Landesparteitag Wahlkampfvorbereitung: Thüringer Linke klärt Haltung zum russischen Angriffskrieg
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23. April 2023, 17:27 Uhr
Auf ihrem Landesparteitag in Sömmerda haben die Thüringer Linken die Weichen für den kommenden Landtagswahlkampf gestellt. Ministerpräsident Bodo Ramelow will für die Fortsetzung der rot-rot-grünen Koalition kämpfen, lehnt eine Koalitionsaussage aber ab. Außerdem verständigten sich die Linken auf eine gemeinsame Haltung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Es war um die Stunde zehn der 3. Tagung des 8. Landesparteitags der Thüringer Linkspartei, als im Volkshaus Sömmerda dann doch die Planwirtschaft ausgerufen wurde. Ursache war, wie so oft in der Geschichte, der Mangel. In diesem Fall konkret der Mangel an Bockwürsten. Am Abend eines langen Debattentages hatte die Küche im Volkshaus nur noch 40 Würste nebst Brötchen und Senf bereit - im Saal waren aber über 100 hungrige Delegierte. Für die übrigen wollte das Küchen-Kollektiv Pizza bestellen: "Eine Familienpizza pro zehn Delegierte", rief ein fröhlicher Jung-Linker vom Orga-Team am Mikrofon, "Planwirtschaft! Jeder nach seinen Bedürfnissen!"
Ob wenigstens dieser Plan funktioniert hat, die Hungrigen zu speisen? Das ging ein bisschen unter in der Diskussion um die Haltung der Thüringer Linken zum Krieg in der Ukraine. Das Thema spaltet die Partei auf Bundesebene, in Thüringen aber wohl nicht. Der Parteitag stimmte nach einer straff geführten Debatte dem Ukraine-Antrag des Landesvorstands zu - ein in langen Vorbereitungssitzungen ausgetüftelter Kompromissvorschlag, weit gespannt und hinreichend auslegbar. Die Verantwortung für den Angriffskrieg liegt einzig und allein bei Russland, als angegriffener Staat hat die Ukraine jedes Recht zur Verteidigung, heißt es dort.
Kritischer Blick auf und am liebsten keine Waffenlieferungen
Und die westlichen Waffenlieferungen? Die werden "kritisch gesehen". Viele Textzeilen weiter findet sich auch das Wort "Ablehnung", aber dezent versteckt. Umso wortgewaltiger geht es dann aber um Aufrüstung der Bundeswehr ("lehnen wir ab"), Völkerrecht ("muss beachtet werden") und Frieden ("dauerhaft nur mit Verhandeln und Diplomatie"). Solche Formulierungen ändern natürlich kein bisschen an Tod und Zerstörung in der Ukraine. Aber sie dienen dem Frieden in der Thüringer Linken. "Ich kann jedes Wort unterschreiben", hatte Linken-Frontmann Bodo Ramelow am Ende seiner fast anderthalbstündigen Rede gesagt - bekannterweise ist "der Bodo" ein Befürworter konsequenter Hilfe für die Ukraine.
"Aber auch wir in Gera können mit dem Ergebnis leben", sagt Max Streckhardt vom linken Kreisverband Gera. Die Genossen aus der Ex-Bezirksstadt gelten im Konzert der Thüringer Linken als orthodox, aber eben auch als meinungsstark; sie waren auch mit einem ganzen Bus voll zur Alice-Schwarzer-und-Sahra-Wagenknecht-Demo nach Berlin gefahren. Wenn nicht wenigstens einmal das Wort "Ablehnung" im Antragstext aufgetaucht wäre, dann hätte Gera nicht zugestimmt, sagt Streckhardt.
Welche Rolle spielt das kapitalistische Wirtschaftssystem?
Andere bleiben beim Nein. Mehrere Delegierte, unter ihnen der Erfurter Stadtverbandschef Steffen Kachel und Gerhard Pein von der kommunistischen Plattform, hatten Änderungswünsche eingebracht. Sie sehen die Verantwortung für den Krieg auch bei der Nato oder allgemein im "kapitalistischen Wirtschaftssystem" - auch wenn ihre Anträge im Vorfeld des Parteitags die Nervosität im Linken-Vorstand hatte steigen lassen - Mehrheiten fanden sie letztendlich nicht.
Überhaupt sei der Streit über die Rolle Russlands bei den Miseren der Gegenwart eher ein Konflikt der Linken im Bundestag, sagt die Thüringer Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Sie ärgert sich über die kontroversen Zwischenrufe ihrer Bundestagskollegin Sahra Wagenknecht - so wie Bodo Ramelow ("geht mir auf die Ketten") oder Linken-Bundeschef Martin Schirdewan ("diese Leute beschädigen die Arbeit von Genossen vor Ort") in ihren Redebeiträgen. Wagenknecht geht es nach Ansicht von Renner gar nicht mehr um die Linke, sondern um ihr eigenes Projekt, die Wagenknecht-Partei. Und um den Verkauf ihrer Bücher.
"Wagenknecht nimmt Linke in Geiselhaft"
Dafür nutze Wagenknecht geschickt die Ressourcen der Bundestagsfraktion, hat Renner beobachtet; und nimmt mit ihren Getreuen in Kauf, dass die ganze Partei auf Bundesebene als zerstrittener Hühnerhaufen erscheint. "Wir können kaum etwas dagegen tun". Partei-Ausschlüsse sind, siehe Thilo Sarrazin oder Hans-Georg Maaßen, schwierig. Und: Wenn nur drei Abgeordnete die Bundestagsfraktion verlassen, dann ist der Fraktionsstatus flöten und die Linken werden zur parlamentarischen Gruppe, was weniger Geld und weniger Mitarbeiter bedeutet, da weiß die FDP im Thüringer Landtag ein traurig' Lied zu singen. Die Linken warten also zähneknirschend, ob und wann Wagenknecht von selbst austritt. Währenddessen wächst der Frust. Da fühlt man sich als linke Abgeordnete, so Renner, "wie in Geiselhaft".
Die Thüringer Linke in Zahlen
(Stand 01.04.2023)
- 3.424 Mitglieder (-446 zu 01.01.2022)
- Frauenanteil: 42 Prozent
Altersverteilung:
- U35 = 19 Prozent
- Mittleres Alter = 30 Prozent
- Ü65 = 51 Prozent (davon 23 Prozent über 80 Jahre)
MDR (usb/cfr)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 23. April 2023 | 19:00 Uhr
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