Das Gebiet um den Truppenübungsplatz in Ohrdruf
Bildrechte: MDR/Jörg Pezold

75 Jahre Kriegsende Die Befreiung des Zwangsarbeitslagers Ohrdruf

Das erste grausame Fund der deutschen Kriegsverbrechen

30. März 2020, 17:52 Uhr

Die Amerikaner fanden das Lager in Ohrdruf von der SS verlassen am 4. April 1945. Kurz zuvor wurden viele der Insassen aus dem Lager getrieben. Zurück blieben wenige Überlebende, Tote und Spuren der Verbrechen.

Als am 5. April 1945 die ersten amerikanischen Soldaten der 3. Armee in Ohrdruf eintrafen, trauten sie ihren Augen nicht. Am Ortsrand, auf einem Truppenübungsplatz, stießen sie auf ein Konzentrationslager. Dass es solche Lager im Dritten Reich gab, wussten sie. Aber auf das, was sie hier entdeckten, waren sie nicht vorbereitet. Hinter Stacheldraht lagen überall Leichen: verbrannte Leiber auf einem Rost aus Eisenbahnschienen, Gliedmaßen ragten aus teilweise geöffneten Massengräbern, in einer Baracke stapelten sich ausgehungerte Körper und mitten auf dem Appellplatz lag eine Gruppe erschossener Häftlinge. Die überlebenden Häftlinge waren ausgemergelt und am Ende ihrer Kräfte. Es war das erste KZ, auf das die GIs bei ihrem langen Marsch von der Normandie bis nach Mitteldeutschland stießen. Für sie war es war ein Schock.

Das Ohrdrufer Lager war ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald. Unter der Bezeichnung S III war das Camp im November 1944 auf dem Truppenübungsplatz zwischen Ohrdruf, Crawinkel und Arnstadt errichtet worden. Die Häftlinge sollten im benachbarten Jonastal Stollen in die Erde treiben, um ein Rückzugsgebiet für die Nationalsozialisten zu errichten. Möglicherweise sollte dort kurz vor Kriegsende auch ein neues Führerhauptquartier entstehen. Mehr als 20.000 Häftlinge wurden dafür zusammengetrieben, obwohl keine Aussicht bestand, das Projekt zu beenden. Die Häftlinge kamen aus ganz Europa, vor allem aus Russland, Polen und Ungarn. Nach Angaben der Gedenkstätte Buchenwald starben innerhalb kürzester Zeit mehr als 7.000 von ihnen an den unmenschlichen Bedingungen im Lager und auf den Baustellen. Die meisten der Hätflinge waren jedoch zwischen dem 1. und 4. April 1945 per Fußmarsch in Richtung Buchenwald getrieben worden, Tausende fanden dabei den Tod.

Einer der GIs, der im April 1945 bei der Befreiung des Lagers in Ohrdruf dabei war, war Charles Thomas Payne. Der damalige, junge Gefreite hat den Anblick der Leichen auch 60 Jahre später nicht vergessen. In einem Zeitungsinterview erzählte der Großonkel von US-Präsident Barack Obama: "Dann kamen wir zu dem Lager mit dem großen, hölzernen Tor und dem Stacheldrahtzaun. Zuvor an jenem Tag hatten die Wachen Gefangene zusammengetrieben und mit Maschinengewehren niedergemäht, nahe am Eingang des Lagers. Sie hielten alle ihre Trinktassen noch in den Händen, so, als ob man sie zum Essen gerufen hatte. Im Lager waren noch mehr Leichen, man hatte ihnen die Kleider ausgezogen und sie aufeinandergestapelt, zu großen Haufen. Sie waren verhungert. Ich hätte mir vorher so etwas nie vorstellen können."

General Patton versammelte seine obersten Generäle in Ohrdruf. Gemeinsam berieten sie, wie mit dem Lager und möglichen weiteren umzugehen wäre. Sie entschieden sich, den grausamen Fund der nationalsozialistischen Verbrechen für die Weltöffentlichkeit genau festzuhalten. Die Nachrichtentruppe der US-Army, das sogenannte Signal Corps, kam umgehend nach Ohrdruf, um das Grauen zu dokumentieren. Die Fotos und Filmaufnahmen zeigen die Leichenberge und fassungslose GIs, die durch die Reste des Lagers streifen. Den Kriegsberichterstattern ging es bei ihren detaillierten Aufnahmen nicht um Sensation, sondern um Dokumentation.

Die Nachrichten über die Entdeckungen in Ohrdruf erreichten schnell die USA. Bereits am 9. April berichtete die "New York Times" unter der Überschrift "3D Army overruns Reich 'Death Camp'". In dem Bericht wurde beschrieben, was die Soldaten in Ohrdruf vorgefunden hatten. Gleichzeitig berichtete das Blatt über eine erste Aktion der Amerikaner: 28 deutsche Anwohner mussten das Lager besichtigen. Alle behaupteten, dass sie von den Vorgängen im Lager nichts gewusst hätten. Der Bürgermeister und seine Frau nahmen sich nach dem Besuch des Lagers das Leben. Am gleichen Tag berichtete die "Washington Post" vom "Horror Camp" und dem Rundgang der deutschen Anwohner. Seit diesem Tag gab es in der amerikanischen Presse immer wieder Berichte über das Lager. Soldaten besuchten das Lager, möglichst viele Menschen sollten die Verbrechen mit eigenen Augen sehen.

Am 12. April kam General Dwight D. Eisenhower nach Ohrdruf, um sich einen eigenen Eindruck von dem Lager zu verschaffen. Er kannte die Berichte. Trotzdem war er erschüttert: "Ich hätte mir nie träumen lassen, dass so viel Grausamkeit, Bestialität und Rohheit in dieser Welt existieren könnte. Es war furchtbar", schrieb er an seine Frau. Wenig später schlug Eisenhower vor, amerikanische und britische Journalisten nach Thüringen zu bringen, um ihnen das Grauen in den befreiten Konzentrationslagern zu zeigen. Sie sollten anschließend der Welt darüber berichten, was nationalsozialistische Verbrechen ausmacht. Die Berichte sollten aber auch eine Botschaft an die Heimat und die eigenen Soldaten sein: Seht her, weshalb wir hier in Europa kämpfen! Präsident Harry S. Truman, der erst wenige Tage im Amt war, stimmte Eisenhowers Vorschlag sofort zu. Am 25. April besichtigte die Journalisten-Delegation das am 11. April befreite KZ Buchenwald bei Weimar.

Die Filme und Fotos von Ohrdruf und Buchenwald haben die Bilder vom nationalsozialistischen Deutschland bis heute in der westlichen Welt geprägt. Diejenigen, die die Lager selbst gesehen haben, haben sie nie vergessen.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 05. April 2020 | 18:00 Uhr

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