Gastronomen in der Corona-Krise Restaurant "Rassmanns" in Erfurt schließt nach 20 Jahren
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15. März 2021, 13:29 Uhr
Die große Insolvenz-Welle steht noch aus, doch gerade in den von Corona besonders gebeutelten Branchen sind Schließungen schon jetzt nicht mehr abzuwenden. Am Sonntag hat das Restaurant "Rassmanns" in Erfurt nach 20 Jahren für immer geschlossen. Es dürfte nicht das letzte gewesen sein, denn die Dehoga fürchtet, dass etwa jede dritte Gastwirtschaft akut bedroht ist.
Es bricht einem das Herz, mit anzusehen, wie Ulrich Rassmann seine Gäste zum letzten Mal aus seinem Restaurant verabschiedet. "Bestellen Sie Ihrem Gatten und der Tochter die besten Grüße", sagt er und überreicht einer älteren Dame eine Papiertüte mit den gut verpackten Speisen. "Es tut uns so leid", sagt sie und drückt ihm Geld in die Hand, "Sie werden uns sehr fehlen. Nein, lassen Sie gut sein, der Rest ist für Sie." Rassmann ist sichtlich gerührt und hält ihr die Tür auf. "Vielen Dank, dass Sie über so viele Jahre unsere Gäste waren."
Dann ist sie fort und mit ihr ein weiterer Stammgast, den Ulrich Rassmann 20 Jahre lang in der historischen Sackpfeifenmühle an der Langen Brücke in Erfurt bewirten durfte. Präteritum - Vergangenheit - denn das ist nun vorbei. Das "Rassmanns" schließt für immer.
Ein Leben lang Gastwirt
Dass der berufliche Werdegang des gebürtigen Erfurters so enden würde, hätte er bis vor einem Jahr nicht für möglich gehalten. Eigentlich wollte der 66-Jährige noch gar nicht aufhören. Gern hätte er sein Restaurant noch ein paar Jahre weitergeführt. Aber die momentane Situation habe es erforderlich gemacht, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen. "Es ist schmerzlich. Ich habe das immer mit sehr viel Herzblut betrieben", sagt er nachdenklich und lässt seinen Blick über die vielen leeren Tische schweifen.
Ulrich Rassmann hat sein Leben der Gastronomie gewidmet. Nach einer Ausbildung zum Kellner arbeitete er viele Jahre als Barmixer, ehe er leitender Angestellter der "Regina-Bar" im "Erfurter Hof" wurde. 1995 machte er sich dann selbstständig und übernahm 2001, zusammen mit einem Partner, das Restaurant in der Sackpfeifenmühle. "Tolle Knolle", hieß es damals. Seit 2010 führte Rassmann das Restaurant allein und überzeugte seine Kundschaft mit einer gehobenen deutschen Küche, die mit der Saison wechselte.
Das "Rassmanns" war auch deshalb so beliebt, weil hier eine familiäre Atmosphäre herrschte. Rassmanns Frau Conny half im Service, alle acht Mitarbeiter brachten sich mit ein. "Das war immer echte Teamarbeit bei uns", sagt Rassmann stolz. "Jeder konnte seine Ideen einbringen und die Speisekarte mitgestalten. Die Gerichte wurden sogar nach den Mitarbeitern benannt." Die Gäste bestellten dann "Jessi's Grillhaxe", "Conny's Pikata" oder "Max's im Whiskeysud geschmorte Ochsenbäckchen".
Eine Branche ohne Personal und Perspektive
Das ist nun Vergangenheit. Seinen letzten beiden verbliebenen Mitarbeiterinnen hat Ulrich Rassmann vor Kurzem einen neuen Job besorgt. Die anderen hätten sich schon vorher verabschiedet, weil sie nicht länger nur mit dem Kurzarbeitergeld über die Runden kommen wollten. "Ich kann es ihnen nicht verdenken. Das geht all meinen Branchenkollegen so: Die Leute laufen ihnen weg", sagt Rassmann. Die Corona-Pandemie vernichtet die Gastronomie nicht nur finanziell, sie verschärft den ohnehin großen Fachkräftemangel. In der Krise hat sich ein großer Teil des Service- und Küchenpersonals umorientiert.
Hinzu kamen die strengen Infektionsschutzregeln: "Ich bin doch faktisch gar nicht mehr selbstständig. Ich werde nur noch beauflagt! Die sagen mir: Tu dies, tu das, stell da gefälligst noch Desinfektionsmittel hin", sagt Rassmann und führt hypothetisch weiter aus: "Wenn ich aufmachen dürfte, dann müsste ich Termine machen, Kontakte verfolgen und vor dem Essen noch den Schnelltest kontrollieren. Wer soll das denn alles machen, wenn kein Personal mehr da ist?"
Einnahmeausfälle von bis zu 300.000 Euro
Das größte Problem seien aber die Finanzen, die sich trotz Kurzarbeitergeld und Hilfspakete in den letzten Monaten rapide verschlechterten. Denn viele Kosten laufen einfach weiter. "Der Gema oder Berufsgenossenschaft ist die Corona-Krise egal, die schicken weiter ihre Rechnungen", sagt Rassmann zähneknirschend.
Ich werde dann vermutlich Sozialhilfe beantragen.
Das "Rassmanns" ist ein mittelgroßes Restaurant mit einer Fläche von 200 Quadratmetern. Vor Corona aßen und tranken hier durchschnittlich 50 Gäste pro Tag. Zum Vergleich: Zwischen 5 und 15 Mahlzeiten verkaufte das Restaurant täglich an Selbstabholer während des Lockdowns. Die Getränke entfielen dabei komplett. Demgegenüber stehen monatliche Kosten von bis zu 5.000 Euro - ohne Gehälter und ohne den eigenen Lebensunterhalt. Im zurückliegenden Jahr musste er Einnahmeausfälle von 200.000 bis 300.000 Euro hinnehmen, schätzt Rassmann. Immer wieder musste er sein Erspartes antasten, auch weil in den Corona-Hilfen kein Lebensunterhalt für die Unternehmer vorgesehen ist. "Das Durchgebrachte, was meine Frau und ich für unsere Rente gespart haben, ist jetzt aufgebraucht."
Seine letzte Hoffnung ist nun der Verkauf des Restaurants. Was nach Steuerabgaben und dem Bezahlen der letzten Verbindlichkeiten bleibt, ist sein Notgroschen für die Rente. Denn auch wenn Rassmann ein Leben lang gearbeitet hat, ist er von Altersarmut bedroht: "Als Selbstständiger beziehe ich eine Rente von 670 Euro. Das reicht nicht mal für die Miete und die Krankenversicherung. Ich werde dann vermutlich Sozialhilfe beantragen."
30 Prozent der Gastbetriebe gefährdet
"Ulrich Rassmann ist kein Einzelfall", sagt Dirk Ellinger, Hauptgeschäftsführer der Dehoga Thüringen. "Ich kann ihn gut verstehen, denn der Branche fehlt jede Perspektive." Gastwirte die bis jetzt durchgehalten haben, würden mit den neuen Corona-Verordnungen wieder bis nach Ostern vertröstet. "Das ist nach Weihnachten die wichtigste Zeit des Jahres. Die Gastwirte sind frustriert und die Stimmung ist kurz vor der Explosion!"
Die Stimmung ist kurz vor der Explosion
Laut Ellinger gebe es keine belastbaren Zahlen, aber anhand der Gewerbeabmeldungen und der Kündigungen der Mitgliedschaft im Hotel- und Gaststätten Verband müsse er davon ausgehen, dass etwa 30 Prozent der Gastbetriebe vom Markt verschwinden werden. Hinzu käme, dass tatsächlich viele Fachkräfte der Branche den Rücken kehren. Auch hier gebe es keine belastbaren Zahlen betont Ellinger, aber die Abwerbeversuche aus anderen Branchen seien mindestens spürbar. So hätte beispielsweise der Lebensmitteldicounter Lidl aktiv bei Facebook um Mitarbeiter aus dem Gastrobereich geworden. Inzwischen hat Lidl die Werbung gelöscht, weil Slogans wie "Bar war gestern" und "Freu dich auf einen sicheren Job" massive Kritik nach sich zogen.
Loslassen, auch wenn es sehr weh tut
Ulrich Rassmann scheint inzwischen seinen Frieden mit der Geschäftsaufgabe gemacht zu haben. Nächtelang habe er wachgelegen und gegrübelt, wie die Rechnungen zu bezahlen seien. Doch mit jedem Tag und jeder Woche, die verging, reifte in ihm die die Erkenntnis, dass er sein geliebtes Restaurant loslassen müsse.
"Seitdem schlafe ich nachts wieder. Mit der Entscheidung zu schließen, ist eine große Last von mir abgefallen", sagt Rassmann und freut sich sogar ein bisschen auf seinen Ruhestand. Bis zum 31. März will er sein Unternehmen abgewickelt haben, dann verkauft er das Restaurant und dann war es das. "Ich möchte mit meiner Frau noch ein paar glückliche Jahre verleben können. Deswegen lass ich lieber jetzt los, auch wenn es sehr weh tut."
Was es gebraucht hätte, um weiterzumachen, frage ich ihn zum Abschluss unseres Gesprächs. Ulrich Rassmann überlegt nicht lange: "Es hätte eine größere finanzielle Unterstützung gebraucht. Ganz klar." Dann macht er eine Pause, ehe sich doch sein Frust bahnbricht: "Und eine einfachere Organisation. Wie weiß ich nicht, aber dafür gibt es doch Leute, die gut verdienen, damit die sich darum kümmern. Aber die haben scheinbar zu viel damit zu tun, nebenher Masken zu verkaufen."
Quelle: MDR THÜRINGEN
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