Beitrag zur Gleichberechtigung? Wenn Menstruieren politisch wird: Thüringer Studierende fordern kostenlose Tampons und Binden
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17. Februar 2023, 18:00 Uhr
An Thüringer Hochschulen wird die weibliche Menstruation zunehmend zum Politikum. Viele Studierende sehen in der Bereitstellung kostenloser Menstruationsprodukte einen wichtigen Beitrag zur Gleichberechtigung von Frauen. Während die Hochschule Nordhausen mit gutem Beispiel vorangeht, stoßen die Forderungen der Studierenden an der Dualen Hochschule Gera-Eisenach auf Widerstand. Wird die Menstruation nun politisch?
Ob auf Arbeit, im Restaurant, an Schulen oder beim Amt – auf öffentlichen Toiletten in Deutschland ist Klopapier fast überall kostenlos. Dass man es sich nicht von zuhause mitbringen muss, ist eine Selbstverständlichkeit. Klopapier erfüllt schließlich ein hygienisches Grundbedürfnis. Doch warum gilt das nicht auch für Tampons und Binden?
Die Hälfte der Bevölkerung menstruiert. Es ist ein natürlicher Vorgang, der mit einem Hygienebedürfnis einhergeht - nicht anders als die fäkale Biopause. Trotzdem dürfen Männer auf öffentlichen Toiletten nicht nur Klopapier, sondern meist sogar ein (im Grunde genommen überflüssiges) Pissoir erwarten, während Frauen in der Regel weder Tampons noch Binden vorfinden – ist das nicht unfair oder gar diskriminierend?
Hochschule Nordhausen startet Pilotprojekt
Die Periode kann plötzlich kommen. Mitten in der Vorlesung, eingezwängt zwischen langen Stuhlreihen voll mit Menschen. Eine unangenehme Situation für Frauen sowie Menschen, die sich nicht als solche identifizieren, und dennoch menstruieren. Panik steigt auf, die Gedanken rasen. Wird die Wäsche schmutzig? Woher bekomme ich eine Binde? Wie komme ich zwischen all den Menschen hier raus?
"Im schlechtesten Fall müssen Betroffene die Lehrveranstaltung verlassen und sich zuhause Periodenprodukte holen. Das ist ein Ungerechtigkeitsfaktor im Bildungswesen", sagt Professorin Sabrina Schramme für Inklusive Pädagogik und Diversitätsbeauftragte der Hochschule Nordhausen. Ungerecht, nicht nur an Hochschulen, sondern auch an Gymnasien und Regelschulen.
Im schlechtesten Fall müssen Betroffene die Lehrveranstaltung verlassen und sich zuhause Periodenprodukte holen. Das ist ein Ungerechtigkeitsfaktor im Bildungswesen.
Christiane Oeftiger hatte die Idee zum Pilot-Projekt als Lehrerinnen ihr davon erzählten, wie oft sie mit Schülerinnen konfrontiert sind, die keine Periodenprodukte dabeihaben. So entstand "HSN cares" (Hochschule Nordhausen kümmert sich). Heute engagieren sich insgesamt acht Menschen dafür, die meisten davon sind Studentinnen. Die Lösung klingt denkbar einfach. Kostenlose Hygieneprodukte auf dem Campus. Doch so einfach ist das nicht.
Ein schlichtes Körbchen
Was ein Klopapierhalter ist und wo er montiert wird, weiß jedes Kind. Doch für systematisch platzierte Periodenprodukte an öffentlichen Orten gibt es keine vergleichbaren Erfahrungswerte. Christiane Oeftiger und Sabrina Schramme brauchten ein Konzept: "Die Zugänglichkeit war für uns das Entscheidende. Sollen die Produkte in den Kabinen platziert werden oder im Vorraum. Auf welcher Höhe sollen sie angebracht werden und in welcher Form überhaupt?", sagt Oeftiger.
Das Ergebnis ist ein schlichter Kunststoffkorb. Er hängt neben den Waschbecken auf Hüfthöhe, damit auch Rollstuhlfahrerinnen hineingreifen können. Nicht nur auf Damenklos sind sie platziert, sondern auch auf geschlechtsneutralen Toiletten, die es auf dem Campus gibt. "Damit stellen wir sicher, dass auch Menschen mit Periode an die Produkte kommen, die nicht auf Frauentoiletten gehen wollen", so Schramme. Studenten bestücken die Körbe ehrenamtlich.
Gegen die gesellschaftlichen Tabus
Gleich drei große Probleme werden dadurch bekämpft, sagt das "HSN cares"-Team: Die Menstruation wird enttabuisiert, materielle Ungleichheit aufgehoben und stressige Alltagssituation verhindert. In allen Lehrgebäuden und in zentralen Einrichtungen, wie Bibliothek, Audimax oder Studienservicecenter, sind die Hygieneartikel zu finden. Rote Sticker auf Schildern und Türen weisen den Weg.
Bisher handelt es sich um ein Testprojekt, das Ende Februar endet. Die Periodenprodukte waren ein Spendenballon des Berliner Unternehmens "Einhorn products". "Unsere Idee ist, die Artikel aus dem Budget der Gleichstellungsbeauftragten und der Diversifizierungsbeauftragen zu finanzieren", sagt Sabrina Schramme.
Zu Teuer: Geraer Hochschule lehnt Tampon-Spender ab
Widerstand gegen das Projekt gab es in Nordhausen nicht. "Wir hatten HSN cares auf einer Präsidiumssitzung vorgestellt. Die Atmosphäre war völlig positiv. Die anwesenden Ingenieure überlegten noch während der Sitzung, wie man einen Periodenprodukt-Automaten bauen könnte", sagt Christiane Oeftiger und lacht.
An der Dualen Hochschule Gera-Eisenach (DHGE) hingegen, kämpfen die Studierenden nun schon seit Oktober für kostenlose Tampon- und Binden-Spender auf den Toiletten. Hier ist es ausgerechnet ein Mann, der sich dafür einsetzt: Franz Brunner, 22 Jahre alt, Sozialwissenschaftler und Studierendenvertreter im Hochschul-Senat. Menstruation sei ein Thema, mit dem sich jeder auseinandersetzen muss, sagt er. Brunner war über einen Instagram-Post der Hochschule Nordhausen darauf aufmerksam geworden und sprach mit seinen Kommilitoninnen darüber. "Da ist schnell klar geworden, dass das viele befürworten würden."
Brunner recherchierte im Internet und nahm alsbald Kontakt mit dem Magdeburger Start-Up "Periodically" auf, das Tampon- und Binden-Spender vertreibt. Zusammen stellten sie eine Kalkulation für den Hochschulstandort Gera mit seinen rund 1.400 Studierenden auf: "Wir sind auf eine Summe von 4.000 bis 6.000 Euro pro Jahr gekommen", so Brunner. Er vereinbarte ein Termin mit der Kanzlerin Manuela Göthe, stellte seine Idee vor - und bekam prompt eine Absage. Tolle Idee, aber zu teuer, hieß es.
Was ist dran an der Perioden-Armut?
Im Zusammenhang mit den Kosten für Menstruationsprodukte hat sich in Deutschland der Begriff Perioden-Armut etabliert. Er bezeichnet den Umstand, dass sich manche Frauen Menstruationsprodukte gar nicht oder nur schwer leisten können. Das geht aus einer Studie des Kinderhilfswerks Plan International von 2022 hervor. Demnach nimmt fast jede vierte Frau (23 Prozent) in Deutschland, ihre monatlichen Perioden-Ausgaben als Belastung wahr. Etwa jede zweite Frau (49 Prozent) würde sich besser mit Hygieneartikeln versorgen, wenn diese billiger wären und immerhin jede achte Frau (12 Prozent) zögert das Wechseln von Tampons oder Binden so lange hinaus, dass sie damit Infektionen in Kauf nimmt.
Wie viel Geld eine Frau für ihre Periode ausgeben muss, hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Wie stark sind die Blutungen und schmerzt der Bauch so sehr, dass Medikamente gebraucht werden? Frauen mit Endometriose sind häufig besonders betroffen, weil sie oft stärker bluten, besonders starke Schmerzen haben und aufgrund von Arbeitsunfähigkeit manchmal auch Einnahmeausfälle hinnehmen müssen. Auch die Wahl des Verhütungsmittels kann einen Einfluss haben. Es gibt zum Beispiel Frauen, die gar nicht menstruieren, weil sie die Pille durchnehmen und den Zyklus dadurch aussetzen lassen.
Wie viel Frauen also für Menstruationsprodukte ausgeben müssen, ist sehr unterschiedlich. Manche Frauen geben Kosten von nur 20 Euro im Jahr an, andere sprechen von 150 Euro und mehr. Auch in den Medien kursieren diverse Zahlen. Der Spiegel rechnet mit höchsten fünf Euro pro Monat, der Menstruations-Blog Erdbeerwoche zieht die Kosten für die Pille mit hinzu und kam auf umgerechnet rund 15 Euro pro Monat. Der Huffington Post zufolge sind es sogar umgerechnet 35 Euro im Monat. Das sind für sich genommen keine existenziellen Kosten, sie summieren sich aber mit der Zeit. Von Perioden Armut sind daher vor allem alleinerziehende oder arbeitslose Frauen sowie Auszubildende und Studentinnen betroffen – also jene, die ohnehin nur geringe Einnahmen haben.
Gera plante Notfallversorgung mit Tampons
Um die Studentinnen in Gera zu unterstützen, machte die Duale Hochschule den Studierenden einen alternativen Vorschlag, erklärt Kanzlerin Manuela Göthe auf Anfrage von MDR THÜRINGEN schriftlich: "Wir haben ein Konzept zur kostenfreien Bereitstellung von Menstruationsprodukten nicht als Grundversorgung, sondern im Rahmen der Notfallversorgung […] erarbeitet. Dieses sah die Bereitstellung über ein Körbchen an sehr verschiedenen Anlaufstellen der Hochschule vor."
Demnach sollten die Körbchen in der Bibliothek und im Studierendensekretariat bereitgestellt werden. Das Konzept wäre soetwas wie eine abgespeckte Variante des Nordhäuser-Modells. Es sei aber nicht umgesetzt worden, weil es von den Studierenden abgelehnt worden wäre, so Göthe. Franz Brunner erinnert sich an das Gespräch darüber anders. "Wir haben gesagt, dass wir das Konzept nicht für ausreichend halten. Als vorläufige Notfallvariante, wäre es aber besser als nichts."
Geraer Hochschule verweist auf unklare Rechtslage
Neben den finanziellen Hürden seien Manuela Göthe aber auch rechtlich die Hände gebunden: "Wir lehnen die Initiative keineswegs ab. Allerdings fordern wir zunächst Rechtsklarheit für die kostenfreie Bereitstellung von Menstruationsprodukten durch öffentliche Einrichtungen. Hier ist die Politik gefragt, denn aktuell ist die kostenlose Versorgung mit solchen Produkten durch die öffentliche Hand nicht geltende Rechtslage in Thüringen." Außerdem müsste die Verwendung staatlicher Gelder entsprechend des festgeschriebenen Bildungsauftrags im Thüringer Hochschulgesetz sichergestellt werden.
Dem widerspricht das Thüringer Wissenschaftsministerium jedoch in einer schriftlichen Stellungnahme: "Die Hochschulen können diesbezüglich über die Verwendung der finanziellen Mittel selbst entscheiden, die ihnen seitens des Freistaats Thüringen zugewiesen werden." Das Hochschulgesetz regele ja auch nicht die Bereitstellung anderer Hygieneprodukte, heißt es weiter. Vielmehr gehörte so etwas zur Grundausstattung der Toiletten in den Hochschulen.
Deutschland hinkt international hinterher
Die Forderung nach klaren rechtlichen Vorgaben trifft in Deutschland ohnehin auf eine Politik, für die Menstruation ein Nischenthema ist. Zuletzt erhielt es 2019 etwas Aufmerksamkeit, als die Bundesregierung beschloss, die Mehrwertsteuer für Menstruationsprodukte von 19 auf 7 Prozent zu senken. Auch Thüringen machte sich damals im Bundesrat dafür stark. Doch im internationalen Vergleich hinkt Deutschland hier noch immer hinterher.
Viele Länder erheben keine Steuern auf Tampons und Binden mehr. Darunter auch Staaten wie Indien, die USA, Ruanda oder Nigeria in denen Sozialpolitik eine weit geringere Rolle spielt als in Deutschland. In den USA, in Frankreich oder Neuseeland sind kostenlose Menstruationsprodukte an Hochschulen längst Standard und seit 2022 werden in Schottland flächendeckend kostenlose Tampons und Binden in allen öffentlichen Gebäuden angeboten.
Menstruation an Hochschulen ist Ländersache
Von landesweiten Steuern abgesehen ist Bildung in Deutschland Ländersache – und damit auch das Menstruieren an Hochschulen. Thüringen kann zwar mit der Universität Jena einen deutschlandweiten Periodenpionier vorweisen und hat in Nordhausen nun schon einen Nachahmer gefunden, darüber hinaus spielt das Thema im Freistaat aber kaum eine Rolle - schon gar nicht politisch.
Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN erklärte das Wissenschaftsministerium, dass derzeit keine Regelung zu Mestruationsprodukten in Bildungseinrichtungen geplant sei. Das Bildungs- und Wissenschaftsministerium stünden dem dahinterstehenden Anliegen aber "überwiegend positiv" gegenüber. Obwohl es sich hier um einen Kernbereich der individuellen Lebensführung handele, könnte hier die soziale Teilhabe und Gleichberechtigung vieler Menschen verbessert werden. "Insofern kommt es auf eine Debatte an, ob die Gesellschaft insgesamt hier einen überwiegenden Handlungsbedarf sieht."
MDR (ask)
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