstoffe besorgt haben. Das erste Labor soll die Gruppe in Weißensee im Landkreis Sömmerda aufgebaut haben.

Damit das Ganze anlaufen konnte, nahmen die Männer offenbar Kontakt mit Drogenkartellen in den Niederlanden auf. Von dort sollen sie einen "Koch" geordert haben, der erstens das Labor in Gang bringen und zweitens ihnen dann die Herstellung der Droge erklären sollte. Dieser "Koch" oder in einigen Chats auch "Lehrer" genannte unbekannte Mann soll dann Anfang 2021 aufgetaucht sein. Zwei Tage lang hatte er offenbar mit den künftigen Drogenproduzenten "geübt", so legen es die internen Akten nahe. Dafür soll die Summe von 100.000 Euro für seine Dienstleistung über den Tisch gegangen sein.

Labor wird gestürmt

Doch das Labor soll dann von Weißensee nach Bad Frankenhausen im Kyffhäuserkreis verlegt worden sein. So lesen es die LKA-Fahnder in den ausgewerteten Chats der beiden Haupttäter. Im Herbst 2021 stieg das LKA unter der Leitung der für Organisierte Kriminalität zuständigen Staatsanwaltschaft Gera ein. Es gelang ihnen, bei der Überwachung einen erneuten Umzug von Bad Frankenhausen in ein Industriegebiet von Erfurt zu ermitteln. Am 21. Februar vergangenen Jahres schlugen die Ermittler zu.

Spur zu mexikanischen Drogenkartellen

Was sie fanden, waren riesige Mengen an Grundstoffen für die Herstellung von Crystal Meth. Drogenexperten des Bundeskriminalamtes (BKA) wurden hinzugezogen. Sie stellten fest, dass es sich bei dem bereits produzierten Meth um eine Verbindung handelt, die von niederländisch-mexikanischen Drogenkartellen in Holland produziert wurde. Der Verdacht liegt also nahe, dass der unbekannte "Koch" zu genau so einem Kartell gehören könnte. Zudem werden mehr als zehn Kilogramm fertiggestelltes Crystal Meth gefunden. Rund 100 Kilo sollen bereits dort hergestellt worden sein.

BKA bestätigt Service-Leistungen

Zum Aufbau dieses bisher größten Crystal-Meth-Labors in Deutschland teilte das BKA MDR THÜRINGEN mit, dass nach vorliegenden Erkenntnissen in Europa derzeit die Niederlande weiterhin am stärksten von der illegalen Methamphetamin-Produktion betroffen seien soll. Dennoch werden auch Verdrängungseffekte ins benachbarte Ausland registriert. "Zudem liegen Erkenntnisse vor, dass sowohl das Know-how als auch die notwendigen chemischen Grundstoffe und das Equipment für die illegale Produktion von niederländischen Tätergruppierungen als 'Service' eingekauft werden können", so das BKA.

Start des Prozesses unklar

Doch die juristische Aufarbeitung des Falls vor dem Landgericht Erfurt lässt auf sich warten. Bereits Ende Juli vergangenen Jahres hatte die Staatsanwaltschaft Gera Anklage erhoben. Diese wurde vom Landgericht Erfurt Anfang November zugelassen. Doch bisher bewegt sich nichts in dem Verfahren. Es gibt keinen Termin für den Prozessbeginn, teilte das Landgericht MDR THÜRINGEN mit. Man befinde sich noch in den Abstimmungen mit den Verteidigern - sechs Monate nach Anklageerhebung.

Diese Verzögerung hatte zur Folge, dass gegen die drei Angeklagten zwischenzeitlich die Haftbefehle außer Vollzug gesetzt worden waren. Würden sie nicht wegen des offenbar massiven Drogenhandels im Gefängnis sitzen, wären sie wegen des Betreibens des Labors auf freiem Fuß.

MDR (cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 22. Februar 2023 | 19:00 Uhr

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