Justiz Landgericht Erfurt setzt rechte Aktivistin als Schöffin ein

14. Januar 2023, 07:00 Uhr

In einem Prozess gegen mutmaßliche Schleuser setzt das Landgericht Erfurt eine Schöffin ein, die rechte Demos organisiert und an einem NPD-Treffen teilgenommen hat. Die Vereinigung der Ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Mitteldeutschlands ruft die Justiz zum Handeln auf. Das Landgericht schweigt zu dem Fall.

Zum Prozessauftakt Anfang Januar im Erfurter Landgericht macht die Schöffin einen eher unscheinbaren Eindruck. Gitta Kritzmöller im grauen Blazer richtet ihre schwarze Leselampe neu aus und mustert die anderen Prozessbeteiligten. Deutlich agiler zeigt sich die Mathematik- und Physiklehrerin bei Demonstrationen, die sie anmeldet und mitorganisiert. Im November beispielsweise hatte Kritzmöller eine Kundgebung vor dem Erfurter Landtag bei der Stadt angemeldet - für 10.000 Personen.

Bekannte Rechte zu Gast

Zur Demonstration erschien ein regelrechtes Who-is-Who der extremen Rechten. Vor rund 2.000 Menschen, die schließlich vor den Landtag gekommen waren, traten als Redner auf: Björn Höcke, dessen AfD-Landesverband vom Thüringer Verfassungsschutz als "erwiesen rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft wird; Jürgen Elsässer, Herausgeber des "Compact Magazins", das das Bundesamt für Verfassungsschutz als "gesichert extremistische Bestrebung" einstuft; Lutz Bachmann von der Dresdner Pegida-Bewegung sowie Martin Kohlmann von der Regionalpartei "Freie Sachsen". Beide Zusammenschlüsse stuft der sächsische Verfassungsschutz als "gesichert extremistisch" ein. Als stellvertretender Versammlungsleiter fungierte in Erfurt ein bekannter und mehrfach vorbestrafter Rechtsextremist aus Gera.

Schöffenverband ruft Justiz zum Handeln auf

Vor diesem Hintergrund ruft die Vereinigung der Ehrenamtlichen Richterinnen und Richter Mitteldeutschlands die Thüringer Justiz zum Handeln auf. Es sei "Aufgabe der Justiz, bei gröblichen Pflichtverletzungen gegen amtierende Schöffen einzuschreiten", teilt Verbandsvorstand Marko Goschin auf MDR-THÜRINGEN Anfrage mit: "Wir würden es begrüßen, wenn die Verantwortlichen rasch tätig würden." Goschin, ein erfahrener Schöffe an sächsischen Landgerichten, verweist dazu auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das "die Pflicht zur Verfassungstreue der ehrenamtlichen Richter" herleite.

Im Fall einer "gröblichen Amtspflichtverletzung" könne ein Schöffe des Amtes enthoben werden, teilt Goschin mit. Als Beispiel nennt der Verbandsvertreter die "Ablehnung der freiheitlichen, demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Ordnung" durch einen Schöffen, "indem er die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat, die Geltung des Grundgesetzes und des einfachen Rechts sowie die Legitimität der handelnden Gerichte und Behörden" bestreite.

Verhalten außerhalb des Gerichtssaals berücksichtigen

Darüber hinaus betont Marko Goschin, dass auch "das Verhalten ehrenamtlicher Richter außerhalb des Gerichtssaals bei der Beurteilung seiner Amtspflicht zu berücksichtigen" sei. "Hierzu gehört das Gebot zu Mäßigung und Zurückhaltung, das hier ebenfalls verletzt zu sein scheint."

An NPD-Netzwerktreffen teilgenommen

Bei dem Strafprozess in Erfurt, an dem Gitta Kritzmöller aktuell als Schöffin teilnimmt, geht es um zwei Männer und eine Frau. Die Staatsanwaltschaft Erfurt wirft ihnen vor, insgesamt 107 Ausländern aus Nicht-EU-Staaten illegal Jobs in Deutschland verschafft zu haben. Viele sollen im Raum Erfurt bei unterschiedlichen Firmen gearbeitet haben.

Öffentlich politisch engagiert sich Gitta Kritzmöller nach Recherchen von MDR THÜRINGEN erst seit wenigen Jahren. Anlass dafür waren offenbar die Corona-Schutzmaßnahmen. Im September 2022 nahm sie an einem Netzwerktreffen der NPD in Eisenach teil. Die Partei wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als "rechtsextremistisch" eingestuft.

An diesem Treffen hatte auch Frank Haußner von der verfassungsschutzrelevanten Vernetzungsplattform "Freies Thüringen" teilgenommen. Haußner zählt zum Demo-Organisationsteam Kritzmöllers und beschreibt sich selbst als Anhänger von Heinrich XIII. Prinz Reuß. Der in Thüringen bekannte Adelige wurde im Dezember im Zuge einer Großrazzia im Reichsbürger-Milieu verhaftet.

Bundesjustizminister plant Gesetzesverschärfung

Schöffen sind ehrenamtliche Richter, die an Strafverfahren teilnehmen. Dabei haben sie die gleichen Stimmrechte wie Berufsrichter. Für das Amt bewerben kann sich jeder Deutsche zwischen 25 und 69 Jahren. Gewählt werden die Laien auf fünf Jahre. In diesem Jahr finden wieder Schöffenwahlen statt.

Extremisten in der Justiz beschäftigen die Bundespolitik schon seit mehreren Jahren. Anlass dafür boten mehrfach Juristen, die sich für die AfD engagierten, oder die Neonazi-Partei NPD, die ihre Anhänger ausdrücklich dazu aufrief, als Schöffen tätig zu werden. Deswegen arbeitet Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) derzeit an einer Gesetzesverschärfung.

Laut einem Bericht der Thüringischen Landeszeitung soll Paragraf 44 des Richtergesetzes geändert werden. Dem Blatt zufolge heißt es in dem Gesetzesentwurf aus Buschmanns Ministerium: "Eine explizite gesetzliche Verankerung macht die Pflicht der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zur Verfassungstreue besser sichtbar." Derzeit befinde sich Buschmanns Vorlage in der Ressortabstimmung.

"Schmutzige Bombe"

Gitta Kritzmöller hat auf eine ausführliche Anfrage von MDR THÜRINGEN nicht reagiert. Offen bleiben deswegen auch Fragen nach einem Kanal im Messenger-Dienst Telegram, der nach MDR-Recherchen mutmaßlich von der Aktivistin betrieben wird. Dort werden etwa russische Falschinformationen zum Krieg in der Ukraine verbreitet. In einem Text war die Rede von einer "schmutzigen Bombe". Das "Kiewer Regime" plane "eine Provokation mit einem mit radioaktiven Stoffen gefüllten Sprengsatz", hieß es. Die mutmaßlichen Betreiber des Kanals schrieben über diesen Text: "Achtung, hier wird was vorbreitet".

Zu einem weiteren arg krude wirkenden Text, der gespickt ist mit im Reichsbürger-Milieu beliebten Positionen ("Das 'BRD'-System hat kein Staatsgebiet"), wurde notiert: "Mal bissl Staatsbürgerkunde. Das sollte allen Deutschen bekannt sein. Isses aber nicht."

Landgericht ignoriert MDR-Anfragen

Die Taten des mutmaßlichen Schleuser-Trios, über die Kritzmöller nun als Laien-Richterin mitentscheidet, sollen sich in den Jahren 2018 und 2019 ereignet haben. Ursprünglich drohten den drei Angeklagten mehrjährige Haftstrafen. Zum Prozessauftakt allerdings stellte der Vorsitzende Richter Bewährungsstrafen in Aussicht, sollte das Trio Geständnisse ablegen. Verhandlungstage sind bis Mitte Februar angesetzt.

Zur weiteren Rolle von Gitta Kritzmöller in diesem Strafverfahren hat die Pressestelle des Landgerichts Erfurt mehrere MDR-Anfragen ignoriert. Somit bleibt vorerst offen, an wie vielen Strafverfahren die rechte Aktivistin in der Vergangenheit teilgenommen hat und wie viele Nicht-EU-Ausländer dabei eine zentrale Rolle spielten.

MDR (ifl)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. Januar 2023 | 07:00 Uhr

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